Angeklagter zu langer Haft verurteilt – Bruder freigesprochen (Update)
Prozess am Heidelberger Landgericht: Der 50-Jährige bekommt sieben Jahre und neun Monate. Der Bruder wird verwarnt.

Von Sabrina Lehr
Bammental/Heidelberg. Die Szene ist bezeichnend: Als der ältere Bruder von der Anklagebank aufsteht, klirren seine Fußfesseln hörbar. Als der Jüngere sich erhebt, behindert ihn nichts. Er verlässt das Heidelberger Landgericht am Mittwoch als freier Mann, sein Bruder als Verurteilter. Wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung an einem 88-jährigen Bammentaler sowie Diebstahls und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs hat die Große Strafkammer den 50-jährigen Moldauer zu sieben Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.
Seinen 43-jährigen Bruder sprach die Kammer frei. Der auch aus Moldau stammende Mann erhält eine Verwarnung mit Strafvorbehalt, weil er gegen das Aufenthaltsgesetz verstoßen und sich gefälschte Papiere verschafft hat. Für acht Monate in Untersuchungshaft wird er entschädigt.
Nach fünf Prozesstagen ist das Gericht überzeugt, dass nur der 50-Jährige für den Angriff verantwortlich ist, der den 88-Jährigen zum Pflegefall machte. Überzeugt ist die Kammer um den Vorsitzenden Richter Jochen Herkle auch, dass der 50-Jährige bei den Schlägen auf den Bammentaler "mit bedingtem Tötungsvorsatz" handelte. "Bei so massiven Einwirkungen auf den Kopf eines alten Mannes" sei das Risiko "so offensichtlich, dass auch ein Angetrunkener sich davor nicht verschließen kann". Nicht überzeugt ist die Kammer aber davon, dass die Tat aus Habgier erfolgte, um an Auto und Geld des Opfers zu gelangen.
Die Version der Tat vom 11. März, die das Gericht für plausibel hält, zeichnet das Bild einer spontanen "Gewaltexplosion", wie Richter Herkle es nannte. Demnach sei der 50-jährige Zootechniker, der sich als Saisonarbeiter verdingte, nach einem Streit mit seiner Familie mit dem Fahrrad und einer Flasche Wein nach Bammental gefahren. Im Supermarkt in der Hauptstraße habe er Alkohol gekauft und einen halben Liter Wodka und ebenso viel Bier getrunken. Nach einem "unerfreulichen Telefonat mit zu Hause", so Herkle, sei er auf sein Opfer getroffen, das gerade seinen vergessenen Gehstock im Markt geholt hatte. Der 88-Jährige habe sich wohl an dem Trinkenden gestört und ihn angesprochen. Der Moldauer fühlte sich nach eigener Aussage "angegangen", ohne den deutsch sprechenden Senior zu verstehen. Diese These hielt die Kammer nach Zeugenaussagen, nach denen der 88-Jährige "deutlich" habe werden können, wenn ihn etwas störte, für "naheliegend".
"Das führte zu einer Gewaltexplosion bei dem Angeklagten, der derart massiv auf sein Opfer eindrang, dass er Stunden später noch eine starke Schwellung an der rechten Hand aufwies", so Herkle. Die Kammer geht von mindestens vier "wuchtigen Faustschlägen" gegen Kopf und Gesicht und einem Treffer mit einem Gegenstand aus, die das Opfer zu Boden brachten. "Der Angeklagte hat trotz seiner Alkoholisierung erkannt, dass das tödlich enden kann,was ihm gleichgültig war", so Herkle. In Panik sei der 50-Jährige im Auto des Opfers geflohen. Den alten Mann ließ er liegen. Er wurde am nächsten Morgen gefunden – mit schweren, aber "nicht lebensbedrohlichen Verletzungen". Erst spät, so folgte das Gericht der Aussage des 50-Jährigen, soll er knapp 250 Euro im Auto entdeckt haben. Die Scheine fand die Polizei in seinem Socken, als sie den Moldauer nach einem von ihm mit dem gestohlenen Auto verursachten Unfall festgenommen hatte. Noch in der Nacht wurden bei dem Mann 2,2 Promille Blutalkohol festgestellt.
