Heidelberg

Die Kinos brauchen mehr Unterstützung

In der Kino- und Filmlandschaft fehlen Einnahmen und auch Personal und trotzdem ist es eine "lebendige Szene".

27.07.2022 UPDATE: 27.07.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 15 Sekunden
Voll besetzte Kinosäle wie hier im „Karlstorkino“ am östlichen Ende der Altstadt sind seit Beginn der Corona-Pandemie auch in Heidelberg zur Seltenheit geworden. Im Jahr 2021 waren die Säle bis zu 70 Prozent schlechter besucht als noch 2019. Archivfoto: Philipp Rothe

Von Philipp Neumayr

Heidelberg. Es ist nur ein paar Jahrzehnte her, da gab es in Heidelberg Kinos und Filme an jeder Ecke. Heute gibt es nur noch vier feste Lichtspielhäuser in der Stadt (s. Hintergrund). Wie geht es der Heidelberger Kino- und Filmszene? Das wollte die Film- und Sozialwissenschaftlerin Morticia Zschiesche wissen. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die aktuelle Situation, das Potenzial und mögliche Maßnahmen zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der Kino- und Filmfestivallandschaft zu untersuchen. Welche Erkenntnisse sie gewonnen hat und welche Empfehlungen sie daraus ableitet.

Hintergrund

> Nach Kriegsende entwickelte sich Heidelberg zur "Kinohauptstadt der Republik": Ende der 50er-Jahre kamen hier auf 100 Einwohner mehr als sieben Kinosessel. 1949 eröffnete die "Kamera" (Brückenstraße 26) in Neuenheim, 1952 das Kino "Fauler Pelz" (Zwingerstraße 18) in der

[+] Lesen Sie mehr

> Nach Kriegsende entwickelte sich Heidelberg zur "Kinohauptstadt der Republik": Ende der 50er-Jahre kamen hier auf 100 Einwohner mehr als sieben Kinosessel. 1949 eröffnete die "Kamera" (Brückenstraße 26) in Neuenheim, 1952 das Kino "Fauler Pelz" (Zwingerstraße 18) in der Altstadt, 1954 das "Regina" (Bergheimer Straße 130) in Bergheim und 1955 das "Studio Europa" (Rohrbacher Straße 71) in der Weststadt. Aber auch in Kirchheim ("Roxy", Lochheimerstraße 10) und Rohrbach ("Metropol", Karlsruher Straße 76/78) eröffneten in den Nachkriegsjahren neue Kinos.

> Das Heidelberger "Kinosterben" setzte im Jahr 1971 ein, mit der Schließung des "Odeon-Lichtspielhaus" in der Hauptstraße 37. 1980 fiel das Studentenkino "Fauler Pelz" der Stadtsanierung zum Opfer. 2000 schloss zwischenzeitlich die "Kamera", kurz darauf musste auch die "Kammer" in der Hauptstraße 88 dichtmachen. 2009 hieß es dann zum letzten Mal "Film ab!" im "Schlosskino" (bis 2012: "Theaterkino") in der Hauptstraße 42. 2011 schloss das "Studio Europa" und Anfang 2014 das "Lux Harmonie" in der Hauptstraße 110.

> Aktuell gibt es mit "Gloria/Gloriette" und "Karlstorkino" (beide Altstadt), der "Kamera" (Neuenheim) sowie dem großen "Luxor-Filmpalast" (Bahnstadt) nur noch vier feste Kino-Standorte. pne

[-] Weniger anzeigen

> Der Hintergrund: Infolge der Corona- Pandemie beauftragte die Stadt erstmals die Erarbeitung einer Kinokonzeption: Von November 2021 bis Juni 2022 hat Zschiesche 17 Akteure aus der Heidelberger Kino- und Filmkunstlandschaft befragt. Dazu gehören die Betreiber der drei regulären Kinobetriebe – das Multiplex-Kino "Luxor" in der Bahnstadt, das kommunale "Karlstorkino" und die Programmkinos "Gloria/Gloriette" und "Kamera" –, aber auch die Veranstalter von temporären Kinos, Wander- und Open-Air-Kinos sowie von Festivals wie dem Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg. Zudem hat Zschiesche Interviews und Hintergrundgespräche mit Experten geführt und ergänzende Studien ausgewertet.

