Heidelberg

„Der Begriff „Zigeuner" wird seltener verwendet - gemeint ist aber das gleiche"

"Antiziganismus" ist in Deutschland weit verbreitet, stellt Politologe Markus End in einer Studie fest.

11.07.2014 UPDATE: 11.07.2014 06:00 Uhr 3 Minuten, 51 Sekunden
Selbst wohlwollend gemeinte ''Positivberichterstattung'' über die Minderheit wirkt diskriminierend, meint der Studienautor – und erst recht ''Zigeunerromantik'' wie in der Rossini-Oper ''Der Türke in Italien''. Foto: dpa

Von Sören S. Sgries

Heidelberg. Werden Sinti und Roma in der deutschen Öffentlichkeit systematisch diskriminiert? Zu dieser Frage forschte der Berliner Diplom-Politologe Markus End für das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Am Donnerstag präsentierte er das Ergebnis seiner Studie "Antiziganismus in der deutschen Öffentlichkeit" vor der Bundespressekonferenz in Berlin, zuvor schon halb-öffentlich in Heidelberg.

Hat sich der Antiziganismus in den letzten Jahren deutlich verschärft – oder was war der Anlass für diese Studie?

Der Auftrag erfolgte Mitte 2011. Da gab es die ganze Debatte zur sogenannten "Armutszuwanderung", die uns momentan beschäftigt, in dieser Form noch nicht. Insofern war das nicht der Anlass. Der Antiziganismus kommt und geht in Wellenbewegungen. Es war einfach an der Zeit, die mediale Darstellung genauer zu erforschen.

Beim Begriff "Antiziganismus" ist oft der erste Reflex: "Naja, Zigeuner darf man nicht mehr sagen. Macht ja aber auch keiner mehr." Das ist ja aber nicht Ihr Kritikpunkt…

Nein. Das Wort "Zigeuner" wird heute sehr selten verwendet, in Einzelfällen noch, dann aber oft mit anderer Absicht. Über den Tischtennisspieler Jörgen Persson etwa hieß es, er sei ein "Tischtennis-Zigeuner" – einfach, weil er viel gereist ist. Stattdessen werden heute aber andere Worte benutzt, die aber ähnlich funktionieren.

Zum Beispiel?

Es ist zum Beispiel so, dass zwar die Selbstbeschreibung, also Sinti oder Roma, verwendet wird, diese aber in einem stereotypen Zusammenhang. Das ist ein bekannter Vorgang: Antisemiten haben ja auch eine andere Intention, wenn sie jemanden als Juden bezeichnen, als wenn jemand selbst über seine jüdische Religion spricht. Es werden aber auch andere Kodierungen verwendet, dann ist etwa umständlich von einer "mobilen ethnischen Minderheit" die Rede. Gemeint ist aber das gleiche.

Dass solche Zuschreibungen sich halten, wo kommt das her? Sind es wirklich die Medien, die diese Stereotype transportieren?

Die Ideen sind Jahrhunderte alt und sie hängen letztendlich mit den Selbstbildern zusammen, die sich unsere Gesellschaft gibt. Klaus-Michael Bogdal hat das mit dem Titel seines Buches "Europa erfindet die Zigeuner" ganz gut auf den Punkt gebracht. Es werden Fremdbilder gegenüber der eigenen Mehrheitsgesellschaft erzeugt, die auf "Zigeuner" übertragen werden und so letztlich zu Diskriminierung und Verfolgung führen. Das prägt sehr tief, weil schon kleine Kinder beigebracht bekommen, was die vermeintlichen Eigenschaften einer bestimmten Gruppe sind. Antiziganismus ist kein Phänomen, dass der moderne Journalismus bewusst befördert, sondern er ist in unserer Gesellschaft und damit auch in unseren Medien einfach weit verbreitet und fest verankert.

Im Rahmen der Zuwanderungsdebatte wurden auch Einstellungen zu Sinti und Roma abgefragt. Die starken Vorurteile über Armut und Kriminalität: Sind die erst in dieser Debatte so ausgeprägt gewachsen?

Solche Verbindungen werden schon länger gezogen. Bemerkenswert ist aber, dass der Antiziganismus den Nährboden gab, um die Migrationsdebatte zu radikalisieren. In der Debatte geht es einigen politischen Kräften darum, die Freizügigkeit weniger liberal zu gestalten, als es von der Anlage her gedacht ist. Antiziganismus gibt die Möglichkeit, eine vermeintliche Differenz zwischen erwünschter und unerwünschter Zuwanderung aufzubauen, indem an tief verwurzelte Vorurteile angeknüpft wird.

