Verhärtete Fronten am Verbindungskanal
Im Jungbusch wollen junge Menschen nachts feiern und Anwohner schlafen - Die "Nachtschicht" will vermitteln

Von Alexander Albrecht
Mannheim. "Heeeeey, Leute, könnt ihr nicht mal aufpassen", brüllt Alf Untersteller einem Jugendlichen hinterher. Der Halbstarke hat eine Plastikflasche weggeworfen, aus der eine weiße Flüssigkeit ausläuft und über den Asphalt rinnt. "Solche Idioten", platzt es aus Untersteller heraus. Der großgewachsene Mann wirkt ruhig und besonnen – aber auch seine Nerven liegen manchmal blank. Seit drei Jahren lebt er im ehemaligen, umgebauten Silogebäude der Kauffmannmühle im Jungbusch. Das alte Backsteinmauerwerk und einige gemauerte Bögen erinnern an die ursprüngliche Architektur.
Zwischen Landeshafen und Rhein auf der einen und weiterer moderner Prestigebauten wie der Popakademie oder dem Kreativwirtschaftszentrum auf der anderen Seite, liegt die Promenade am Verbindungskanal, die sich nachts – seit Ausbruch der Pandemie und vor allem an Wochenenden – in eine Partymeile verwandelt. Die jungen Leute sitzen auf einem langen, zwischendurch immer mal wieder unterbrochenen Holzsteg, der schon bessere Tage hinter sich hat. Und der zum Teil direkt vor den Balkonen und Fenstern der Bewohner liegt.
An manchen Stellen wabert Cannabis-Geruch durch die Luft oder liegen Bier-, Sekt- und Wodka-Flaschen herum. Regelmäßig flanieren Feiernde mit aufgedrehten Bluetooth-Boxen vorbei. Und bringen Anwohner wie Alf Untersteller nicht selten um ihre Ruhe. Die Frage mag ketzerisch klingen, aber hätte er nicht vorher wissen müssen, was ihm im Jungbusch blüht? "Vor Corona war es nicht so schlimm. Wir haben aus einer Ruine Wohnraum für Menschen geschaffen, die ein Recht auf körperliche Unversehrtheit haben – und dazu gehört auch schlafen. Insbesondere unter der Woche, wenn wir arbeiten müssen", sagt Untersteller. Er und ein weiterer Anwohner, Kai Baldenius, fordern, die Holzstege abzumontieren, damit sich die Szene verlagert.
Dass seit wenigen Wochen die Straßenlampen nachts ununterbrochen leuchten, habe eher das Gegenteil bewirkt. "Die Leute werden wie die Motten vom Licht angezogen", meint Baldenius. Er verlangt von der Stadt, die Nachtruhe von 22 Uhr an durchzusetzen und ab dieser Zeit auch ein Alkoholverbot außerhalb von Kneipen und Bars zu verhängen, die Promenade als Ultima Ratio auch räumen zu lassen. "Damit wir hier nicht länger der Party-Hotspot Nummer eins sind", murrt Untersteller.
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Laut neuer Allgemeinverfügung vom 2. Juli greift das Alkoholverbot von 0 bis 6 Uhr. Der Verkauf und die Abgabe in Läden oder der Aral-Tankstelle in der Hafenstraße sind freitag- und samstagnachts jeweils von 23 bis 6 Uhr untersagt. Wegziehen ist für Baldenius und Untersteller (noch) keine Option – es habe allerdings schon Nachbarn gegeben, die den Krach nicht mehr ausgehalten hätten.
Einer, der zwischen Feiernden und Anwohnern vermitteln soll, ist Kristijan Nuculovic, der seit seiner Kindheit im Jungbusch wohnt und Jugendlichen im Viertel das Boxen beibringt. Der junge Mann ist in der Jugendarbeit des Quartiersmanagements aktiv und Mitglied der "Nachtschicht" – das sind freiwillige Helfer, die in Zusammenarbeit mit der Polizei und dem Kommunalen Ordnungsdienst seit vergangenem Sommer das Partyvolk gezielt ansprechen und für ein rücksichtsvolleres Feiern werben. Mit Nuculovic "auf Streife" ist Anwohnerin Laura, die ihren Nachnamen nicht verraten will. Die Heilerziehungsassistentin will nicht nur "betroffen", sondern auch beteiligt sein, wie sie sagt. Um 22 Uhr haben die beiden an diesem Freitagabend mit der "Patrouille" begonnen. Viel zu tun gibt es bis dato noch nicht.
Der Jungbusch trommelt leiser als sonst. Was auch an der starken italienischen Community liegt, die nach dem EM-Viertelfinalsieg der "Squadra Azzurra" im Autokorso zum Wasserturm gezogen ist. "Wir haben hier schon ganz andere Szenen erlebt", sagt Nuculovic, "da war richtig Halligalli". Aber auch dann gilt es Ruhe zu bewahren. "Wir sind ja keine Kontrolleure oder spielen Polizei", betont der "Nachtschichtler". Wenn die kämen, sei die "Party am Arsch", sage man den Feiernden, die dann meist Einsicht zeigten. Gewaltsituationen habe er noch nicht erlebt. Sorge bereitet Nuculovic, dass er inzwischen viele 14- bis 15-Jährige antreffe. "Haben die keine Eltern?", frage er sich manchmal, und ebenso, warum die Stadt keine öffentlichen Toiletten aufstelle, um das Wildpinkeln – zum Beispiel auf dem Spielplatz – einzudämmen. Zudem fehlten Mülleimer.
Quartiermanager Michael Scheuermann verfolgt derweil einen anderen Plan. Er will die Szene mit Betonhockern und besserer Beleuchtung an den südlichen Verbindungskanal nahe der Kurt-Schumacher-Brücke locken – also dort, wo keine Wohnhäuser liegen und Industriegebäude vor Lärm schützen. Kristijan Nuculovic schlägt überdies vor, am neuen Standort Foodtrucks zu etablieren, um die Party noch schmackhafter zu machen. "Hier gibt es ja nur Alkohol", meint er und verweist auf dessen enthemmende Wirkung.
Vor diesem Hintergrund will die Polizei weiterhin mit "Augenmaß und Fingerspitzengefühl" vorgehen, wie Pressesprecherin Claudia Strickler sagt. Ansonsten würde sich die Situation nur noch weiter zuspitzen.



