Richard Bram: „Yellow Coat. Fifth Avenue, New York“ (2002). Repro: Milan Chlumsky
Von Milan Chlumsky
Mannheim. Ein guter "Street Photographer" ist so etwas wie ein guter Erzähler. Doch während ein Erzähler sich Geschichten auszudenken vermag und seine Helden in verschiedene, auch unglaubliche Situationen bringen darf, hat es der Fotograf schwerer: Er muss vorausahnen, was in Bruchteilen der nächsten Sekunden passieren kann, er muss sich vergewissern, dass es eventuell Umstände gibt, die das entstehende Foto lustig (traurig), nachdenklich (flüchtig), überraschend (langweilig) machen werden. Und er muss vor allem eines: möglichst unbemerkt fotografieren, das heißt auf der Pirsch sein und sehr schnell handeln.
Kein Wunder, dass es nur wenig gute Fotografen von dieser Sorte gibt (trotz der etwa drei Millionen Aufnahmen, die täglich auf Facebook und Instagram landen). Es sind meist Jahre nötig, bis man bereit ist, in ständiger innerer Anspannung zu leben, um ein oder zwei Aufnahmen innerhalb einer längeren Zeitspanne zu machen, die "sitzen".
Richard Bram, geboren 1952 in Philadelphia, gehört zu diesen wenigen. Er studierte zunächst Politische Wissenschaften an der Arizona State University, bevor ein langweiliger Job folgte. Er mochte es, nebenbei zu fotografieren, manchmal hörte er, dass man seine Aufnahmen sehr gut fand, bis er dann eines Abends bei einer Party mit dem Direktor einer Fotografenschule im amerikanischen Louisville zusammentraf. Er bat ihn um Rat, denn er wollte seinen Job kündigen: "Mach es bloß nicht! Du sollst nicht Fotograf werden, solange du etwas anderes machen kannst."
Im Jahr 1984 begann Bram, sich doch mit ganzer Seele der Fotografie zu widmen, nachdem er zuvor ein gebrauchtes Vergrößerungsgerät bekommen hatte. Er wollte Profi werden. "Einflüsse gab es zuhauf", sagt er: "Kertész, Cartier-Bresson, Eisenstaedt. Die darauffolgende Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte war aber sehr wichtig für die Entwicklung meines persönlichen Stils." Bei seiner Leica M3 müssen vor der Aufnahme Blende und Verschluss manuell eingestellt werden. 2010 begann Bram, der inzwischen in London lebte, mit einer digitalen Leica M9 in Farbe zu fotografieren. Beide Kameras gehören bis heute zu Brams Arbeits-Equipment.
Die Schwarzweiß-Fotografie steht bei Bram in der Tradition der europäischen (und nur zum Teil amerikanischen) Vorfahren – hier spielen die überraschende Gestik, das Zusammentreffen unerwarteter Ereignisse sowie auch der Moment der meist beiderseitigen Überraschung (des Fotografen und seiner Protagonisten) die Hauptrollen.
Dagegen stellen die Arbeiten in Farbe andere Ansprüche an den Fotografen: neben der Situation, der Gestik und dem Überraschungsmoment muss er auf die Farbendisposition in der Komposition achten. In der Ausstellung ist dies in der Aufnahme "Yellow Coat, Fifth Avenue, New York" (2002) schön zu sehen.
Die wunderbare Schau von Richard Bram im Mannheimer Kunstverein hat daher auch die beiden Pole des Street Photographers voneinander getrennt. Die schwarz-weißen Aufnahmen sind vorwiegend im Parterre zu finden, die Farbe auf der Empore. Es lohnt, Vergleiche anzustellen sowie zwischen Schwarzweiß und Farbe zu wechseln. Dann wird sichtbar, dass das Gestische der fotografischen Erzählung nie restlos zu deuten ist. Der Schwarzweißerzähler überlässt es oft dem Betrachter, sich ein mögliches "Ende" vorzustellen, während die Farbe das Geschehen für immer fixiert.
Info: Richard Bram: "Short Stories. Street Photography". Mannheimer Kunstverein, bis 30. August; Katalog: 15 Euro. www.mannheimer-kunstverein.de