Die Videoüberwachung des Markts, Handydaten und Blut des Opfers an seiner Kleidung belegen die Tat des 50-Jährigen. Für eine Beteiligung des 43-Jährigen lägen aber "objektiv überhaupt keine Hinweise" vor. Handydaten sprechen für seine Anwesenheit in Gaiberg zur Tatzeit, Opfer-DNA war nicht an seiner Kleidung und Aussagen von Opfer und Zeugen, am Tatort zwei Männer gesehen zu haben, seien "mit Vorsicht zu genießen". Wegen des Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz hielt die Kammer "allenfalls eine Geldstrafe" von 45 Tagessätzen à zehn Euro für angemessen, die zur Bewährung ausgesetzt wird.
Für das Strafmaß des 50-Jährigen sei berücksichtigt worden, dass er bei der Tat aufgrund massiver Alkoholisierung vermindert steuerungsfähig war. Zudem habe das Opfer überlebt, weswegen das Gericht einen "Mangel an Vollendungsnähe" sah. Der 50-Jährige akzeptierte das Urteil und will auf eine Revision verzichten.
Update: Mittwoch, 16. November 2022, 20.10 Uhr

Am Mittwoch soll das Urteil fallen
Bammental/Heidelberg. (lesa) 21 Zeugen und drei Sachverständige sind gehört. Der Prozess wegen versuchten Mordes an einem 88-jährigen Bammentaler steht vor dem Abschluss. Am vierten Verhandlungstag vor dem Heidelberger Landgericht forderte die Staatsanwaltschaft nun eine lebenslange Haftstrafe wegen versuchten Mordes, mindestens von elf Jahren und acht Monaten. Zumindest für den älteren der angeklagten Brüder, der die Vorwürfe bekanntlich teils eingeräumt hat. Er soll das Opfer, das seit der Tat ein Pflegefall ist, verprügelt und hilflos zurückgelassen haben.
Sein 43-jähriger Bruder bestreitet weiter seine Beteiligung und Anwesenheit bei der Tat. Erst beim Unfall, den sein Bruder später stark alkoholisiert mit dem Auto des Opfers verursachte, sei er dabei gewesen.
Inwiefern der jüngere Bruder Kontakt mit dem Opfer hatte, sollte nun ein Fasergutachten klären. Der Befund: An der Kleidung beider Brüder fanden sich Textilfasern von der Jacke des Opfers. Einen Kontakt des 43-Jährigen mit dem 88-Jährigen beweisen diese laut dem Sachverständigen des Landeskriminalamtes aber nicht: Sie könnten indirekt – etwa über den Bruder oder den Autositz – auf der Steppjacke des 43-Jährigen gelandet sein. Funkzellendaten, die ein Beamter der Kriminalpolizei vorstellte, belegen jedenfalls, dass das Handy des Jüngeren zum Tatzeitpunkt mit einem Funkmast in Gaiberg, das des Älteren in Bammental verbunden war.
Weil die Indizien gegen den 43-Jährigen dürftig sind, fand Oberstaatsanwältin Kerstin Anderson es denkbar, dass dieser aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf des versuchten Mordes freigesprochen wird. Nicht so im zweiten Vorwurf: Weil der Moldauer sich mit gefälschten bulgarischen Papieren samt falschem Namen und Geburtsdatum in Deutschland aufhält, beantragte sie eine Geldstrafe von minimum 140 Tagessätzen à 20 Euro. Verteidiger Rüdiger Betz forderte Freispruch wegen "erwiesener Unschuld" im Mordvorwurf und eine Geldstrafe von maximal 90 Tagessätzen.
Deutlich mehr wurde für den 50-Jährigen beantragt, der im letzten Wort nochmals seine Reue versicherte. "Das Leben des Opfers war mit dem Überfall faktisch beendet", begründete Anderson, wieso sie die lebenslange Freiheitsstrafe "sehr begrüßen" würde. Sie unterstellte dem Angeklagten, sein Opfer wegen seines Autos und Bargelds attackiert und schwere Folgen in Kauf genommen zu haben. Seine Erklärung zum Prozessauftakt hielt sie alleine deshalb für unglaubwürdig, weil er den 88-Jährigen rund 45 Meter entfernt von dessen Fundort geschlagen haben will. Eine Schuldunfähigkeit sah sie nicht. Ihrer Forderung schloss sich die Nebenklage an. Verteidiger Tim Wullbrandt hielt dagegen nur eine schwere Körperverletzung für erwiesen und forderte für die "schändliche Tat" eine Strafe von höchstens sieben Jahren. Das Urteil fällt am Mittwoch.
