Hanna Valentina Röhrich, Katharina Breier, Johannes Bauer. Foto: Christian Kleiner
Von Hans Böhringer
Mannheim. Sich einen Lampenschirm auf den Kopf zu setzen, um nicht gesehen zu werden, ist eine so naive Vorstellung von Tarnung, dass sie eigentlich nur als Witz in Komödien auftauchen kann. Ein Klischee. Eben deshalb ist Julia Schillers Bühnenbild so passend für Ulrike Stöcks Uraufführung von Holger Schobers neuem Stück: Ein Dutzend Stehlampen füllen die Bühne, sie werden mal hier, mal dorthin getragen, ballen sich, bilden Mauern und Verstecke. Zwischen ihnen stellt die Komödie für Kinder und Jugendliche Familienklischees auf den Kopf. "Familie auf Bestellung" schrieb Schober als Auftragswerk für das Junge Nationaltheater Mannheim.
Anfangs kauert Lisa (Katharina Breier) verschwörerisch unter einem der Schirme und erklärt ihren Plan zweien, die sich als ihre Eltern ausgeben. Lisa will ins Internat für Hochbegabte, entscheidend ist dafür der Hausbesuch der Schulleiterin. Die vermeintlich strenge, humorlose und erzkonservative Rektorin wird, in Lisas Erwartung, prüfen, ob sie für die Schule geeignet ist und ob in ihrer Familie alles rechtens ist. Für Lisa bedeutet das: Vater, Mutter, Kind – das Klischee einer heilen Familie. Da sie mit Vater und Opa, aber ohne Mutter aufwächst, engagiert sie zwei Schauspieler (gespielt von Hanna Valentina Röhrich und Johannes Bauer) als Vorzeigeeltern, ihr echter Vater (Sebastian Reich) bleibt im Dunkeln. Zunächst. Es folgt ein Intrigen- und Verkleidungsspiel, ein Theater im Theater – das ist ein Trick, den schon Shakespeare kannte. Motor der Komödie sind Röhrich und Bauer: Die falschen Eltern sorgen mit einer perfekt gespielten Mischung aus Inkompetenz und Übereifer für ein herrliches Chaos, das im Aufeinandertreffen mit Lisas Vater gipfelt.
Ein überlegenes Kind, eine (vermeintlich) dysfunktionale Familie und eine in der Vorahnung schrecklich erscheinende Rektorin – so klingt Lisa wie eine moderne Version von Roald Dahls Matilda. Anders als Matilda ist Lisa aber nur vermeintlich die Überlegene – hier liegt das Problem mit dieser Figur: Da ihre echte Familie, also vor allem der Vater, von Anfang an nur fürsorglich und nett auftritt, wirkt sie in der Konstruktion der falschen Familie oft naiv und eingebildet. Man fragt sich, warum sie denn fort und ins Internat will – die Antwort darauf wird leider nur kurz angedeutet. Überhaupt bleiben die echten Probleme in der echten Familie sehr unterentwickelt: So wird der Zustand des dementen Großvaters (Uwe Topmann) läppisch als Spaßvogeltum abgetan.
Die fehlende Tiefe kann man verzeihen, schließlich geht es ja um Oberflächlichkeiten. Im Englischen heißt das demonstrative Vorführen von Klischees "lampshading" – man rückt das Lächerliche ins Licht und thematisiert die Lächerlichkeit. Der Lampenschirm ist so geradezu eine Ikone der Klischees geworden: Der Schusslige trägt ihn als Hut, die Närrin zur Tarnung – beides passiert so auch in "Familie auf Bestellung". Und die Klischees, die das Stück uns anfangs vorführt, sind ebenso brüchig wie die alten Lampenschirme, an denen die falsche Mutter unersättlich knabbert: Männer wie Frauen tragen Kleid in Tapetenmustern, der falsche Vater schwärmt von Muttergefühlen; die Tochter erklärt ihrem echten Vater unverblümt, es sei ihr gleich, mit wem er ein Date hat – mit seiner Chefin oder seinem Chef. Die Rollen in der Familie zeigt Schober ebenso wandlungsfähig wie Rollen im Theater. Auch die Rektorin (Patricija Katica Bronic´) – in der von Lisa dirigierten Generalprobe des Besuchs noch repräsentiert von einer Stehlampe – entspricht gar nicht dem Klischee einer intoleranten Autorität aus dem vorletzten Jahrhundert.
Info: Die nächsten Aufführungen in der Alten Feuerwache in Mannheim: 19. Dezember um 10.30 Uhr, am 20. Dezember um 10 Uhr.