Anja Harteros und Valery Gergiev am Pult bei Mahlers "Rückert-Liedern". Foto: Studio visuell
Von Matthias Roth
Heidelberg. Die Erkenntnis des Abends war diese: So schlecht klingt die Stadthalle gar nicht, wenn Musiker vom Niveau der Münchner Philharmoniker unter einem Dirigenten wie Valery Gergiev darin auftreten. Kein knallendes Blech, keine schießende Pauke oder schreiende Trompete - Mängel, die man sonst häufig wahrnimmt vor der Holzwand, über der die Orgel thront. Das letzte "Frühlings"-Konzert vor der großen Sanierungsphase und Abschlusskonzert des diesjährigen Konzertreigens hielt also Überraschungen parat, trotz des relativ gediegenen sinfonischen Programms, mit dem die Münchner angereist waren.
Hinter den Berliner Philharmonikern drängeln sich in deutschen Landen drei Spitzenklangkörper um Platz zwei, aber seit Gergiev das Ruder der Bayern in der Hand hat, sind die Münchner wieder unangefochten in ihrer Position als Berlin-Verfolger. Insofern war dieses Abschlusskonzert ein wahres (und lange ausverkauftes) Highlight in der 23-jährigen Geschichte des Heidelberger Musikfestivals. Der Intendant der Heidelberger Frühling, Thorsten Schmidt, dankte daher den Sponsoren, die es möglich gemacht hatten, aber auch seinem "Frühlings"-Team, das vier Wochen lang hervorragenden Dauereinsatz geleistet habe. Der Beifall war sicher und berechtigt.
Das Konzert begann mit fünf Orchesterliedern von Gustav Mahler nach Gedichten von Friedrich Rückert: Die Sopranistin Anja Harteros sang sie mit dynamischer Zurückhaltung, aber umso nuancierterer Farbigkeit sowie enorm intensiver Ausdruckskraft. Ihre dunkel timbrierte Stimme mischte sich famos mit den Instrumenten, da das Orchester sich ebenfalls zurückhielt und auf den klanglichen Zauber der Solisten (vor allem der Holzbläser) in Verbindung mit dem Gesang setze. Gergiev zeigte sich hier als wahrer Klangmagier und die Sängerin als Weltklasse-Interpretin. Das eindrucksvollste, tiefstgehende und intimste Zwiegespräch ließen die Künstler in "Ich bin der Welt abhanden gekommen" hören, wo der Abschied vom Weltgetümmel den höchsten Augenblick des Glücks markierte.
Den heiligen Lärm von Bruckners Fünfter Sinfonie hätte man danach eigentlich gar nicht mehr gebraucht. Die Münchner Philharmoniker freilich wollten zeigen, was sie draufhaben, und man muss sagen: Es ist mit das Beste, was man in der Republik derzeit an sinfonischer Brillanz und bewegender musikalischer Deutung bekommen kann.
Valery Gergiev ist kein Fuchtler, der mit den Armen rudert. Nur selten hebt er sie über die Schultern hinaus, etwa im Scherzo. Sein winziges Stöckchen, einem Zahnstocher gleich, gibt nur Hinweise. Die Finger seiner rechten Hand flirren dabei, als wollten sie allzu große Effekte verhindern. Dabei spielen die Musiker präzise wie ein Uhrwerk, aber eben nicht knallig. Das Blech tönte weich und warm, die Streicher phrasierten auf den Punkt genau, nur die Erste Trompete zögerte bisweilen oder schien irritiert.
Der Langsame Satz, ein wirklich "sehr langsames" Adagio (wie es in der Partitur steht), ist mit ca. 25 Minuten ein sinfonisches Monstrum, das mit geringstem Materialaufwand auskommt, ähnlich wie der Finalsatz, der wie aus verschieden farbig tönenden Motiv-Legosteinen zusammengesetzt wirkt.
Gergiev und die Münchner machen daraus eine weihrauchgeschwängerte Meditation und ein schmetterndes Jubelinferno: Wer Bruckner vorher schon nicht mochte, hatte nun allen Grund, sein Urteil bestätigt zu sehen, aber wer dagegen seine Fünfte immer liebte, wollte sie nun gänzlich auf den Olymp heben.
In jedem Fall war diese Aufführung ein denkwürdiger Abschied von der "Heiligen Halle", in der der "Frühling" frühestens in drei Jahren wieder auftreten wird. Bis dahin wird man sich mit der Neuen Aula der Universität und anderen Ausweichspielstätten begnügen müssen. Die Wiedereröffnung der neuen alten Stadthalle am Neckarufer ist für 2022 geplant. Hoffen wir das Beste!