Neckar-Odenwald-Kreis

Warum Achim Brötel die Facebook-Kommentare gesperrt hat

Der Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises spricht über seine Leidenschaft für das Amt, das frühe Aufstehen und die Chancen für den Kreis.

09.07.2021 UPDATE: 10.07.2021 06:00 Uhr 8 Minuten, 7 Sekunden
Achim Brötel. Foto: schat

Neckar-Odenwald-Kreis. Das Votum war eindeutig: Bei nur einer Gegenstimme sprach sich der Kreistag vor gut zehn Tagen in Schwarzach dafür aus, dass Achim Brötel die Geschicke des Landkreises auch in den nächsten acht Jahren lenken soll. Wir haben uns mit dem 57-jährigen CDU-Politiker über seine Lebensaufgabe, das dafür notwendige Herzblut und seine Wünsche für die anstehende dritte Amtszeit unterhalten.

Wie bewerten Sie das Wahlergebnis mit ein paar Tagen Abstand? Es war ja nahezu identisch mit dem von 2013 bei Ihrer ersten Bestätigung im Amt.

Ich bin wirklich sehr dankbar für das große Vertrauen, das da zum Ausdruck gekommen ist. Das klare Ergebnis ist für mich zusätzliche Motivation und Ansporn, jetzt auch mit demselben Tempo, mit demselben Elan und mit derselben Leidenschaft weiterzumachen.

Sie haben 2005 von Detlef Piepenburg das Amt des Landrats übernommen. Ganz ehrlich: Hätten Sie damals daran gedacht, diesen Job drei Amtszeiten lang auszufüllen?

Ich hatte zunächst einmal überhaupt nicht daran gedacht, dass die Position des Landrats frei würde, weil wir eigentlich alle davon ausgegangen sind, dass Detlef Piepenburg bleibt. Ich war damals, im Januar 2005, gerade auf dem Weg nach Hardheim zum 70. Geburtstag von Hubert Eirich, als mich Detlef Piepenburg im Auto angerufen und mir mitgeteilt hat, dass er doch nach Heilbronn gehen wird. Ich war bis dahin fest entschlossen, meine Amtszeit als Bürgermeister in Buchen zu erfüllen und danach wieder anzutreten. Dann kam aber doch alles anders.

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Der Buchener Bürgermeister wurde Landrat in Mosbach.

So etwas wäre 30 Jahre früher wahrscheinlich noch gar nicht möglich gewesen. Die Diskussionen um den Kreissitz haben schon nachgewirkt. Für mich selbst war das aber nie ein Thema. Ich bin mit dem neuen Neckar-Odenwald-Kreis aufgewachsen. Ich kann mich zwar auch noch vage daran erinnern, wie ich als Neunjähriger mit meinen Eltern in Buchen mit einem Plakat auf die Demo gegen den Kreissitzverlust gegangen bin. Das hat sich mir eingeprägt. Was auf dem Plakat gestanden ist, weiß ich allerdings nicht mehr. Es spielt auch keine Rolle. Für mich gibt es nur den Neckar-Odenwald-Kreis. Vor diesem Hintergrund bin ich 2005 deshalb auch angetreten, um die Mittelbereiche Mosbach und Buchen noch enger zusammenzuführen. Das ist uns in den letzten Jahren meines Erachtens auch sehr gut geglückt: Wir haben ein tolles Miteinander im gesamten Kreis. Nie war mehr Einheit als jetzt.

Sie sind beharrlich, verlässlich, zielorientiert. Sie sind aber eben auch ehrgeizig. Und eigentlich hatte man immer das Gefühl, dass es für Achim Brötel noch ein wenig weiter "hinauf" geht, dass nach dem Landrat ein weiterer Schritt in der Karriere folgt.

Nein, ich habe definitiv nie andere Pläne verfolgt. Ein anderes Amt würde mich schon deshalb nicht interessieren, weil ich einfach gerne nah bei den Menschen bin. So gesehen war die Wahl zum Landrat sogar ein kleiner Rückschritt. Als Bürgermeister war ich nämlich noch näher dran als jetzt. Jedes andere Gremium – Landtag, Bundestag, Europaparlament – ist aber weiter weg von den Menschen und ihren Sorgen und Nöten. Da liegt für mich ein Grundproblem der Politik. Die Lebenswirklichkeit spielt nicht in den Parlamenten. Das wahre Leben ist vor Ort.

