Grausames Ende einer toxischen Beziehung

16.03.2023 UPDATE: 16.03.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 31 Sekunden

Von Alexander Albrecht

Frankenthal/Ludwigshafen. Der abgetrennte Unterarm eines toten jungen Mannes, wie ein einfaches Stück Fleisch auf den Balkon ihrer Wohnung im Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim geworfen. Samira A. kann den Anblick nicht vergessen. Es ist der grausame Schlusspunkt einer Beziehung mit manchen Aufs und viel mehr Abs. Dabei ist die Somalierin zunächst angetan, als sie Anfang 2019 ihren Landsmann Liban M. kennenlernt. Sie ist damals niedergeschlagen. Depressiv, wie die heute 34-Jährige sagt. Er habe sie wieder aufgebaut, sei "sehr positiv und offen gewesen", bringt ihr Tee und Medikamente vorbei.

Samira A. sitzt am Mittwochmorgen in irgendeinem Gericht, das genauso wenig bekannt gegeben wird wie ihr Aufenthaltsort. Weil sie Angst hat. Angst vor weiteren Anfeindungen und Bedrohungen, auch rassistischer Art. Und wahrscheinlich würde sie es nur schwer ertragen, ihrem Ex-Freund in die Augen zu sehen.

Liban M. ist angeklagt, am 18. Oktober 2022 in Oggersheim zwei Maler auf offener Straße erstochen und einen weiteren Mann in der Filiale eines Drogeriemarkts lebensgefährlich verletzt zu haben. Auf zwei Bildschirmen in Saal 20 des Frankenthaler Landgerichts ist Samira A. neben ihrem Anwalt zu sehen. Die erste Strafkammer wird sie bis in die Abendstunden vernehmen. Rekonstruktion einer Partnerschaft, die auch Aufschluss über das unfassbare Verbrechen und in die Psyche des Angeklagten geben soll.

Samira A., Hausfrau und Mutter von zwei minderjährigen Kindern aus einer anderen Beziehung, und der circa acht Jahre jüngere Angeklagte sind erst wenige Monate ein Paar, als sie Veränderungen an ihm feststellt. "Er ist immer besitzergreifender und kontrollierender geworden", sagt die tapfere Frau, die überwiegend ruhig und gefasst alle Antworten des Gerichts beantwortet.

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Los geht es damit, dass der mutmaßliche geständige Doppelmörder ihr Handy an sich nimmt, ihren Ex-Mann und ihren Vater kontaktiert. Samira A. ist wütend und fühlt sich eingeengt, es gibt immer wieder Streit. Schließlich wird ihr Freund im Mai 2019 sogar handgreiflich. "Er hat mir zwei Backpfeifen verpasst und mich gewürgt", sagt sie und zeigt ihn bei der Polizei an. Aus freien Stücken räumt sie eine damalige Lüge ein. Gegenüber den Beamten hatte sie angegeben, dass ihr Partner drohte, sie vergewaltigen zu wollen. "Ich wollte, dass etwas passiert und getan wird", erklärt Samira A.

Liban M. erhält unter anderem wegen Beleidigung und Körperverletzung einen Strafbefehl von 100 Tagessätzen. Unterschrieben hat ihn ein Richter des Amtsgerichts Ludwigshafen – der als Ersatzrichter auch an dem aktuellen Prozess teilnimmt, nicht aber der Kammer angehört. Dieser Umstand könnte noch Fragen aufwerfen, vor allem nach der Befangenheit. Die Strafe zahlt Liban M. nicht, sondern sitzt sie – aber erst im Frühjahr 2022 – im Gefängnis ab.

Samira A. macht nach der Attacke in ihrer Wohnung Schluss. Ihr Ex-Freund akzeptiert die Trennung nicht, steht häufig vor ihrer Wohnungstür und schickt unzählige Nachrichten. Die beiden nähern sich wieder an. Doch Liban M. wird immer wunderlicher, verdächtigt sie, sein Essen zu vergiften oder bezichtigt Nachbarn, die beiden zu belauschen und mit ihr eine geheime Kommunikation über Niesen und Husten zu führen. "Das stimmt alles nicht, für ihn aber war es real", sagt die Somalierin und rät ihm, wegen seiner "Psychosen und Halluzinationen" einen Psychologen aufzusuchen. Er habe zwar selbst bemerkt, dass mit ihm etwas nicht stimmt, "wollte aber einen Exorzisten haben".

Das Beziehungsdrama geht weiter, Samira A. hat wieder Gefühle für Liban M. und lässt sich überreden, ihn nach islamischem Recht, nicht standesamtlich, zu heiraten. Das Glück hält nur wenige Tage. Dann wirft der Angeklagte ihr vor, ihn zu betrügen und ist überzeugt, böse Nachbarn wollten seiner Frau und den Kindern etwas antun.

Unter seinem Bett entdeckt sie ein Küchenmesser mit einer 20 Zentimeter langen Klinge, vermutlich die spätere Tatwaffe. Als sie nach dem Fund – wieder mal – die Polizei ruft, hätten ihr die Beamten zugesagt, Liban M. zwar einen Platzverweis zu erteilen, ihm aber das Messer nicht abnehmen zu können, das sei sein Eigentum. Die große Frage des Prozesses ist, ob der Angeklagte schuldfähig ist oder dauerhaft in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen wird. Das Gericht wird dazu noch einen Experten hören.