Hintergrund "Durch die Verrohung resignieren Lehrkräfte"

02.05.2018 UPDATE: 02.05.2018 06:00 Uhr 1 Minute, 36 Sekunden

Probleme bereiten insbesondere Brennpunktschulen

Interview mit Heinz-Peter Meidinger​, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes

Herr Meidinger, die Gewerkschaft VBE schlägt Alarm. Laut einer Umfrage ist die Gewalt an den Schulen deutlich gestiegen. Wie dramatisch ist die Entwicklung?

Bis 2015 war die Gewalt an Schulen rückläufig. Danach haben wir eine Trendwende erlebt. In Bayern sind knapp 20 Prozent mehr Gewalttaten an Schulen registriert worden. Auch in anderen Bundesländern wie in Nordrhein-Westfalen, Berlin, Hessen und Niedersachsen hat es einen Anstieg gegeben. Da gibt es Diebstahlsdelikte, Sachbeschädigungen und auch Körperverletzungen. Die Statistiken sind aber sehr undifferenziert. Manche Länder erfassen alles, andere wiederum nur Straftaten. Man kann nicht sagen, dass Schulen in Deutschland generell unsicherer geworden sind. Aber es gibt Schulen in sozialen Problemvierteln, die Brennpunkte sind, an denen sich die Probleme ballen. Dabei handelt es sich um Schulen mit ungünstiger sozialer Zusammensetzung und auch hohem Migrationsanteil. Fast die Hälfte der Gewalttaten an Berliner Schulen konzentriert sich auf 10 Prozent der Bezirke. Soziale Ausgrenzung, Kinderarmut, mangelnde Integration - all das führt zur Gewalt.

An jeder vierten Schule sollen Lehrer tätlich angegriffen werden.

Körperliche Gewalttaten gegen Lehrer sind eher Einzelfälle. Wenn in der Studie des Verbandes Bildung und Erziehung die Rede davon ist, dass Lehrer in jeder vierten Schule mit körperlichen Angriffen rechnen müssen und dies auch für Grundschulen gelten soll, macht mich das stutzig. Was gilt da als körperliche Gewalt? Wir beobachten einen deutlichen Anstieg von psychischer Gewalt. 70 Prozent der Lehrkräfte sind weiblich. An Grundschulen sind es sogar 90 Prozent. Kinder aus bestimmten Kulturkreisen wie etwa Nordafrika akzeptieren Frauen teilweise nicht. Das ist ein großes Problem.

Wie reagieren die Lehrer?

Wir stehen an einem Scheidepunkt. Gerade die Brennpunktschulen leben davon, dass sie sehr sehr engagierte Lehrkräfte haben. Das sind oft Idealisten. Durch die Verrohung und steigende Gewalt resignieren immer mehr dieser Lehrkräfte. Sie haben oft Angst, überhaupt noch klar Flagge zu zeigen und gehen in die innere Emigration. Die Gruppe der Lehrer, die resignieren, wird größer. Wir laufen Gefahr, dass da etwas an den Schulen kippt. Das wirkt sich auch auf den Lehrernachwuchs aus. Bestimmte Schulen werden von angehenden Lehrern schon gemieden.

Wie kann man gegensteuern? Was muss geschehen?

An erster Stelle ist die Politik gefordert, die ihre Hausaufgaben machen muss. Wir baden an den Schulen auch gesellschaftliche Missstände und Fehlentwicklungen aus. Es muss viel mehr für Integration getan werden. Das gilt auch für soziale Integration. Wir müssen viel mehr für Problemschulen tun. Die müssen besser ausgestattet werden als andere und mehr Lehrer, Sozialarbeiter und Schulpsychologen bekommen.

Interview: Andreas Herholz, RNZ Berlin