> Die Rahmenbedingungen: Insbesondere die Pandemie hat den Kinos stark zugesetzt. 2020 wurden bundesweit mehr als zwei Drittel (68 Prozent) weniger Kinokarten verkauft als 2019, auch 2021 waren es noch 64 Prozent weniger als im Jahr vor Corona. Für die Kinos bedeutete dies rund 80 Millionen Euro (2020) und 76 Millionen Euro (2021) weniger an Einnahmen. Weitere Probleme sind etwa der Fachkräftemangel, die Konkurrenz durch Streamingdienste, Investitionsstaus beim digitalen und nachhaltigen Wandel, fehlende Rücklagen und eine fehlende Verlässlichkeit bei der Zukunftsplanung.

Wolfgang Erichson, Morticia Zschiesche und Andrea Edel (v.l.) präsentierten die Studie.

> Die Situation in Heidelberg: Seit 2005 findet eine Konzentration des Filmangebots auf immer weniger Kinobetreiber statt. Parallel zum "Kinosterben" ist seit der Jahrtausendwende aber auch eine Ausweitung der Kino- und Filmangebote zu beobachten: So kamen neue Themenfestivals und temporäre Kinos hinzu. Vor allem Open-Air-Angebote wurden auch in Zeiten der Corona-Pandemie gut genutzt: Während die Filmfestivals, die regulären und temporären Kinos 2021 deutlich schlechter besucht waren als 2019 (bis zu 70 Prozent), konnte etwa das "Woanders"-Kino im gleichen Zeitraum seine Besucherzahl verdoppeln. Ein Problem, das alle Betreiber und Veranstalter haben: Es fehlt an Personal – auch weil Kinoarbeit als unattraktiv und unsicher gilt. So sind in der Heidelberger Branche weniger als die Hälfte (48 Prozent) der Beschäftigten fest angestellt in Voll- oder Teilzeit, mehr als ein Drittel der Stellen (35 Prozent) werden von Mini-Jobbern oder Ehrenamtlichen besetzt. Neben dem Personalmangel beklagen die befragten Akteure in erster Linie spürbare Einbrüche bei Einnahmen und bei der Platzauslastung. Zwei Akteure, das große "Luxor"-Kino in der Bahnstadt und das Kurzfilmfestival "Zum Goldenen Hirsch", gaben sogar an, sich in ihrer Existenz bedroht zu sehen.

Auch interessant
TikTok-Trend: Wo "Gentleminions" (nicht mehr) ins Kino gelassen werden
Weinheim: Alfred Speiser weitet sein Angebot mit Kino-Outdoor-Lounge aus
Freiräume in Heidelberg: "Kultur ist mehr als nur eine Ware"
Alex Garland im RNZ-Interview: Psychothriller "Men" um toxische Männlichkeit ist hochaktuell

> Die Schlussfolgerungen: Aktuell verfügt Heidelberg laut Zschiesche noch über eine "lebendige Kino- und Filmkulturlandschaft, die eng mit der Stadtgesellschaft und zahlreichen Institutionen verbunden ist". Damit das so bleibt, hat sie mehrere Handlungsempfehlungen an die Stadt formuliert: So brauche es auf lokalpolitischer Ebene mehr Anerkennung von Kinos und Filmfestivals "als kulturelle Orte der Demokratie und Teilhabe". Zudem sollten diese "in ihrer Vielfalt, Ausgestaltung, Professionalisierung und Digitalisierung kontinuierlich stärker gefördert und an zentralen Stellen der Stadt besser sicht- und erlebbar gemacht werden".

> Die nächsten Schritte: Die Stadt wolle in Heidelberg weiterhin "eine abwechslungsreiche und vielfältige" Kinoszene erhalten, sagt Kulturbürgermeister Wolfgang Erichson (Grüne). "Die Kinokonzeption gibt dafür eine gute Grundlage." Auch Kulturamtsleiterin Andrea Edel, die in Zschiesches Arbeit miteingebunden war, freut sich über die "äußerst aussagekräftige und präzise Konzeption". Am 20. Oktober soll diese in der Sitzung des Kulturausschusses offiziell auch den Stadträten vorgestellt werden. Schon jetzt gibt es erste konkrete Ideen, wie den Kinos geholfen werden soll: So ist für den 2. Oktober eine stadtweite "Kinonacht" geplant.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.