Update: Dienstag, 15. November 2022, 19.42 Uhr
Staatsanwaltschaft fordert lange Haftstrafe
Bammental/Heidelberg. (lesa) Im Prozess wegen versuchten Mordes an einem 88-jährigen Bammentaler hat Oberstaatsanwältin Kerstin Anderson am vierten Verhandlungstag eine lebenslange Haftstrafe wegen versuchten Mordes, mindestens aber eine Haftstrafe von elf Jahren und acht Monaten für den älteren der beiden angeklagten Brüder gefordert. Das Opfer habe die Attacke im März zwar überlebt, sei seither und wegen der Tat aber ein Pflegefall. "Das Leben des Opfers war mit dem Überfall beendet", schlussfolgerte sie.
Für den jüngeren Bruder, der im Gegensatz zu seinem teils geständigen Bruder eine Beteiligung an der Tat bestreitet, beantragte die Oberstaatsanwältin eine Geldstrafe in Höhe von 140 Tagessätzen a 20 Euro wegen gefälschter Papiere. Was den Überfall auf den 88-Jährigen angeht, hielt sie es aber für denkbar, dass dieser gemäß dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden müsse.
An Kleidungsstücken von beiden Angeklagten haben Kriminaltechniker Fasern der Kleidung des Opfers an Kleidungsstücken beider Tatverdächtigen gefunden. Dies ergab sich zuvor zum Abschluss der Beweisaufnahme aus der Aussage eines Sachverständigen des Landeskriminalamtes.
Dass der jüngere der beiden angeklagten Brüder zur Tatzeit am Tatort gewesen ist, was er bisher bestreitet, muss das jedoch nicht heißen. Auch könnten die Fasern durch "Verlagerung" oder Übertragung durch einen Dritten an die Kleidung des 43-Jährigen gekommen sein. Eine Analyse der Funknetzdaten ergab derweil, dass in Telefongesprächen der beiden Brüder am Tatabend im März der teilweise geständige Ältere an einem Funkmast in Bammental, sein Bruder an einem Mast in Gaiberg eingeloggt war.
Update: Dienstag, 15. November 2022, 15.56 Uhr
Angeklagter hatte vier Promille zum Tatzeitpunkt
Bammental/Heidelberg. (lesa) War der jüngere der wegen versuchten Mordes angeklagten Brüder beim Überfall auf einen 88-jährigen Bammentaler am 11. März dabei? Verprügelten beide den Mann, ließen ihn schwer verletzt in der kühlen Nacht auf dem Parkplatz zurück und machten sich mit seinem Auto sowie dem Geldbeutel davon? Oder sagt der 43-Jährige die Wahrheit, wenn er – bestätigt von seinem geständigen Bruder – beteuert, nicht an dem Überfall beteiligt gewesen zu sein, in dessen Folge das Opfer ein Pflegefall wurde? Mit diesen Fragen beschäftigt sich derzeit das Heidelberger Landgericht. Am dritten Prozesstag ergab sich ein immer klareres Bild jenes Abends im März.
Polizisten hatten anhand der Videoaufzeichnungen des Supermarkts diesen Ablauf rekonstruiert: Um 18.43 Uhr betrat das spätere Opfer den Markt, war um 19.22 Uhr an der Kasse und verließ den Laden um 19.28 Uhr. Um 19.48 Uhr protokollierte die Kamera, wie der 50-jährige Angeklagte ins Geschäft kam, um 20.04 Uhr an der Kasse stand und um 20.07 Uhr hinausging. Um 20.40 Uhr erfasste die Videoüberwachung den 88-Jährigen erneut: Er war bekanntlich zurückgekehrt, um seinen vergessenen Gehstock zu holen. Nach einer Minute ging er wieder. Kurz darauf ereignete sich die Tat. "Es gab keinen Kontakt zwischen Geschädigtem und Tatverdächtigem innerhalb des Marktes", so der zuständige Polizist. Der jüngere Bruder sei auf den Videos "nicht feststellbar" gewesen.
Eine ähnliche Sprache sprechen die Ergebnisse der molekulargenetischen Untersuchung der Kleidung der beiden Angeklagten: DNA-Material des Opfers, vornehmlich Blut, sei lediglich auf der Kleidung des älteren Bruders gefunden worden, nicht auf der des jüngeren.
Die Telefone der Brüder wiesen über den Abend mehrere gegenseitige Anrufe auf. Beide Brüder hatten zum Prozessauftakt erklärt, dass sie mehrfach telefoniert hätten, weil der Jüngere zu Hause mit dem Essen gewartet habe. Der Ältere sei später stark alkoholisiert mit dem gestohlenen Auto gekommen, habe seinem Bruder erzählt, dass er einen Mann geschlagen habe und sei daraufhin vom Jüngeren des Hauses verwiesen worden. Dann hätten die beiden beschlossen, das Auto zurückzubringen.