War die Nähe zu den Menschen auch ausschlaggebend für Ihren Wechsel in die Kommunalpolitik?

Eindeutig ja. Wenn ich bei der Justiz geblieben wäre, hätte ich dort meinen Weg wohl auch gemacht. Die Chance auf ein Amt als Bundesrichter wäre sicher groß gewesen. Aber ich habe mich damals bewusst gegen die Justiz entschieden. Das wäre ein Leben gewesen, das ich mir auf Dauer nicht hätte vorstellen können. Insbesondere die Zeit am Bundesgerichtshof war zwar total spannend, aber es war letztlich ein Einzelkämpferdasein.

Stichwort Lebensaufgabe: Wie kann man so für einen Job brennen, für dessen Ausübung man auch immer wieder Kritik einstecken muss, zum Teil sogar persönlich angegangen wird?

Ich brenne in der Tat nach wie vor dafür. In der Sache selbst darf und muss man natürlich um die beste Lösung streiten. Unfaire und persönliche Kritik tut manchmal aber schon auch ziemlich weh. Dann brennt die Flamme auch mal etwas kleiner. Aber es gibt umgekehrt auch immer wieder ganz viel Unterstützung, die einen aufbaut.

Haben sich der Umgang und die Diskussionskultur in den bislang 16 Jahren Ihrer Amtszeit denn verändert?

Im Kreistag sicher nicht. Dort ist der Umgang sehr sachlich und so gut wie nie parteipolitisch geprägt. Es geht um die Sache, nicht ums Parteibuch. Dafür bin ich auch ausgesprochen dankbar. Wo sich der Stil allerdings krass verändert hat, ist in der öffentlichen Diskussion, vor allem in den sogenannten sozialen Netzwerken. Was da teilweise kommt, ist schlicht unerträglich. Da gibt es offenbar keine Hemmschwellen mehr. Deshalb haben wir auch die Kommentarfunktion auf unserer Facebook-Seite inzwischen gesperrt.

In der Kreistagssitzung hat es Norbert Rippberger ganz gut beschrieben: Sie fangen morgens, wenn die meisten noch schlafen, an zu arbeiten. Und sie arbeiten abends, wenn die meisten schon wieder schlafen, immer noch. Den Begriff Workaholic kennen Sie, oder?

Den kenne ich zwar, aber das klingt ja so negativ. Ich arbeite wirklich gern, und ich arbeite auch gern viel. Ich möchte dabei aber vorankommen und nicht andauernd gestört werden. Dann macht mir das auch keinen Stress. Gerade deshalb weiche ich seit vielen Jahren schon in eine zeitliche Nische aus, in der ich in Ruhe arbeiten kann. Ich stehe seit 1988 jeden Tag – außer am Wochenende – um 4.20 Uhr auf. Das funktioniert prima. In neun von zehn Fällen brauche ich noch nicht einmal den Wecker. Fünf, maximal sechs Stunden Schlaf reichen mir.

Wie ist es zu dieser ungewöhnlichen Aufstehzeit gekommen?

Begonnen hat es damit, dass ich um diese Zeit meine Doktorarbeit geschrieben habe, bevor ich dann anschließend ins Gericht gegangen bin. Als ich dann später dreieinhalb Jahre nach Stuttgart ins Justizministerium gependelt bin, ist der Zug um 5.17 Uhr in Osterburken losgefahren. Diese Zeit habe ich mir beibehalten. Um 4.45 Uhr sitze ich jeden Tag zu Hause am Schreibtisch. Das ist meine kreative Phase. Da ist es ruhig, und ich kann Reden schreiben oder andere komplexe Dinge erledigen, zu denen ich in meinem Büro im Landratsamt gar nicht komme, weil ich dort immer durch irgendetwas unterbrochen werde.

Bekommt Ihre Familie in Urlaubszeiten dann alles zurück?

Wenn man wenig Zeit füreinander hat, dann plant und erlebt man die gemeinsame Zeit zweifelsohne intensiver. Wir haben uns als Familie da von Anfang an gut arrangiert, weil wir Privatleben und Beruf immer strikt getrennt haben. In ein politisches Amt ist einer gewählt, nicht die ganze Familie. Deshalb nehme ich die meisten Termine auch alleine wahr.

