Die Liebe zum Buch war bei allen Beteiligten spürbar (v.l.): Veronika Haas (Mitorganisatorin Literaturherbst), Regina Wehrle (Co-Verlegerin Mattes Verlag), Bella Bender (Autorin), Phillip Koban (Kulturamt), Jörg Tröger (Moderation) und Jutta Wagner (DAI). Foto: Alexander Müller
Von Heribert Vogt
Heidelberg. Es ist nicht lange her, als man stolz war auf die prächtige Bibliothek in der eigenen Wohnung. Wenn heute junge Leute zu Besuch kommen, schauen sie mit Erstaunen auf die Regalwände. Das sorgt für zwiespältige Gefühle: Es ist unübersehbar, dass das digitale Zeitalter längst da ist. Aber trotzdem kann man sich von keinem der Bücher trennen – alte Liebe rostet eben nicht. So geht es wohl vielen und auch den Teilnehmern des Podiumsgesprächs "Quo vadis, Literatur?" über die Zukunft der Literatur im DAI.
Mit Moderator Jörg Tröger sprachen beim Heidelberger Literaturherbst Bella Bender (Autorin), Regina Wehrle (Co-Verlegerin des Mattes Verlags), Jutta Wagner (Literarisches Zentrum; DAI) sowie Phillip Koban vom Heidelberger Koordinationsteam Unesco City of Literature. Und was die private Wohnung betrifft, so meinte Koban, dass Bücher dort ein Stück weit zu Design-Objekten würden. So machten sich Architektur-Bände auf dem Wohnzimmertisch recht gut.
Aber das Bücherlesen macht auch "verliebt", jedenfalls für Wagner. Außerdem froh und glücklich; zudem ist es spannend. Ja, das Buch vermag viel, wenn man es lässt. Für Bender bedeutet Lesen einen "besonderen Wachzustand" und das "Ge-genteil von Konsum", auch ein Loslassen vom Alltag sowie die Möglichkeit, "die eigene Stimme zu finden".
Kobans Blick auf die Literatur beschränkt sich nicht auf das Äußere des Buchs, sondern für ihn steigert das Lesen auch die Empathie-Fähigkeit; außerdem erlaubt es, tiefer zu denken, zu träumen, Zeit für sich zu haben. Für Wehrle erweitert die Lektüre den Horizont und macht Freude. Und Tröger erblickt darin auch ein Mittel gegen Demenz.
Ein ganzes Tableau wichtiger Eigenschaften des Buches scheint auf, starke Gefühle eingeschlossen. Aber die alte Liebe muss gepflegt werden, damit sie nicht rostet. Längst befindet sich die Buchbranche in unruhigem Fahrwasser. Schon vor Corona waren die Verkäufe rückläufig. Und nicht jeder Käufer ist ein Leser, da Bücher oft verschenkt werden.
Auch in Bezug auf Heidelberg waren ernüchterte Töne vernehmbar. So ist die in den vergangenen Jahren hier geplante lokale Buchmesse offenbar zu den Akten gelegt worden, wie Wehrle erläuterte. Im Vergleich zu den eher überregional orientierten Literaturtagen widme sich nun der Literaturherbst der Szene vor Ort.
Tröger fragte Koban, was der Titel der Unesco City of Literature denn "eigentlich bringt". Antwort: "große Ehre und Pflicht". Es gelte, "kreative Entwicklungen und Teilhabe voranzutreiben". Aber die Leser "schwinden weltweit". Es gebe in Heidelberg jedoch viele Autoren und Verlage. In den Schulen sollten die entsprechenden Berufsbilder stärker vermittelt werden.
Überhaupt interessierte man sich sehr für die Schule als Ort der Begegnung mit Literatur. Sowohl Wagner als auch Koban erblickten dort ein wichtiges Aktionsfeld zur Förderung des Lesens. Diesbezüglich wurde auch die RNZ gelobt, beispielsweise für das Projekt "Schüler machen Zeitung".
Dicht dran an der Jugend ist auch noch die junge Autorin Bender, die für ihre Generation konstatierte, dass weniger Konzentration für längere Texte aufgewandt werde. Da die mediale Ablenkung eben sehr stark sei. Aber es müsse auch über das Leben der jungen Menschen geschrieben werden. Sie beziehen ihre Informationen weitgehend aus dem Internet und leben in aufgewühlten Zeiten.
Sogar noch an der Universität findet die Germanistik-Studentin Bender infolge der Verschulung "wenig eigenständiges Denken", was in der Folge auch das "eigenständige Schreiben" erschwert. Sie ist sowohl digital als auch analog unterwegs. Und während des Corona-Lockdowns hat sie etwa bei Instagram Texte streamen können, was immerhin zu einem Austausch und einer kleinen digitalen Gemeinschaft führte.
Konsens bestand darin, dass das E-Book nicht den großen Siegeszug angetreten hat. Und Tröger verwies auf den Hirnforscher Wolf Singer, der im Umblättern der Buchseiten eine spezielle Abspeicherung des Inhalts sieht, die in den digitalen Medien nicht gegeben sei. Überhaupt wurde das Buch auch als haptisches Erlebnis gewürdigt.
Einig waren sich schließlich alle darin, dass das Buch "nie weg sein wird", so Koban. Analoge wie digitale Formen würden sich nebeneinander ausdifferenzieren. Dem stimmte mit Bender auch die Jüngste in der Runde zu: Die Literatur habe ihr "unfassbar viel gegeben" und helfe, die Zukunft mitzugestalten.
Trögers Fazit: "Lesen lohnt sich."