Die Fahrt endete in einer Leitplanke der Landesstraße L 600. Der Jüngere floh, der Ältere wurde festgenommen. Das, so erinnerte sich die Gaibergerin, bei der die Brüder wohnten, habe ihr der 43-Jährige auch am Morgen des 12. März nach seiner Flucht durch den Wald erzählt.
Wie betrunken der 50-Jährige wohl zum Tatzeitpunkt in Bammental gewesen sein muss, rechnete der psychiatrische Sachverständige vor. Einen Liter Wein, einen halben Liter Wodka und einen halben Liter Bier will der Angeklagte zu sich genommen haben. Dem Psychiater zufolge deute das rechnerisch auf einen Wert von rund vier Promille zum Tatzeitpunkt hin. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt er, wenn er den um 3.15 Uhr nachts gemessenen Wert von 2,2 Promille zurückrechnet. "Das sind enorm hohe Werte", betonte der Sachverständige. Er nimmt zum Tatzeitpunkt eine "verminderte Steuerungsfähigkeit" des Angeklagten an.
Update: Freitag, 11. November 2022, 20.05 Uhr
Verletzungen machten Opfer zu Pflegefall
Bammental/Heidelberg. (lesa) "Den Mund voller Blut", unterkühlt und mit Verletzungen im Gesicht: Als die Supermarkt-Mitarbeiterin schildern soll, wie sie am Morgen des 12. März einen 88-Jährigen auf dem Parkplatz des Marktes gefunden hat, kommen ihr auch ein halbes Jahr nach dem Erlebnis die Tränen. Es ist nicht der einzige emotionale Moment der sechsstündigen Verhandlung wegen versuchten Mordes am Donnerstag: Eine weitere Markt-Mitarbeiterin sagte aus, dass das spätere Opfer am Tatabend bereits mit seinem Einkauf fertig gewesen sei, aber zurückkehrte, weil der Mann seinen Gehstock vergessen hatte: "Das war leider sein Verhängnis."
16 Zeugen und eine Sachverständige sagten am zweiten Prozesstag vor dem Landgericht aus. Dort sind zwei Brüder aus Moldau angeklagt. Sie sollen den Mann am Abend des 11. März verprügelt und schwer verletzt auf dem Parkplatz zurückgelassen haben, um an sein Auto und Bargeld zu gelangen. Erst nach zehn Stunden fanden die Mitarbeiterin und ein Lieferant den "Stammkunden" des Marktes. "Sein Gebiss, ein Schuh und eine Socke lagen um ihn herum", sagte der Kraftfahrer. "Er sah aus wie jemand nach einem Boxkampf."
Das bestätigten Fotos der Rechtsmedizinerin, die den 88-Jährigen nach der Tat untersucht hatte. Sie sprach von Blutungen, Schwellungen und Schürfwunden im Gesicht und am Körper, einer Wunde am Hinterkopf und abgebrochenen Fingernägeln. Ihre Interpretation: Während die "Risswunde" am Kopf wohl auf einen Sturz zurückzuführen ist, rührten die Gesichtsverletzungen wohl von Faustschlägen, Tritten oder "Schlägen mit stumpfen Gegenständen". Die abgebrochenen Fingernägel interpretiert sie als "Abwehrverletzung". Bei einem der Angeklagten, dem älteren der Brüder, fand die Medizinerin Handverletzungen, die auf Schläge zurückzuführen sein könnten. In einer computertomografischen Untersuchung seien zudem Einblutungen im Gehirn aufgefallen.
Zur "Gefährlichkeit" der Verletzungen stellte die Medizinerin klar: "Die Verletzungen waren geeignet, das Leben zu beenden." Eine "akute Lebensgefahr" habe nicht bestanden. Es sei aber "plausibel", dass das bei der Tat erlittene Schädel-Hirn-Trauma Ursache für die "massive Verschlechterung seines Zustands" gewesen sei. Der Bammentaler, der vor der Tat selbstständig und lebenslustig gewesen sein soll, ist nun wie berichtet ein Pflegefall, kann weder laufen noch alleine essen und trinken und leidet unter Demenz.
