Szene mit Lars Eidinger (rechts als Hauptsturmführer Klaus Koch) sowie Nahuel Pérez Biscayart (als Gilles/Reza). Foto: Alamode Film
Von Wolfgang Nierlin
Heidelberg. Frankreich 1942. Als der belgische Jude Gilles (Nahuel Pérez Biscayart) auf einem Gefangenentransport der Nazis auf die flehentliche Bitte eines Mithäftlings sein halbes Brot gegen ein wertvolles Buch tauscht, rettet ihn das vor dem sicheren Tod. "Ich bin ein Perser!", ruft der Sohn eines Rabbiners verzweifelt, als er wie seine Leidensgenossen erschossen werden soll. Und das Buch mit dem Titel "Mythen der Perser" dient ihm dabei als Beweis.
Als er kurz darauf erfährt, dass ein hochrangiger Nazi-Offizier Farsi lernen möchte, eignet sich Gilles eine falsche Identität an, wird zu Reza und startet damit einen fintenreichen Kampf ums Überleben. Verstellung, Täuschung und Lüge werden dabei zu seinen ebenso geheimen wie gefährlichen Waffen. Denn alles, was er sagt, darf nicht nur den Anschein der Wahrheit haben, sondern muss durch Reproduzierbarkeit selbst zur Wahrheit werden.
"Jedem das Seine" steht in großen Lettern über dem Eingangstor des Übergangslagers, in dem Hauptsturmführer Klaus Koch (Lars Eidinger) für die Lagerküche sowie die Registrierung der Gefangenen zuständig ist. Als wendiger Mitläufer-Nazi plant der gelernte Küchenchef allerdings schon sein Nachkriegsleben. Er will nach Teheran fliehen und dort ein Restaurant eröffnen. Die nötigen Sprachkenntnisse dafür soll ihm Reza beibringen. In einer Mischung aus Misstrauen und Faszination belauert er seinen falschen Farsi-Lehrer, der ihn ängstlich zunächst mit einzelnen Wörtern ködert, bald aber gezwungen ist, eine ganz eigene, in sich stimmige Fantasie- bzw. Kunstsprache zu erfinden.
Um sich diese besser merken zu können, leitet er sie aus den Namen seiner Mithäftlinge ab. Aus den ungebeugten Wörtern werden schließlich Sätze einer fiktiven Sprache, in der sich die beiden Männer verständigen und dabei immer näher kommen.
Wolfgang Kohlhaases von wahren Begebenheiten inspirierte Kurzgeschichte "Die Erfindung einer Sprache" diente dem ukrainisch-kanadischen Regisseur Vadim Perelman als Grundlage für seinen ebenso hintersinnigen wie bewegenden Film "Persischstunden". Dieser erzählt auf tragikomische Weise die Geschichte eines Überlebenskünstlers, der mit den kreativen Mitteln der Sprache eine ambivalente Beziehung zu seinem Peiniger herstellt. Zwischen Dominanz und Unterwerfung, Nähe und Distanz wird die Sprache zum Werkzeug des Überlebens.
In teils brutalen, teils grotesken Szenen blickt Perelman zugleich auf die Doppelmoral der Täter, auf ihre banalen alltäglichen Probleme und den damit verknüpften Geist der Denunziation und des Verrats, der der aufopferungsvollen Solidarität unter den Gefangenen diametral gegenübersteht. Der sehenswerte Film, der mit dem Feuer der Vernichtung und des Vergessens beginnt, mündet schließlich in einen berührenden Triumph der Erinnerung.
Info: Heidelberg, Gloria-Kino.