Dafür aber umso häufiger: Ihre Präsenz im Landkreis ist schon fast legendär ...

Das ist für mich der eigentliche Kern des Amtes: Ich bin sozusagen der Außendienstmitarbeiter des Landratsamts. Das macht den Kolleginnen und Kollegen allerdings nicht immer nur Freude. Ich bringe nämlich von fast jedem Termin dann auch wieder Themen oder Anliegen und somit neue Arbeit mit, weil ich mich eben vor Ort mit den Menschen austausche.

Und wie entspannen Sie?

Vor allem mit Musik. Ich habe immer viel Musik selber gemacht, im Akkordeonorchester und in der Stadtkapelle Buchen. 13 Jahre lang hatte ich sogar eine eigene Band, die "BCH-Combo", mit der ich in der ganzen Region unterwegs war. Noch heute spiele ich in der Stadtkapelle, komme aber leider nicht mehr zum Proben. Deshalb bin ich dort sozusagen "Projektmusiker" für Fastnacht, Schützenmarkt und andere Hochfeiertage. Daneben lese ich viel – vor allem Geschichtliches – und ich bin nach wie vor begeisterter Briefmarkensammler, auch wenn die Jüngeren wahrscheinlich gar nicht mehr wissen, was das ist.

Und welches Buch liegt aktuell auf dem Nachttisch des Landrats?

Ausnahmsweise nichts Geschichtliches: "Mensch, Erde!" von Eckart von Hirschhausen.

Kommen wir von der Freizeit zurück zur Arbeit. Die wird in der dritten Amtszeit nicht unbedingt leichter. Versuchen Sie, die größten Herausforderungen, die vor Ihnen und uns liegen, zu beschreiben.

Ich will da unterscheiden zwischen Querschnitts- und Gestaltungsaufgaben. Die Querschnittsaufgaben sind absolute Pflichtaufgaben. Dazu gehört etwa die soziale Sicherung, der Klimaschutz oder die Haushaltsstabilität. Daneben gibt es aber auch Gestaltungsaufgaben, an denen sich meiner festen Überzeugung nach die Zukunftsfähigkeit ländlicher Räume und damit auch des Neckar-Odenwald-Kreises entscheiden werden. Mobilität, Gesundheit und Bildung sind hier insbesondere zu nennen – ohne Rangfolge. Die besondere Herausforderung wird es sein, in den nächsten Jahren trotz eines engeren finanziellen Spielraums noch genügend Luft für die Gestaltungsaufgaben zu haben. Entscheidend kommt es aber auch darauf an, ob Bund und Land der kommunalen Ebene munter weiter immer neue Aufgaben übertragen, ohne die notwendigen Mittel dafür bereitzustellen. Dazu kommt die große Aufgabe des demografischen Wandels. Hier müssen wir vor allem noch viel mehr tun bei der Kinderbetreuung und bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und wir müssen dafür sorgen, dass junge Paare wieder Mut kriegen zu einem Kind oder noch besser zu mehreren Kindern. Nach Corona wird es zudem auch eine Herausforderung sein, die Ehrenamtlichen wieder neu zu motivieren und das Ehrenamt insgesamt zu stärken. Der lange Lockdown ist auch bei den Vereinen nämlich nicht ohne Folgen geblieben.

Das Landleben gewinnt aktuell an Beliebtheit. Wie kann der Neckar-Odenwald-Kreis von dieser Entwicklung profitieren?

