Linguist Ekkehard Felder, die Moderatoren Marcus Imbsweiler und Jutta Wagner und die Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner (von links). Foto: RNZ
Von Daniel Schottmüller
Heidelberg. Eigentlich mutig, diese Einladung anzunehmen. Wer als Politiker an einer Veranstaltung mit dem Titel "Alles Lüge? Wie Politiker*innen heute sprechen" teilnimmt, sollte zumindest keine verbalen Streicheleinheiten erwarten dürfen. Falls sie nervös ist, lässt sich Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner das am Montag aber nicht anmerken. Aus Berlin zugeschaltet, trifft sie in einer vom Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg ausgerichteten Diskussionsrunde auf den Sprachwissenschaftler Ekkehard Felder.
Werden der Germanist und das Moderatoren-Duo von Heidelberg aus versuchen, ihre Abgeordnete der Lüge zu überführen? Wird die Art und Weise, wie Brantner mit Wählern kommuniziert, kritisch durchleuchtet? Die kurze Antwort: nein. Und doch entfaltet sich im Verlauf des knapp zweistündigen Livestreams ein spannendes Gespräch.
"Ich hätte nie gedacht, dass ich nur noch bewacht von einer Polizeigarde in den Bundestag hereinkomme", zeigt sich die Abgeordnete besorgt über den fragilen Zustand demokratischer Institutionen. Ihr Gegenüber nimmt’s gelassener. "Ich sehe nur, dass Menschen ängstlicher werden und Fragilität herbeireden", kontert Ekkehard Felder. Berufspolitikerin trifft auf Berufsoptimist. Brantner betont, wie frustrierend es sei, dass das Infektionsschutzgesetz von AfD-Politikern als Ermächtigungsgesetz verunglimpft werde. Felder beobachtet eher ein Spiel mit dem Tabubruch: "Sie halten uns ein Stöckchen hin und wir springen drüber wie die dressierten Hunde."
Aber was ist die adäquate Antwort, wenn Politiker bewusst Unwahrheiten verbreiten? Felder warnt vor einer Aufwertung, in dem man diesen Unwahrheiten zu oft auf der Sachebene begegnet. Brantner plädiert dafür, Begrifflichkeiten einzuordnen und für Orientierung zu sorgen. Nicht nur an dieser Stelle des Gesprächs fällt auf, dass die Beteiligten, einschließlich der Moderatoren, lügende Politiker vornehmlich im rechtspopulistischen Spektrum zu verorten scheinen. Gauland, Grillo und Trump werden als Beispiele bemüht. Kritik am Kommunikationsstil etablierter deutscher Politiker wird kaum geäußert. Umgekehrt bedauert Brantner, dass das deutsche Publikum redegewandten Politikern von vornherein mit Skepsis begegne.
Stellenweise übt die Abgeordnete aber auch sanfte Selbstkritik. Sie bekomme nicht gern gesagt, dass sie etwas zu tun habe. Deshalb versuche sie, die Politiker-Floskel "wir müssen" aus ihrem Vokabular zu verbannen. Auch habe ihre Partei eingesehen, dass es nicht sinnvoll sei, den Begriff Heimat den Konservativen zu überlassen. Spannend wäre es gewesen, die strategischen Überlegungen hinter solchen rhetorischen Entscheidungen weiter zu hinterfragen. Stattdessen darf sich Brantner ausführlich dazu äußern, wie viel Mühe sie sich bei der Beantwortung von Anfragen macht und wie sehr sie sich um Transparenz bemüht. Das wirkt zwar nicht unehrlich, trägt aber nur bedingt zum Erkenntnisgewinn bei.
Auf abstruse Weise unterhaltsam dagegen die Beiträge im Chatfenster des Streams. Von Schafen ist da die Rede und einem "antromorphen" Jesus, von Kommunisten und Schmierenkomödianten. Umso relevanter erscheinen da die Fragen der Moderatoren zu Internethetze und Verschwörungstheorien. Früher habe man am Stammtisch gepoltert, heute eben im Netz, meint Felder. Franziska Brantner verweist stattdessen auf die Reichweite: Statt um zehn Stammtischbrüder gehe es heute um ein Online-Publikum von tausenden von Menschen. Damit hat sie recht. Auch der Livestream der Diskussionsrunde wurde am Dienstagabend bereits knapp 2500 Mal aufgerufen.