Am Pult des Deutsch-Amerikanischen Instituts: Sir Paul Nurse. Foto: Philipp Rothe
Von Arnd Janssen
Heidelberg. Hefezellen allein machen noch keine Revolution, und doch verhalfen sie Sir Paul Nurse 2001 zu seinem Medizin-Nobelpreis. Seine Beobachtungen an Hefekulturen führten zu neuen Erkenntnissen über den Lebenszyklus von Zellen und wie diese ihr Wachstum und Teilung regulieren. Der mittlerweile 70-jährige Brite kann wunderbar vermitteln, welch große Bedeutung die Wissenschaft als Motor der menschlichen Entwicklung hat. Zur Eröffnung der neunten Wissenschaftsfestivals "Geist Heidelberg" hielt Nurse den Vortrag "Science as Revolution" im Heidelberger DAI. Die Hypothese des Genetikers lautet: Die Wissenschaft hat Revolutionen hervorgebracht, die länger andauerten und die Menschheit nachhaltiger verändert haben als jede andere Art von Revolutionen.
DAI-Chef Jakob Kollhöfer war sichtlich stolz darauf, Nurse als Eröffnungsredner gewinnen zu können: "Dieses Festival ist eine Hommage an die Stadt. Paul Nurse steht besonders für diesen wissenschaftlichen Geist", sagte Kollhöfer. Nurse ist ehemaliger Direktor der Royal Society, einer altehrwürdigen Gelehrtensozietät. Auch Nurse verpflichtet sich dem Grundsatz dieser Gesellschaft, Wissenschaft rein auf Experimente, Beobachtungen und gut fundierte Beweise zu gründen.
Er zeigte auf, wie in etwa 10.000 Jahren neue Erkenntnisse die Welt revolutioniert haben. Angefangen mit der landwirtschaftlichen Revolution, bei der es den Menschen erstmals gelang, wilde Pflanzen als Feldfrüchte anzubauen: "Diese ‚Proto-Wissenschaftler‘ machten den Menschen sesshaft, und all dies passierte an mehreren Orten der Welt unabhängig voneinander", erklärte Nurse. "Man erkannte, dass bestimmte Materialien vonnöten sind, um sich weiterzuentwickeln." Auch das Metall.
Frühe griechische Wissenschaftler und Philosophen begründeten vor mehr als 2000 Jahren erstmals rationales Denken, bei dem "sie nicht eine übernatürliche Erklärung zitierten, ja sogar die Existenz von Göttern anzweifelten", so Nurse. Anschaulich stellte er in seiner Präsentation wesentliche Wissenschaftler und kluge Köpfe der Neuzeit dar. Zum Beispiel Francis Bacon, der Anfang des 17. Jahrhunderts mit der Feststellung "Wenn eine Person mit Gewissheiten beginnt, wird sie in Zweifel enden; doch wenn sie mit Zweifeln beginnt, wird sie in Gewissheiten enden", einen wichtigen geistigen Grundsatz der Wissenschaft prägte. Da wären natürlich auch Isaac Newton, Galileo Galilei oder Robert Hooke, die Naturgesetze formulierten und den Gebrauch von Wissen propagierten - in einer Zeit, in der Wissen nur einer bestimmten Gesellschaftsschicht zugänglich war. Nurse erwähnte außerdem Koryphäen wie Darwin oder Einstein, aber auch Pasteur und Mendel, die im 18. und 19. Jahrhundert unser Verständnis der Welt prägten. "All diese revolutionären Veränderungen haben als Antrieb für unsere Zivilisation gedient, die auch in Zukunft noch davon profitiert", argumentierte Nurse. Wissen ist für ihn nur gesichert, wenn es wiederholt überprüft werden könne. "Das müssen wir an Schulen lehren, dass Wissen nicht in Stein gemeißelt ist", forderte der Direktor des Francis-Crick-Instituts für Biomedizin in London.
Der Vortrag verbliebe bei einem geschichtlichen Überblick, der nicht unbedingt Insider des Wissenschaftsbetriebs ansprach, sondern ein geschichtlich interessiertes Publikum. Wer sich erhoffte, etwas über Nurses aktuelle Arbeit zu erfahren, wurde enttäuscht. Seine Ausführungen über die Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens wurden klar und deutlich vermittelt, und das galt auch für seine zentrale These: Nicht so sehr politische und gesellschaftliche Revolutionen hätte uns nachhaltig verändert, sondern die Früchte der Wissenschaft. Wissen lasse uns die Zukunft gestalten, so Nurse, aber vor allem: "Wissen muss angreifbar sein. Debatte und Nichtübereinstimmung muss sozial akzeptiert sein", plädierte der Brite. Nur so bleibe die Wissenschaft lebendig und glaubwürdig.