"Wir stehen im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher, das ist für alle Kulturinstitutionen eine riesige Herausforderung": Johan Holten bereitet sich intensiv auf die Direktion der Mannheimer Kunsthalle vor. Foto: Alfred Gerold
Von Susann Behnke-Pfuhl
Mannheim. Am 1. September 2019 wird Johan Holten neuer Direktor der Kunsthalle Mannheim. Der Leiter der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden folgt damit auf Dr. Ulrike Lorenz, die an die Klassik-Stiftung Weimar wechselte. Die RNZ sprach mit ihm über seine neuen Aufgaben.
Herr Holten, wie kamen Sie zur Kunst? Was hat Sie bewogen, Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften zu studieren?
Von Kindesbeinen an habe ich mich mit dem Tanzen in einer anderen Kunstwelt bewegt. Als ich damit aufhörte, war mir klar, dass mein Interesse nach wie vor der Kunst und den Kulturwissenschaften galt, ich aber einen intellektuelleren Zugang suchte. Im Nachhinein hat sich diese Entscheidung als goldrichtig erwiesen.
Sie beginnen Ihr Amt als Direktor der Kunsthalle Mannheim am 1. September. Welches sind Ihre wichtigsten Aufgaben?
Die allererste Aufgabe wird sein, die Eröffnung der Ausstellung "Inspiration Matisse" mit dem ganzen Team gut zu bewältigen, auch wenn diese Ausstellung noch von Ulrike Lorenz geplant wurde. Nachdem meine Vorgängerin viel Kraft in die Realisierung des Neubaus gesetzt hat, ist es mir ein Anliegen, diesen Neubau nun mit Leben zu füllen, damit man in fünf Jahren darüber spricht, welche großartigen Ausstellungen in diesem Bau stattgefunden haben.
Vor einem Jahr wurde der Museumsneubau eröffnet. Im Juni konnte die Kunsthalle Mannheim einen Rekord von rund 160.000 Besuchern verzeichnen. Ein Grund dafür ist sicherlich neben dem attraktiven Neubau die umfassende Digitalisierungsstrategie der Kunsthalle. Gibt es noch weitere Aspekte, die man ausbauen kann?
Der Neubau hat ein großes Interesse bei allen Bevölkerungsschichten geweckt. Jetzt ist es eine Herausforderung, dass die Besucher ein zweites, drittes und viertes Mal in die Kunsthalle kommen. Die Digitalisierung liegt mir auch sehr am Herzen. Die Frage ist, wie man Formate für Arbeiten finden kann, die über bloße Abbildungen im digitalen Raum hinausgehen. Wie kann ein Format zugeschnitten auf ein einzelnes Werk aussehen? Es ist ein Unterschied, ob ich ein Ölgemälde von Manet, eine Nachkriegsskulptur von Moholy-Nagy oder die multimedialen Installationen von William Kentridge im physischen Raum ausstelle - das sollte im digitalen Raum erst recht so sein.
Museen waren einst klassische Stätten des Sammelns, Bewahrens und Vermittelns. Was kann ein Museumsbesuch im Zeitalter der Digitalisierung noch bewirken?
Im Großen und Ganzen haben die Museen guten Zulauf. Aber wir stehen im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher, das ist für alle Kulturinstitutionen eine riesige Herausforderung. Ich sehe die Digitalisierung nicht als Widerspruch. Die zentrale Fragestellung wird sein: Wie kann man die Digitalisierung von Kunst aus der spezifischen Form eines Werkes ableiten? Aber wenn man ins Museum kommt, erfährt man natürlich eine ganz andere Form der Ruhe und Konzentration.
Was bedeutet Kunst für die Gegenwart?
