Joachim Kühn Foto: Juanjo Ibz
Von Christian Broecking
Heidelberg. Es war ein schöner Sonntagnachmittag in Leipzig, als der Festivalmacher Bert Noglik und der Pianist Joachim Kühn bei Thomaskantor Georg Christoph Biller zu Besuch waren. Im selben Haus, wo Johann Sebastian Bach einst wohnte. Bei den Leipziger Jazztagen kam es daraufhin 1998 zum ersten gemeinsamen Konzert mit dem 80-köpfigen Thomanerchor, "und es ging beinahe wie Jazz vor sich", erinnert sich Kühn im Gespräch anlässlich seines 75. Geburtstags im März.
Zuvor hatte Kühn bereits damit begonnen, Bachs Geigen-Sonaten fürs Klavier zu adaptieren. "Ornette Coleman hatte mich nach unserem Leipziger Konzert gefragt, warum ich eigentlich nichts mit Bach machen würde. Als Coleman dann von der ganz persönlichen Art des Improvisierens sprach, kam ich auf die Idee mit den Geigensonaten. Und als Biller mir nach unserem ersten Konzert sagte, dass Bach heute genauso improvisiert hätte wie ich, war ich richtig glücklich."
Joachim Kühn kam 1960 über die Ornette-Coleman-Platte "This Is Our Music" zum Jazz. Kühn lebte damals noch in Leipzig, sechs Jahre später floh er mit Hilfe seines Bruders Rolf über Hamburg nach Paris und spielte in der Band des Trompeters Don Cherry, Mitbegründer des legendären Ornette Coleman Quartet. Coleman und Cherry hatten genau die Musik erfunden, die Kühn auch spielen wollte. Mit seinen "Harmolodics" genannten Kompositionen wollte Coleman in der Art und Weise des musikalischen Ausdrucks keinerlei Beschränkungen mehr unterworfen sein. Drei Jahrzehnte kam Colemans Musik ohne Klavier aus, die gemeinsame Duo-CD "Colors" dokumentiert 1996 dann den Beginn der intensiven musikalischen Zusammenarbeit von Coleman und Kühn.
Dem Jazz tue ein gutes Maß an Aggressivität gut, resümiert Kühn anlässlich seines 1999 eingespielten und Coleman gewidmeten Hauptwerks "The Diminshed Augmented System". Auf seinem aktuellen Album "Melodic Ornette Coleman" führt der große Joachim Kühn in einer grandiosen Solo-Aufnahme vor, wie virtuos und spannend, herausfordernd und zerbrechlich zugleich die musikalischen Ideen von Ornette Coleman heute interpretiert werden können.
Anlässlich seines Jubiläumskonzerts bei Enjoy Jazz tritt Joachim Kühn zusammen mit dem Saxofonisten Archie Shepp auf. Auf dessen eigenem Label Archieball erschien bereits Anfang des Jahrzehnts das gemeinsame Duo-Album "Wo!man", das sie nun im Rahmen eines ihrer raren Duo-Konzerte im Heidelberger Schloss präsentieren. Auch hier glänzen die beiden großen Künstler Shepp und Kühn mit einer bezaubernden Version von Ornette Colemans "Lonely Woman".
Info: www.enjoyjazz.de