Als das Unerhörte hörbar wurde (Update)
Folgenschweres Telefonat: Der CDU-Vorstand forderte Egon Jüttner auf, den Ehrenvorsitz abzugebe. Doch der denkt gar nicht daran.

Von Alexander Albrecht
Mannheim. Das ist eine Geschichte, die so groteske Züge annimmt, dass man sie glatt für erfunden erhalten könnte. Doch sie hat sich genau so zugetragen, wie sämtliche Beteiligten der RNZ bestätigen. Am Ende stehen harte Konsequenzen für einen verdienten Politiker – der sich das aber nicht gefallen lassen will.
Montagabend, 26. April: Der Kreisvorstand der Mannheimer CDU tagt. Virtuell, über ein Webex-Meeting. Einer der Teilnehmer: Egon Jüttner (Foto: vaf), seit fast 20 Jahren Ehrenvorsitzender der Christdemokraten in der Quadratestadt und ehemaliger Bundestagsabgeordneter. Die virtuelle Welt ist nicht seine Welt, wie er selbst sagt.
Deshalb möchte er dem "Treffen" auch nicht "am Schirm" beiwohnen, sondern sich telefonisch einwählen. Nach "technischen Problemen" sei ihm das nach knapp einer Stunde irgendwie gelungen, so Jüttner. Immerhin aber noch rechtzeitig vor einer wichtigen Abstimmung: Der Vorstand will an jenem Abend einen Bundestagskandidaten küren, den Nachfolger von Nikolas Löbel, und den Mitgliedern bei einem Parteitag vorschlagen. Die Wahl fällt auf Roland Hörner, der erst ganz frisch in die CDU eingetreten ist und von einer parteiinternen Findungskommission ausgedeutet worden war.
Noch während der Sitzung erhält Jüttner auf seinem zweiten Telefon einen Anruf. Ulrich Seel ist dran. Er hat lange das Berliner Büro von Jüttner im Bundestag geleitet – und wenige Tage zuvor selbst seine Bewerbung als CDU-Wahlkreiskandidat eingereicht. Dann macht Jüttner den entscheidenden Fehler. Er verstaut das Telefon, mit dem er an dem Meeting teilnimmt, in einer Schreibtischschublade, um ungestört mit Seel reden zu können. Jüttner hat allerdings vergessen, das Mikrofon auszuschalten. Das Unerhörte wird hörbar. "Live" bekommt die Vorstandschaft mit, wie Jüttner seinen früheren Mitarbeiter über den Sitzungsablauf, das Abstimmungsprozedere und Äußerungen von Gremienmitgliedern informiert. Es kommt zum Eklat. "Ich habe daraufhin alle Vorstände persönlich angeschrieben, ihnen die Sache zu erklären versucht und mich entschuldigt", sagt Jüttner. Allerdings hat er bereits im Vorfeld der Sitzung viel Porzellan zerschlagen. Indem er etwa in Interviews Teilen der Parteispitze allzu große Nähe zu Nikolas Löbel vorwarf. Jüttner und Löbel mögen sich nicht.
Auch interessant
Insofern überrascht es nicht, dass der Vorstand, nachdem er den "Beschuldigten" angehört hatte, am Dienstag eine Rüge gegen ihn ausspricht. Und Jüttner dazu auffordert, den Ehrenvorsitz abzugeben. "Ich denke gar nicht daran, dies zu tun", meint der Parteigrande kämpferisch. Entsprechend müsste nun eine Mitgliederversammlung ihm den Vorsitz entziehen. In diesem Fall will Jüttner vor ein Parteigericht ziehen, ein Christdemokrat habe bereits seine kostenlose, juristische Hilfe zugesagt.
Im Gegensatz zu "diesen Kerlen" – gemeint sind junge Vorstandsmitglieder wie die kommissarische Vorsitzende Katharina Funck oder Junge-Union-Chef Lennart Christ – habe er schon viel mehr geleistet. Seit fast 50 Jahren gehört er der CDU an, seit 37 Jahren ist Jüttner Stadtrat. Dreimal hat er im "roten" Mannheim das Direktmandat bei der Bundestagswahl errungen. An diesem Samstag will die CDU auf der überdachten Tribüne des Rhein-Neckar-Stadions – Heimspielstätte des traditionsreichen VfR Mannheim – den Parlamentsbewerber wählen. Neben Roland Hörner und Ulrich Seel treten zwei weitere Kandidaten an, die als chancenlos gelten.
Update: Dienstag, 11. Mai 2021, 19.30 Uhr
Egon Jüttners Kampf gegen die "Löbel-CDU" und ein neuer Kandidat
Mannheim. (alb) Schlägt nun (indirekt) doch noch seine große Stunde – nach all den Demütigungen und Niederlagen, die Nikolas Löbel und seine ehemaligen Getreuen Egon Jüttner zugefügt haben? Wenn die Mannheimer CDU demnächst einen Nachfolger für den gefallenen "Maskenhändler" wählt, tritt auch Ulrich Seel an. Jüttners langjähriger Büroleiter im Bundestag. Sein Sieg wäre auch ein später Triumph seines ehemaligen Chefs.
