Eine Szene, die den Reformator Martin Luther vor dem Reichstag in Worms zeigt, ist als Teil des Luther-Denkmals im Wormser Heylshofpark zu sehen. 1521 weigerte sich Luther auf dem Reichstag, seine als aufrührerisch bezeichneten Lehren zu widerrufen. Foto: Uwe Anspach
Von Marion Gottlob
Worms. Im Jahr 2021 jährt sich zum 500. Mal der Wormser Reichstag von 1521. Ehrensache und Verpflichtung, dass die Lutherstadt Worms ein Programm entwickelt, um dieses Ereignis zu feiern. Der Blick der neuen Landesausstellung "Hier stehe ich. Gewissen und Protest – 1521 bis 2021" ist weit: Die Schau im Museum der Stadt Worms im Andreasstift nimmt vom 17. April bis 31. Oktober das Jubiläum der Widerrufsverweigerung Luthers auf dem Wormser Reichstag zum Anlass, die Entwicklungsgeschichte der "Gewissensfreiheit und des Protests" anhand zahlreicher Beispiele bis in die Gegenwart aufzuzeigen. Der Kunsthistoriker Dr. Olaf Mückain, wissenschaftlicher Leiter der Museen Worms, sagt: "Luther hat Zivilcourage bewiesen und repräsentiert die Schwelle zwischen alter und neuer Zeit."
Um welche Begebenheit geht es?
1517 forderte der Mönch Martin Luther mit seinem "Thesenanschlag in Wittenberg" die Kirche dazu auf, sich zu hinterfragen. Vier Jahre tobte daraufhin ein vor allem innerkirchlicher Streit über die Frage, ob und wie man diese Kritik Luthers werten müsse. Er endete mit der Exkommunikation des Reformators. 1521 bekam dieser Konflikt seine gesellschaftspolitische Dimension, denn Martin Luther sollte vor dem Reichstag in Worms vor den europäischen Fürsten und dem Kaiser seine Thesen widerrufen. Er weigerte sich – und dieser wagemutige Auftritt wurde zu einer Sternstunde für Haltung und Zivilcourage.
Wer hat die Worte "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" tatsächlich gesagt?
In Wirklichkeit formulierte Luther damals: "… Wenn ich nicht mit Zeugnissen der Schrift oder mit offenbaren Vernunftgründen besiegt werde, so bleibe ich von den Schriftstellen besiegt, die ich angeführt habe, und mein Gewissen bleibt gefangen in Gottes Wort. Denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilen allein, wie es offenkundig ist, dass sie öfters geirrt und sich selbst widersprochen haben. Widerrufen kann und will ich nichts, weil es weder sicher noch geraten ist, etwas gegen sein Gewissen zu tun. Gott helfe mir, Amen." Die berühmten Worte "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" sind eine griffige Zusammenfassung, die erstmals auf einer Illustration der Widerrufsverweigerung im 16. Jahrhundert auftauchte und sich dann mit der Mythenbildung rund um Martin Luther im Lauf der Jahrhunderte manifestierte.
Warum können die Worte als Ausdruck des Protests und des zivilen Widerstands gedeutet werden?
Es ist schwierig, vor dem heutigen Zeit- und Verständnishorizont Luther und seine Zeitgenossen zu beurteilen. Es ist stets Interpretation im Spiel. Aber 1521 waren Kirche und Staat nicht so klar zu trennen, und Luther stand in Worms nicht nur vor dem Papst, sondern auch vor dem Kaiser. Und ihm drohte neben der Exkommunikation auch die Reichsacht.
War Luthers Widerstand gewaltfrei? Ein Widerstand mit der Kraft der Intelligenz, der Argumente, der Quellenarbeit, des eigenen Denkens?
Alles davon passt und greift doch zu kurz: Luther war Professor in Wittenberg; er beruft sich auf klassische, "wissenschaftliche" Quellen- bzw. in seinem Fall Bibelarbeit und die Vernunft. Damit gehört er zu den Vertretern des Renaissance-Humanismus. Auf der anderen Seite beruft er sich auf sein Gewissen und göttliche Gnade, ist also auch noch in der mittelalterlichen Tradition des tiefen Glaubens verwurzelt.
Wie wird das dargestellt?
Das konfliktträchtige Zusammentreffen der Parteien von Reich, Papstkirche sowie Luther und der beginnenden Reformation wird mithilfe von aussagekräftigen Exponaten, didaktischen Inhalten und als Medieninstallationen dargestellt. Dabei werden sowohl die Kontexte der Kontrahenten als auch deren persönliche Horizonte transparent gemacht. Die Herausforderung ist es, authentisch zu bleiben und die Zusammenhänge aus heu-tiger Perspektive verständlich zu machen.
Der zweite Teil der Schau befasst sich mit weiteren Vertretern des Protestes.
Die Landesausstellung präsentiert neben Luther weitere Persönlichkeiten, die seit dem 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart für ihre Ideale in Wort und Tat mutig und entschlossen eintraten und nicht selten für ihre Zivilcourage mit ihrem Leben bezahlten. Die streitbare Schriftstellerin Olympe de Gouges oder die junge Sophie Scholl fesseln uns noch heute mit ihrem mutigen Beispiel und werden auf faszinierende Weise in der Sonderausstellung durch Exponate, Dokumente und Schlüsselsituationen ihres Lebens vorgestellt. Ebenso vertreten sind Vorkämpfer für Gleichberechtigung und Freiheit wie Martin Luther King und Nelson Mandela, Georg Büchner oder die Protagonisten der Friedlichen Revolution, die zur Wiedervereinigung Deutschlands führte. Der gemeinsame Nenner ist der Widerstand oder Protest, der auf einer Gewissensentscheidung basiert. Ein Faszinosum ist für mich die junge Widerstandskämpferin Sophie Scholl, die am 9. Mai ihren 100. Geburtstag hätte feiern können und die für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft steht.
Welches Beispiel wird voraussichtlich das aktuellste sein?
Die Ausstellung befasst sich auch mit künstlicher Intelligenz und Gesundheitsfragen, die für uns heute, morgen und übermorgen lebensentscheidend sind und sein werden.
Wie wird das Thema gezeigt?
Es gibt mehrere Vermittlungsebenen, die sich ergänzen. Erstens Exponate verschiedener Art, zweitens Reproduktionen, drittens Medien, viertens interaktive Inszenierungen, fünftens Illustrationen und Grafiken, sechstens gedruckte Texte sowie siebtens Führungen und Museumspädagogik.
Gibt es in der Ausstellung Bezüge zu Heidelberg?
Heidelberg spielt eine wichtige Rolle bei Luther: Im April 1518 leitete er hier eine Disputation im Rahmen des Generalkapitels des deutschen Augustinereremitenordens. Es war sein erster theologischer Auftritt außerhalb Wittenbergs nach seinen Thesen von 1517.
Welche Einrichtungen oder Institutionen sind an der Ausstellung beteiligt?
Die Landesausstellung im Museum der Stadt Worms im Andreasstift wird gefördert vom Land Rheinland-Pfalz, durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sowie durch die Stiftung "Gut für die Region" der Sparkasse Worms-Alzey-Ried. Auch gibt es ein Programm der Stadt und der Evangelischen Kirche zum Thema "Luther und die Reformation in Worms". Am 16. April wird der Einzug Luthers in Worms nachgestellt. In der Nacht vom 17. zum 18. April wird Luthers Bedenkzeit multimedial inszeniert und bundesweit verbreitet. Vom 16. Juli bis 1. August zeigen die Nibelungen-Festspiele ein Luther-Stück.