Doch nicht nur das Opfer stand im Fokus. Auch ging es um die Angeklagten, von denen der ältere bereits gestanden hatte, den 88-Jährigen unter Alkoholeinfluss geschlagen und mit dessen Auto geflüchtet zu sein, bis ein Unfall ihn stoppte. Sein 43-jähriger Bruder soll jedoch auf dem Supermarkt-Parkplatz nicht dabei und erst bei dem Unfall bei ihm gewesen sein. Von dort flüchtete er und wurde tags darauf von Polizisten in Gaiberg festgenommen. Zwei Schüler, die kurz vor der Tat auf dem Supermarkt-Parkplatz waren, sagten jedoch aus, zwei Männer dort gesehen zu haben.
Update: Donnerstag, 10. November 2022, 20.08 Uhr
Zwei Brüder sollen 88-Jährigen brutal überfallen haben
Von Sabrina Lehr
Bammental/Heidelberg. Die Tat hatte weit über die Grenzen von Bammental erschüttert: Am Abend des 11. März um kurz nach 20.30 Uhr war ein 88-Jähriger auf dem Parkplatz des Edeka-Supermarkts in der Hauptstraße angegriffen worden. Mutmaßlich zwei Männer hatten den Mann ins Gesicht geschlagen, gegen den Kopf getreten und ihn im Anschluss hilflos und schwer verletzt zurückgelassen. Die Täter sollen mit der Brieftasche ihres Opfers und dessen Auto geflohen sein. Der 88-Jährige wurde erst am Morgen nach der Tat auf dem Parkplatz gefunden. Die beiden Männer, die der Taten beschuldigt werden, stehen seit Dienstag vor dem Heidelberger Landgericht. Den 43 und 50 Jahre alten Brüdern wird versuchter Mord vorgeworfen.
Oberstaatsanwältin Kerstin Anderson warf den aus Moldau stammenden Brüdern in der Anklageschrift vor, "aus Habgier" das Opfer überwältigt zu haben. Sie hätten leichtfertig dessen Tod in Kauf genommen, als sie es schwer verletzt zurückließen. Im Anschluss soll der ältere Bruder auf der Landesstraße L 600 zwischen Leimen und dem Ortsteil Lingental mit dem gestohlenen Mercedes des Opfers einen Unfall verursacht haben. Danach nahm die Polizei ihn fest. In einer Blutprobe wurden bei ihm 2,2 Promille Alkohol festgestellt, weswegen er sich außerdem wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs verantworten muss.
Das 88-jährige Opfer hat die Attacke zwar mit einem Schädelhirntrauma und Brüchen an Brustwirbel und Rippen überlebt. Seither aber ist der laut seiner Tochter einst so "lebenslustige Mann, der seine Rente genossen hat" in einem Pflegeheim im hessischen Odenwald "rund um die Uhr auf fremde Hilfe angewiesen". "Er kann nicht essen, trinken oder sich waschen", berichtete die 50-Jährige, die als Nebenklägerin auftritt. Vor der Tat habe ihr Vater sich eigenständig versorgen können und alleine gelebt. Ein Sozialdienst habe "nach ihm geschaut", das "Notwendigste" habe er aber selbst erledigen können. Sie habe ihren Vater zweimal die Woche besucht und zuletzt beinahe täglich mit ihm telefoniert, teils bis zu drei Stunden lang.
Seit dem Überfall aber seien Gespräche kaum mehr möglich. Um das Bett zu verlassen, sei er auf den Rollstuhl angewiesen. "Es schmerzt mein Herz , dass er von jetzt auf nachher auf Hilfe angewiesen ist wegen Fremdeinwirkung und nicht wegen eines Unfalls", sagte die hörbar bewegte 50-Jährige. Mit jenen in einem Raum zu sein, die ihren Vater mutmaßlich in seinen Zustand gebracht haben, belaste sie.
