Entartete Kunst

Der Aderlass

Auf der Suche nach Kunst, die die Nazis entfernen ließen

29.05.2018 UPDATE: 03.06.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 14 Sekunden

Von Milan Chlumsky

Der Verlust war enorm: Mehr als 600 Werke sind der Mannheimer Kunsthalle in den 30er Jahren verloren gegangen - beschlagnahmt durch die Nazis. Meisterwerke, die Hitlers "Experten" als "entartete Kunst" bewerteten und aus den Museen entfernen ließen.

Diese großen Aderlässe werden nun seit sieben Jahren in Mannheim von Mathias Listl untersucht. Und zur Neueröffnung der Kunsthalle haben sich die Macher entschlossen, die Arbeit aufgefächert in drei große Themenbereiche zu präsentieren.

8. Juli 1933. Nach einer Denunziation werden sogenannte "kulturbolschewistische Machwerke" beschlagnahmt. Es handelte sich um 64 Gemälde, zwei Plastiken und 20 Grafiken von insgesamt 55 Künstlern. Erstaunlicherweise wurden einige der beschlagnahmten Werke der Kunsthalle zurückgegeben, Willkür herrschte überall.

Noch stärker traf die Kunsthalle die Aktion am 28. August 1937. Im Rahmen der deutschlandweiten "Reinigung der Museen von entarteter Kunst" verließen etwa 600 Gemälde, Skulpturen und Grafiken - darunter viele Meisterwerke - das Museum. Nicht wenige verschwanden für immer. Sie wurden nach Berlin transportiert, ein Teil wurde verbrannt oder eingeschmolzen, andere gegen Devisen ins Ausland verkauft oder an "ausgesuchte" Kunsthändler in Deutschland übergeben.

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Die Kunsthalle versuchte herauszufinden, wo einzelne Hauptwerke verblieben sind, was mit ihnen geschehen ist. So etwa das Gemälde "Junges Mädchen (Martha)" von Wilhelm Lehmbruck aus dem Jahr 1912, das von dem Mannheimer Sammler Sally Falk erworben und 1917 dem Museum geschenkt wurde. 20 Jahre später als "entartet" abqualifiziert, kam es 1954 wieder zum Vorschein. Seitdem befindet es sich im Besitz des Duisburger Lehmbruck-Museums, das es für die jetzige Präsentation der Kunsthalle zur Verfügung stellte.

Nur etwa ein Zehntel der Werke war nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in die Kunsthalle zurückgekehrt, darunter Max Beckmanns "Fastnacht", George Grosz’ Porträt des Schriftstellers Max Hermann-Neiße oder Zeichnungen von Oskar Schlemmer. Eine Notiz auf einem Sockel gibt den Besuchern nun eine erste Information über das Schicksal des Bildes. Wer sich detailliertere Informationen - auch über die einstigen Besitzer - wünscht, kann eine Schublade öffnen, in der das gesamte Wissen, inklusive eventueller Ergebnisse der Provenienzforschung, ausgebreitet ist. So erfährt man auch, dass Andreas Feinigers Gemälde "Halle, Marienkirche I" und Lovis Corinths "Walchenseelandschaft mit Lärche" ein Ersatz aus anderen deutschen Museen für die verlorenen Meisterwerke der Kunsthalle sind.

Die Ausstellung zeigt ebenfalls die Schicksale von fünf jüdischen Familien aus Mannheim, die der Kunsthalle Kunstwerke übergaben - zunächst aus enger Verbundenheit mit der Institution, später dann, weil sie gezwungen wurden, ihre Schätze zu übergeben. Andere hofften, als sie sich in die Emigration begaben, dass die Werke im Museum die Kriegszeit überstehen würden. Zur großen Verwunderung der Menschen, die um ihre Schicksale wussten, haben sie auch nach dem Krieg großzügig neue Werke geschenkt, etwa die Familie Tannenbaum.

Die Mannheimer Kunsthalle hatte in den Jahren vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten eine kluge Ankaufspolitik verfolgt. Einer der wichtigen Lieferanten, Stifter und Freunde des Hauses, war der Kunsthändler Herbert Tannenbaum (1892-1958), der nach schwierigen Jahren in New York wieder Fuß fasste. Anfang der 1960er Jahre schenkten die Witwe und Tochter Tannenbaums der Kunsthalle einige Werke. Im Unterschied zu anderen jüdischen Familien, wie etwa Richard und Milly Lenel, die 1949 aus dem Exil nach Mannheim zurückkehrten und der Kunsthalle ein Gemälde von Adolph Menzel stifteten, kehrte die Familie Tannenbaum jedoch nicht nach Mannheim zurück.

Es ist eine umfangreiche und verdienstvolle Arbeit, die der Provenienzforscher Listl seit sieben Jahren sehr kompetent geleistet hat. Sein Auftrag scheint sich dem Ende zu nähern, auch wenn noch sehr viel Arbeit - vor allem auf dem Gebiet der Grafiken - nötig ist. Eine Verlängerung seines Mandats würde sicherlich noch viele spannende Ergebnisse liefern.

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