Der inzwischen 78-jährige Jüttner hielt nie sonderlich viel von dem erheblich jüngeren Löbel (34). Für den Senior aus Sandhofen, der für die CDU dreimal das Direktmandat eroberte, war der einstige Hoffnungsträger nichts als ein machtgieriger Blender.
Zum endgültigen Bruch zwischen beiden kam es Ende 2016. Jüttner kandidierte nicht mehr für das Parlament und wollte den Bewerber Löbel mit aller Macht verhindern. Er brachte stattdessen den angesehenen Reitervereins-Chef Peter Hofmann ins Spiel. Doch der Kreisvorstand empfahl den Mitgliedern Löbel – und Jüttner verließ wutschnaubend einen Versammlungssaal. Noch aber hatte der Pädagogik-Professor zwei Pfeile im Köcher.
Gemeinsam mit seinem Abgeordneten-Kollegen Roderich Kieswetter warf er Löbel vor, dieser habe sie als Landesvorsitzender der Jungen Union (JU) in Baden-Württemberg aufgefordert, für ihn einen Mitarbeiter in der Landesgeschäftsstelle anzustellen und über die Mitarbeiterpauschale des Bundestags zu bezahlen. Jüttner und Kiesewetter hielten den Vorstoß für den Versuch einer verdeckten Parteifinanzierung und lehnten ab.
Die Enthüllung lief jedoch ebenso ins Leere wie ein Affront gegen den inzwischen von der Basis als Bundestagskandidat nominierten Löbel. In einer Pressemitteilung lobte Jüttner mitten im Wahlkampf den SPD-Bewerber Stefan Rebmann über den grünen Klee, nannte ihn einen "Glücksfall für unsere Stadt." Das Direktmandat gewann Löbel.
Eine neue Chance witterte Jüttner im Herbst vergangenen Jahres. Löbel geriet wegen hoher Mietpreise in seinem Mehrfamilienhaus und dem Umstand, seine Ein-Mann-GmbH in der CDU-Geschäftsstelle einquartiert zu haben, unter Beschuss. Jüttner ermunterte die rechtskonservative Maike-Tjarda Müller, bei der Nominierungsversammlung für den Bundestag gegen den Intimfeind zu kandieren. Die Wahl endete für Müller und Jüttner in einem Fiasko. Ein letztes Mal gelang es Löbel, die große Mehrheit der Mitglieder hinter sich zu bringen.
Es folgte die Maskenaffäre. Und Jüttner gab viele Interviews, in denen er gegen Löbel und sein "System" beinahe genüsslich nachtrat. Den Vorschlag der Interims-Vorsitzenden Katharina Funck, sich der nach einem neuen Kandidaten suchenden Kommission anzuschließen, lehnte er ab. Ein echter "Neuanfang" mit diesen "Löbel-Leuten" sei nicht möglich. Vielmehr solle der gesamte Kreisvorstand zurücktreten – was dieser aber nicht tat.
Nun also Ulrich Seel. Acht Jahre lang unterstützte der in der Gartenstadt aufgewachsene Rechtsanwalt Jüttner in Berlin. Sein Wahlkreisbüro führte der Alt-Parlamentarier im Stadtteil Lindenhof, Löbel zog später mit seinem Büro in die Geschäftsstelle in der Elisabethstraße ein. Seel sagt, er sei in den vergangenen Wochen von vielen Mitgliedern, Funktionsträgern und Bürgen mit der Bitte angesprochen worden, über eine Kandidatur nachzudenken.
Auf Nachfrage erklärt er, Jüttner das Wissen zu verdanken, welche Anforderungen an einen Bundestagsabgeordneten gestellt würden. "Als ich ihn von meinen Überlegungen unterrichtete, riet er mir nicht ab. Das habe ich als Ermutigung aufgefasst", so Seel. Mit seiner Bewerbung kommt er der Findungskommission zuvor, die dem von Jüttner und anderen Parteigranden heftig kritisierten Kreisvorstand einen Kandidaten für den noch nicht terminierten Nominierungsparteitag vorschlagen soll.
Seel gibt sich kämpferisch. Für ihn sind die Mitglieder der Souverän. "Würde man immer nur der Empfehlung von Gremien folgen, wären innerparteiliche Wahlen obsolet", betont der Jurist. Ausdrücklich bittet er Bürger darum, in die CDU einzutreten – um ihn zu unterstützen. Was ein wenig nach "Unterwanderung" klingt, hat für Seel historische Gründe. "Als ich vor über 20 Jahren in die Partei eingetreten bin, hatten wir in ganz Mannheim zwischen 2000 und 3000 Mitglieder. Jetzt sind es noch 900." Zudem beklagten sich viele Leute immer über das Personal, das in Parteien "nach oben" kommt. Er stehe mit "Herz und Seel" für einen anderen Weg.