Der ältere Angeklagte räumte über seinen Verteidiger die Vorwürfe teils ein. "Ich möchte mitteilen, dass ich mich schäme und bereue, was ich getan habe." Der 50-Jährige, der in Stuttgart in Haft sitzt, wolle außerdem sein Opfer und dessen Familie um Verzeihung bitten. Er habe an besagtem Abend viel Alkohol getrunken. Er sei mit dem Fahrrad von der Bleibe seines Bruders in Gaiberg zum Supermarkt nach Bammental gefahren, habe auf dem Weg dorthin eine Flasche Wein getrunken und sich im Markt Bier und Wodka gekauft. Dies trank er an der Überdachung für die Einkaufswagen vor dem Markt. Dort sei der 88-Jährige auf ihn zugekommen. Er habe den Eindruck gehabt, er beschimpfe ihn, jedoch nichts Genaues verstanden, weil er kein Deutsch spreche. Er habe den Mann geschlagen, aber noch versucht, ihm aufzuhelfen. Als dies nicht gelang, habe ihn die Angst gepackt. Er habe auf dem Parkplatz ein Auto mit geöffneter Tür bemerkt, dessen Schlüssel steckte, und sei weggefahren. Erst danach habe er realisiert, dass es sich um das Auto des Opfers handelte. Den Geldbeutel will er mitsamt 245 Euro darin erst nach der Abfahrt im Handschuhfach gefunden haben. Sein Bruder sei nicht bei ihm gewesen – zumindest nicht, bis er zu dessen Bleibe nach Gaiberg fuhr und dem 43-Jährigen gestand, "Mist gebaut" zu haben.
Beide Brüder sagten aus, dass sie auf einem Parkplatz im Wald, wohin der 50-Jährige gefahren war, beschlossen, den Wagen zurückzubringen. Auf dem Weg nach Bammental seien sie aber falsch abgebogen und in Richtung Leimen gefahren. Auf der L 600 habe der 50-Jährige die Kontrolle über den Wagen verloren und den Unfall verursacht. Der 43-Jährige sei im Anschluss ausgestiegen und geflüchtet. "Die Schuld liegt alleine bei mir. Mein Bruder war nicht beteiligt", betonte der 50-Jährige.
Ob das so war, muss nun das Gericht beurteilen – nicht zuletzt, weil die Tochter des Opfer berichtete, dass ihr Vater in einem der wenigen klaren Gespräche von zwei Tätern berichtet hatte. Auch dass ihr Vater andere angefeindet haben könnte, hielt sie für "unmöglich". Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.
Update: Dienstag, 8. November 2022, 20 Uhr
Anklage wegen versuchten Raubmordes
Bammental. (cm) Es war eine furchtbare Tat, die im Frühjahr die ganze Region erschütterte: Ein 88-jähriger Mann aus Bammental wurde am 11. März gegen 21 Uhr auf dem örtlichen Edeka-Parkplatz brutal überfallen und ausgeraubt. Zwei Männer sollen den Rentner mit Fäusten und Tritten auch gegen den Kopf traktiert, ihn in ein Gebüsch gezogen und dort liegen gelassen haben. Erst am folgenden Morgen wurde der Mann schwer verletzt und unterkühlt gefunden. Wie die Heidelberger Staatsanwaltschaft am Freitag mitteilte, sind die umfangreichen Ermittlungen wegen des Verdachts des versuchten Raubmordes und anderer Straftaten nun abgeschlossen. Es wurde Anklage gegen die zum Tatzeitpunkt 42 und 49 Jahre alten Männer mit moldawischer und bulgarischer Staatsangehörigkeit ohne festen Wohnsitz in Deutschland erhoben.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der Heidelberger Kriminalpolizeidirektion hätten zu einem hinreichenden Tatverdacht geführt, heißt es. Die Angeschuldigten sollen den 88-Jährigen zunächst schwer verletzt haben, um dessen Brieftasche mit knapp 250 Euro Bargeld sowie den Schlüssel für sein Auto zu stehlen. Mit diesem sollen sie davongefahren sein, während das verletzte Opfer hilflos auf dem menschenleeren Parkplatz lag. Später verursachte der Fahrer – stark alkoholisiert – in der Nähe von Gaiberg einen Unfall, durch den das Fahrzeug liegenblieb, so die Anklage. Erst am folgenden frühen Morgen wurde das Opfer mit schwersten Verletzungen gefunden. Der Senior müsse als Folge der erlittenen Verletzungen dauerhaft in einem Heim gepflegt werden. Vor dem Überfall habe er ein selbstbestimmtes Leben in seinem Eigenheim geführt.
Die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todesfolge und anderer Delikte bei der Großen Strafkammer des Heidelberger Landgerichts erhoben. Für die Tat sehe das Gesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren, unter Umständen sogar lebenslange Haft vor. Das Gericht müsse nun über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Verhandlungstermine entscheiden.
"Der Fall hat selbst hartgesottene Kollegen auch menschlich berührt", sagt Thomas Bischoff, Sprecher der Heidelberger Staatsanwaltschaft, der von einer "extremen Brutalität und Gleichgültigkeit" spricht. "Es ist fast ein Wunder, dass der 88-Jährige überlebt hat."