Mit satirischem Rollenprofil und toller Kostümierung: Sheila Eckhardt als Polly Peachum zusammen mit anderen Ensemblemitgliedern und den Musikern der Band "Tante Polly" in Holger Schultzes Inszenierung der "Dreigroschenoper". Foto: Sebastian Bühler
Von Volker Oesterreich
Heidelberg. Eine runde Sache. Durch und durch. Das signalisiert gleich auf den ersten Blick das Bühnenbild mit den acht sich nach hinten verkleinernden Lichtkreisen, die den Tunnelblick auf Bertolt Brechts und Kurt Weills größten Reißer schärfen: auf "Die Dreigroschenoper". Vor 91 Jahren wurde die sozialkritisch zugespitzte Adaption von John Gays "Beggar’s Opera" (1728) am Berliner Schiffbauerdamm uraufgeführt, damals ein Theatertanz auf dem Vulkan, der zum Kassenknüller wurde und den Brecht-Enkeln bis heute tolle Tantiemen beschert.
Das Gespann Brecht/Weill erreichte damit den Zenit seines Ruhms. Ein wenig Glanz strahlte auch auf Brechts Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann ab. Sie hatte maßgeblichen Anteil an dem Theatercoup, was den Brecht-Biografen John Fuegi dazu veranlasste, die Arbeitsmethode des freizügig mit seinen Quellen und noch freizügiger mit seinen Mitarbeiterinnen umspringenden Berserkers auf die Formel "Sex for Text" zuzuspitzen.
Sexappeal haben die schmissigen Songs des Stücks auch für Heidelbergs Intendanten Holger Schultze, der seit langem als Brecht-Experte bekannt ist. Im Marguerre-Saal des Theaters wagt er kurz vor dem Saison-Finale was Neues: Bei ihm rundet sich "Die Dreigroschenoper" zur Nummern-Revue inmitten der Leuchtkringel des Ausstattungs-Duos Lorena Díaz Stephens und Jan Hendrik Neidert. Sie sind Herrin und Herr der Ringe eines Showrooms, in dem meistens der Schwarzweiß-Kontrast dominiert, um die knallig bunte Wirkung der großartig designten Kostüme zur Geltung zu bringen. Nur wenn die Songs zum Satirisch-Kitschigen tendieren - das sollen sie ja zuweilen -, dann flackern die Kringel auch mal bonbonbunt. Die Musiker der Band "Tante Polly" sind ausstaffiert, als wären sie einem Spiderman-Comic entsprungen. Alle anderen dürfen ebenfalls in phantasievollen Kostümen glänzen.
Aber mal ehrlich: Der Plot der "Dreigroschenoper" ist - vom systemkritischen Gehalt abgesehen - total trivial. Im Kern dreht sich alles um eine Hochzeit, die den Eltern der Braut überhaupt nicht passt. Deshalb bieten die beiden Herrscher über die Londoner Bettler-Armee alles auf, um Mackie Messer, den Gangster-Gspusi ihres Töchterleins Polly, hinter Gitter und möglichst auch an den Galgen zu bringen. Alle werden zu diesem Zweck instrumentalisiert: die Bettler, die Huren und erst Recht die korrupte Polizei. Am Ende - Mirakel, Mirakel - entgeht Mackie aber doch dem Strick, der königliche Bote macht’s möglich. In Heidelberg schippert er per Schwanenboot herbei als wäre er ein zweiter Lohengrin. Satirische Momente wie diesen gibt’s viele in Schultzes Inszenierung - zum Vergnügen des Publikums, das am Ende lange und rhythmisch klatscht.
Besonders gefeiert werden die so kesse wie pampige Sheila Eckhardt als Polly und der Erzkomödiant Steffen Gangloff, der als Mackie Messer ganz schön verdutzt durch die Gitter glotzt, als seine Angetraute per Rhönrad im Knast vorbeirollt. Dort liefert sie sich einen erstklassig intonierten Zickenkrieg mit der eifersüchtigen Lucy (Katharina Wittenbrink). Katharina Quast hat als Mrs. Peachum mehr Haare auf den Zähnen als in ihrer Betonfrisur-Perücke und Hans Fleischmann macht aus seinem Mr. Peachum die Karikatur eines Erzintriganten mit erpresserischem Potential.
Wer zählt all die Namen, zählt die Titel von der "Moritat des Mackie Messer" mit den Haifischzähnen im Gesicht über den schmissigen "Kanonensong" bis zur Bravournummern der Spelunkenjenny (Claudia Renner) oder zum "Mond über Soho"? Letzterer gibt den Anlass zur Trapez-Nummer in zwei emporschwebenden Ringen. Macht auch was her!
Dominik Dittrich und seine Band haben sich auf Weills Dixieland- und Walzer-Sound, auf seine Choral-Parodien und all die Schlager-Anleihen zwar mit gutem Gespür eingelassen, aber dennoch wünscht man sich von ihnen noch mehr Lockerheit, noch mehr Schmiss, noch mehr Tempo. Im Laufe der nächsten Vorstellungen werden sie das bestimmt erreichen.
Die Kartennachfrage ist schon jetzt enorm, weil so viele die berühmten Songs und das berühmteste aller Brecht-Zitate live erleben wollen: "Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes?"