Mit wachsamen Augen: der Fotograf Helmut Newton in dem Filmporträt des Dokumentaristen Gero von Boehm. Foto: Filmwelt
Von Wolfgang Nierlin
Heidelberg. "Kunst" und "guter Geschmack" seien für ihn "schmutzige Wörter", die er für die Charakterisierung seiner Arbeit ablehne, sagt der Fotograf Helmut Newton. Dagegen fühle er sich vom Vulgären angezogen. Nicht die Seele interessiere ihn, sondern der Körper. Dass dieser Körper auf Newtons tatsächlich meist seelenlosen, perfekt komponierten und in kühler Glätte erstarrten Bildern in der Regel weiblich und nackt ist, gehört zu seinen Markenzeichen.
Wenn ein solcher makelloser Körper mit dem Kopf voran im aufgesperrten Maul eines Krokodils verschwindet oder ein Hund breitbeinig über einer liegenden Frau thront, würzt der Fotograf sein Sujet von Macht und Unterwerfung noch mit einer wohldosierten Prise Obszönität. Aber auch sonst geizt der "professionelle Voyeur" nicht an durchgestylten, mäßig schmutzigen und immer schön fotografierten Tabubrüchen: Wenn er beispielsweise das Model Nadja Auermann im Rollstuhl und an Krücken ablichtet oder die schwarze (!) Popsängerin Grace Jones für ein skandalträchtiges Stern-Cover in Ketten legt.
Durchaus amüsiert und sehr wohlwollend sagt diese dann auch über den Meisterprovokateur: "Er war ein bisschen pervers, aber das bin ich auch." Ansonsten findet sie ihn "erotisch und tiefgründig", bewundert seine Arbeit mit natürlichem Licht und attestiert dem Fotografen, seine Bilder erzählten Geschichten. Dass Newton immer geschmackvoll, nie anzüglich gewesen sei, wie die Vogue-Chefredakteurin Anna Wintour meint, deutet auf die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbeschreibung, um die es unter anderem in Gero von Boehms Dokumentarfilm "Helmut Newton – The Bad and the Beautiful" geht.
Ausschließlich Frauen, die mit Newton gearbeitet haben, kommen darin zu Wort und finden in dessen Werk natürlich mehr Kunst als Schund. Durchweg haben sie ihn als leidenschaftlich, obsessiv und humorvoll kennengelernt. Bei manchen von ihnen, etwa der Schauspielerin Charlotte Rampling und der Sängerin Marianne Faithfull, hat er die jeweilige persönliche und künstlerische Entwicklung befördert. Andere wiederum wie zum Beispiel Isabella Rossellini reflektieren anhand von Newtons großen, (angeblich) starken Frauen über die "Kultur der Männer" und die insgeheime Angst vor jenen Geschöpfen, von denen sie doch so angezogen werden.
In Gero von Boehms mit vielen Fotos, illustren Gesprächspartnerinnen, dokumentierten Foto-Shootings und sogenannten Go Sees aufwartenden Film gibt es jenseits dieser Zuschreibungen kaum Versuche, Newtons Werk kritisch einzuordnen oder mit seiner Biografie zu verschränken. Relativ spät erfährt man etwas über die Kindheit und Jugend des 1920 als Helmut Neustädter in Berlin geborenen und in einer jüdischen Fabrikantenfamilie aufgewachsenen Fotografen, der seine Lehre im Studio der jüdischen Modefotografin Yva absolvierte und zugleich von den Körperbildern Leni Riefenstahls fasziniert war. Deren ästhetischer Einfluss auf das fotografische Werk Newtons, der vor den Nazis flüchten musste, führt aber weder beim Porträtierten, der "seine Zeit mit positiven Dingen verbringen" wollte, noch bei seinem filmischen Porträtisten zu Widersprüchen. Im Ernstfall diente Newton die Kamera als Distanzierungsmittel und Selbstschutz vor Zumutungen und Leid.
Nur einmal, 1979 in der französischen TV-Talkshow "Apostrophes", meldet sich mit der amerikanischen Kulturphilosophin Susan Sontag eine kritische Stimme zu Wort: Newtons Fotos seien frauenfeindlich und erniedrigend ("Der Meister betet seinen Sklaven an."); dagegen sei der Mensch hinter der Kamera aber ausgesprochen nett.
Info: Heidelberg, Gloriette: täglich 18.30 Uhr.