Man kann immer nur rückblickend erkennen, welche Ausstellungen richtungsweisend waren. Zum Beispiel hat die Ausstellung "Neue Sachlichkeit" von 1925 in der Kunsthalle eine neue Stilrichtung geprägt. Eine Ausstellung entwickelt ein Eigenleben, löst einen Prozess in der Gesellschaft aus. Die Gesellschaft braucht Momente der symbolischen Verdichtung von Inhalten, die über den Moment des Genießens hinausgehen. Richtig gute Kunst ist jene Kunst, die nicht nur eine Bedeutungsebene besitzt. Das zur Zeit seines Ankaufs höchst umstrittene Gemälde "Die Erschießung Kaiser Maximilians" von Manet ist heute tief in der Mannheimer Seele verankert und für viele Teil des Verständnisses der Kunsthalle.
Sie haben viel beachtete Ausstellungen in der Kunsthalle Baden-Baden kuratiert. Das Haus besitzt jedoch keine Sammlung. Wie werden Sie mit den historischen Werken in Mannheim umgehen?
Auch in Baden-Baden gibt es durch die Ausstellungsgeschichte eine unsichtbare symbolische Sammlung an den Wänden. Ich jedenfalls habe vor diesem Hintergrund gearbeitet. Hier in Mannheim ist die Sammlung dagegen physisch vorhanden. Wir besitzen beispielsweise ein wichtiges Bronze-Wandrelief - "Weiblicher Rückenakt IV" von 1930 -, das den Kern der Matisse-Ausstellung bildet. Es erlaubt uns, Leihgaben auszuhandeln, da wir umgekehrt Gegenleihgaben gewähren können.
Sie waren als Leiter des Heidelberger Kunstvereins gut vernetzt in der Region. Werden Sie an Ihre alten Kontakte anknüpfen?
Es ist einerseits so, als würde man nach Hause kommen - andererseits ist alles ganz neu. In Mannheim bin ich nicht nur mit der Kunstszene vernetzt, sondern auch mit dem Kulturleben und dem Gemeinderat. Mit Institutionen wie der Fotobiennale, die ich von Anfang an mitbegleitet habe, werde ich wieder Kontakt aufnehmen.
Gibt es Kunstrichtungen und Tendenzen der Gegenwart, denen Sie besonderes Gewicht geben wollen?
In Mannheim steht die Sammlung der Klassischen Moderne im Vordergrund und ich freue mich darauf, neue spannende Aspekte in die Sammlungspräsentationen einzubringen. Beispielsweise wurden in der Ausstellung "Neue Sachlichkeit" von 1925 keine Malerinnen gezeigt, sie wurden damals übersehen. Es gibt auch zur gleichen Zeit andere Modernen außerhalb Deutschlands und Europas von Indien bis Japan, die Stilrichtungen prägten und die man einbeziehen kann. Wer mein Programm in Baden-Baden verfolgt hat, weiß auch, dass für mich in einer globalen Welt nicht nur Gender-Fragen eine Rolle spielen, sondern auch die weiter gefasste Frage nach Diversität. Gerade die Skulpturensammlung der Kunsthalle Mannheim bildet hier einen spannenden Ausgangspunkt, um zu zeigen, dass es nicht nur weiße Männer sind, die heute in diesem Medium denken. Ein gutes Beispiel dafür ist die Ausstellung von Hiwa K, die gerade in der Kunsthalle Mannheim läuft. Die entscheidende Frage lautet: Wie ist die Sammlung heute vor einer heterogener gewordenen Gesellschaft zu sehen? In Mannheim leben Menschen aus rund 170 Nationen. Wir wollen viele Weltentwürfe zeigen. Das ist wichtig für die langfristige Konzeption der Kunsthalle.
Können Sie uns etwas über Ihr zukünftiges Ausstellungsprogramm verraten?
Für das nächste Jahr gibt es Pläne, die noch Ulrike Lorenz aufgestellt hat. Das Jahr wird mit dem Fotofestival im Frühjahr beginnen. Eine Ausstellung zu Anselm Kiefer sowie eine zu James Ensor sind ebenfalls geplant. Die regionale Kunstausstellung "Deltabeben" beschließt das Jahr 2020.