Zsuzsa Bánk.Foto: Wikipedia
Von Heribert Vogt
Heidelberg. "Die Toten sind nie tot", heißt es bereits früh in Zsuzsa Bánks neuem Buch "Sterben im Sommer". Denn dort geschieht zwar das Maximalereignis des Todes, aber das unaufhaltsam weiter drängende Leben geht dennoch in jeder Sekunde weiter – nur auf veränderte Weise. Und das hat hier nichts mit Religion zu tun, sondern ist vor allem ein Resultat genauer Beobachtung.
In der Reihe "Lockdown Conversations" beim Interkulturellen Zentrum Heidelberg präsentierte die bekannte Schriftstellerin im Gespräch mit Leiterin Jagoda Marinic per Livestream ihre kürzlich erschienene Erzählung, in der Zsuzsa Bánk den Krebstod ihres geliebten Vaters thematisiert. Aber eben nicht als absoluten Einschnitt, sondern als eine ganz lange Wanderung durch wechselnde Gefühlsstadien zwischen dem Lieben und dem Loslassenmüssen.
Die 1965 in Frankfurt als Tochter ungarischer Eltern geborene und nun vom Main zugeschaltete Autorin beschrieb das Erscheinen ihres Buches am 9. September. Da gab es während der Corona-Pandemie einen kleinen Zeitraum, als sie rund um die ausgefallene Buchmesse bei Veranstaltungen unterwegs sein konnte. Bevor sie dann den Abbruch durch den erneuten Lockdown als hart und traurig empfand.
Dabei beschritt Zsuzsa Bánk neue literarische Wege. Denn erstmals wählte sie keinen erfundenen, sondern einen erlebten Stoff. Allerdings geht es hier um ein Spiel mit der Realität, um "Autofiktion". Die Autorin reichert das biographische Material poetisch an. Denn einerseits hat es Wucht und Größe des Vatertodes tatsächlich gegeben, aber andererseits geht es darum, sich nicht einem übermächtigen Sturm der Emotionen hinzugeben, sondern diese literarisch zu bannen. Die Erzählung endet mit dem ersten Todestag nach einem Jahr.
Der sterbenskranke Vater soll ein letztes Mal auf das weite Blau des Balaton – des Plattensees – schauen können. Noch einmal die Schönheit des Südens erleben. Deshalb unternimmt die Tochter im "gleißenden Sommer" 2018 mit dem 85-Jährigen eine letzte gemeinsame Fahrt in die ungarische Heimat. Aber der Krebs spielt nicht mit, ein Hubschrauber fliegt den Vater ins Krankenhaus. Im heißen Sommer muss mit dem Schlimmsten gerechnet werden. Es kommt zu einem "Reigen aus Furcht und Anspannung".
Aber so schlimm die Nachrichtenlage in dem schönen Sommer auch ist, gleichzeitig tobt am See die pralle (Urlaubs-) Freude. Und die Autorin transportiert diese Gemengelage durch vielschichtiges Erzählen. Der Text ist keineswegs nur düster, sondern bleibt an den facettenreichen Alltag gekoppelt. Zum Beispiel durch die Kinder geht das Leben "immer unerschrocken weiter". Zsuzsa Bánk: "Viele helle, lichte Momente verknüpfen sich mit dunklen Tagen."
Und auch der Tod ist für die Hinterbliebenen eher ein Wende- als ein Schlusspunkt. Einmal ist die Rede davon, dass der Vater "nicht mehr auf Erden" ist – aber doch vielleicht anderswo: im Gedächtnis oder in den sich nun verändernden Gemeinschaften? Alles fließt – auch die Gefühle. Unter die vielen Schatten der Trauer mischen sich schwarzer Humor und starkes Hadern mit dem Schicksal. Auch wenn der Vater ein hohes Alter erreichte, war es kein leichter Abschied. Allerdings ändert sich mit der Zeit das "Gesicht der Traurigkeit" – es findet allmählich zu einer neuen Normalität.
Trotz des großen Verlustes: Denn es herrschte eine tiefe Vertrautheit zwischen Tochter und Vater. Zudem eine "lässige Selbstverständlichkeit mit vielen Momenten der Nähe und Liebe". Aber neben diesem sich weiter Bahn brechenden Gefühlsstrom wirkt der Vater auch in seinem historischen Lebenskontext fort. Denn er war beim großen Ungarn-Aufstand von 1956 dabei und flüchtete mit seiner Frau anschließend in den Westen. Ein prägendes Ereignis der Verunsicherung wohl auch noch für Tochter Zsuzsa, aber zugleich ein starkes Band der Gemeinsamkeit in der Familie.
So sind die kleinen Geschichten des Lebens unauflöslich mit der großen Geschichte des Weltgeschehens verwoben. Und auf beiden Ebenen können die schrecklichsten Dinge geschehen. "Die Zeit heilt alle Wunden", sagt ein etwas abgegriffenes Sprichwort. Aber dennoch liegt darin auch ein Trost. Und das kam bei dem schönen Gespräch zwischen Zsuzsa Bánk und Jagoda Marinic locker und leicht über den Bildschirm.
Info: Zsuzsa Bánk: "Sterben im Sommer". S. Fischer Verlag, Frankfurt 2020, 240 Seiten, 22 Euro.