Sie werfen ja einen sehr gezielten Blick auf die Arbeit von Journalisten: Kann diese Berufsgruppe überhaupt diesen Fallstricken ausweichen?

Journalisten sind Teil dieser Gesellschaft, sie haben die gleichen Vorurteile. Sie haben jedoch auch das Privileg, dass sie in einer Sprecherposition sind, in der sie Gehör finden. Deshalb sollten sie sich zu einer besonderen Reflexion verpflichtet fühlen. Es hat weniger Auswirkungen, wenn ein "normaler" Bürger seine Vorurteile am Stammtisch äußert, als wenn es in der Zeitung steht. Journalisten sind daher gefordert, sich dieser Mechanismen und Bilder bewusst zu werden und sie nicht weiter zu reproduzieren.



Jetzt erwartet man zunächst, dass Sie kritische Beispiele vor allem im Boulevard finden, wo mit einfachen Schlagzeilen viele Emotionen entfacht werden sollen.

Tatsächlich sind Boulevardmedien drastischer in den Darstellungen, aber von der Logik und der Verwendung der Mechanismen her gibt es kaum einen qualitativen Unterschied. Die Öffentlich-Rechtlichen Fernsehsender bedienen die gleichen Mechanismen wie das Boulevardmagazin oder die Qualitätszeitung.



Wenn gutmeinende Journalisten jetzt denken, nach den ganzen negativen ein paar positive Beispiele zu bringen – den fleißigen Roma-Feldarbeiter, den gutbürgerlichen Sinto-Gymnasiallehrer - hielten Sie das für eine gute Idee?

Da sind die Meinungen geteilt. Ich persönlich halte nichts davon, solche Positivbeispiele zu bringen. Diese funktionieren gedanklich ja nur, wenn man den Negativ-Fall als den Normalzustand mitdenkt. Wichtig wäre es aber, Fehler und Falschdarstellungen - etwa bei Zahlen zur Zuwanderung - zu nennen und damit deutlich zu machen, welche Tendenzen und Verkürzungen es da gab. Wichtig ist auch die Frage: Ist es denn überhaupt relevant, ob ein Bettler, ein Feldarbeiter oder ein Gymnasiallehrer ein Rom ist? In der sogenannten Gastarbeitermigration, kamen auch Zehntausende Roma beispielsweise aus der Türkei oder dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland. Aber weil es politisch nicht thematisiert wurde, fand es in der Öffentlichkeit nicht statt und wurde nie als Problem wahrgenommen.



Sie haben sich auch Polizeimeldungen angesehen. Ist es da noch ein weit verbreitetes Phänomen, dass Minderheiten diskriminiert werden?

Das Problem, dass sich hier offene, aber auch verschlüsselte Diskriminierung findet, ist zurückgegangen, aber weiterhin existent. Auffällig ist, dass sich in Presseberichten, die sich auf anonyme Aussagen von Polizei oder Staatsanwaltschaft beziehen, öfter entsprechende Aussagen finden. Ich denke aber, da spielen Einzelpersonen mit ihren Einstellungen eine zentrale Rolle, die bestimmte Tatbestände der Minderheit zuordnen.

Ihre Studie provoziert eigentlich ein: "Aber man wird doch noch die Wahrheit sagen dürfen." Was entgegnen Sie solchen Kritikern einer "political correctness"?

Mir geht es nicht darum, ob eine Zuschreibung richtig oder falsch ist. Ich frage aber, warum ausgerechnet dieser Ausschnitt aus der Realität gezeigt oder genannt wird? Warum erfahre ich, dass ein Tatverdächtiger einen Roma-Hintergrund hat, erfahre aber nichts von seiner Religion, von seiner politischen Haltung, ob er eher modern oder konservativ eingestellt ist? Das sind auch alles Eigenschaften einer Person, ebenso wie die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit. Dass wir aber von dieser Zugehörigkeit erfahren und von den anderen Eigenschaften nicht, hängt nicht mit der Relevanz zusammen, sondern allein mit den Stereotypen, die damit verbunden werden.

Info: Beim Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma findet sich die Studie in Kurz- und Langfassung: Die kürzere Version unter www.sintiundroma.de/uploads/media/2014KurzfassungStudieMarkusEndAntiziganismus.pdf die ganze Studie unter www.sintiundroma.de/uploads/media/2014StudieMarkusEndAntiziganismus.pdf