Wenn es aufgrund der technischen Möglichkeiten egal ist, an welchem Ort ich arbeite, dann entscheide ich mich doch lieber, dort zu leben und zu arbeiten, wo ich ein ansprechendes Umfeld habe mit einer intakten Natur und einer tollen Landschaft, mit noch bezahlbaren Preisen, mit einem guten sozialen Zusammenhalt und einer hohen Sicherheit. Wenn die Glasfaser erst einmal überall liegt, wird es für viele nicht mehr nötig sein zu pendeln – und zwar nicht nur in Dienstleistungsberufen, sondern langfristig auch im produzierenden Gewerbe. Irgendwann wird es egal sein, wo die Werkbank steht – Stichwort 3D-Druck. Diese Entwicklung stellt für uns eine riesige Chance dar: Wir haben – anders als die Städte – nämlich die Fläche, wir haben die hoch qualifizierten Menschen, und wir haben die Glasfaser. Deshalb wehren wir uns momentan ja auch dagegen, dass uns bei der Regionalplanung weitere Entwicklungsmöglichkeiten beschnitten werden sollen. Wenn z. B. in Robern ein Handwerksbetrieb erweitern möchte, dann ist das für Robern so wichtig wie ein Bauvorhaben der BASF für Ludwigshafen. Diese Denkweise müssen wir auch beim Regionalverband noch sehr viel stärker in den Köpfen verankern.

Mit welchen Worten würden Sie potenzielle Neubürger von den Vorzügen unserer Region zu überzeugen versuchen?

Bei uns lässt sich ein Leben mit und in der Natur mit der Arbeit perfekt vereinen, wir haben einen deutlichen Mehrwert an regionaler Lebenskultur, ein ausgesprochen lebendiges Ehrenamt und gerade auch als Bio-Musterregion eindeutige Pluspunkte gegenüber anderen.

Mal angenommen, Sie hätten einen Wunsch frei: Was würden Sie sich für unseren Landkreis wünschen?

Den häufig genannten Badesee hätte ich zwar auch gern. Aber so ein Thema eignet sich nicht für ein Wunschkonzert. Da müssen einfach bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, insbesondere was den geologischen Untergrund, aber auch die Frischwasserzufuhr anbelangt. Wir haben das vor Jahren auf Initiative der Jungen Union schon einmal untersucht. Demnach gibt es eine einzige Stelle im gesamten Kreis, wo man das problemlos realisieren könnte. Das ist an der Seckach zwischen Adelsheim und Sennfeld. Weil es in Adelsheim ein tolles Freibad und einen extrem rührigen Förderverein gibt, war das aber natürlich nie ein Thema. Wir machen uns doch nicht gegenseitig Konkurrenz.

Wenn es schon keinen Badesee gibt, so gibt es trotzdem Pläne, den Tourismus im Kreis zu stärken.

Da sehe ich für uns mit Blick auf die Zukunft in der Tat große Chancen. Wir waren schon zwei Mal ganz nah dran, einen Centerpark bei Walldürn zu verwirklichen. Heute würde ich mir statt eines solchen geschlossenen Ferienresorts aber sowieso lieber eine offene Anlage wünschen, von der aus die Urlauber dann in die Region ausströmen können. Das ist die Idee eines Hotel- und Ferienparks Odenwald. Dafür läuft gerade die Machbarkeitsstudie. Ich hoffe, dass wir zum Jahresende oder Anfang nächsten Jahres ein Ergebnis haben. Wenn es klappt, wäre ein solches Leuchtturmprojekt eine große Chance für den Kreis, zumal wir aufgrund unserer Lage ein Einzugsgebiet besitzen, in dem in fahrbarer Entfernung mehrere Millionen Menschen leben.

Noch mal zurück zum Thema Wunsch: Was wäre denn nun Ihr Wunsch für den Kreis?

Ich würde mir wünschen, dass unser Landkreis auch künftig so viel Zusammenhalt und so viel Kraft aufbringt, dass die Menschen alles vorfinden, was sie für ein glückliches Leben brauchen, und dass wir sie so für ihre Zukunft hier begeistern können.

Was muss in den nächsten acht Jahren im Kreis sonst noch alles passieren, damit Sie 2029, mit dann 66 Jahren, zufrieden mit sich und Ihrer Bilanz in Ruhestand gehen können?

Den Kreis zukunftsfähig zu gestalten, ist und bleibt eine Daueraufgabe. Ich wünsche mir, dass wir weiterhin mutig sind, dabei auch einmal neue Wege zu gehen und Chancen konsequent zu nutzen – selbst im Wissen um die Gefahr, dass ein Projekt auch schiefgehen kann. Wer nichts Neues wagt, wird nämlich auch nichts gewinnen.

„Bei uns lässt sich ein Leben mit und in der Natur mit der Arbeit perfekt vereinen“: Mit diesen Worten würde der Landrat für die Region werben. Foto: Rüdiger Busch
(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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