Jonas Palm bot ein Cello-Gewitter im Livestream (plus Video)
Eine Reise durch die Cello-Literatur des 20. Jahrhunderts. Die Kulisse hatte etwas Gespenstisches.

Von Simon Scherer
Heidelberg. Bereits die Kulisse besaß etwas Gespenstisches: Das in bläuliches Licht getauchte Frauenbad, keinerlei Publikum, lediglich ein in der Mitte sitzender einsamer Cellist, und falls man zu Hause den Laptop vors Fenster gestellt hatte, tobte draußen der Schneesturm. In einem weiteren Livestream des "Heidelberger Frühlings" widmete sich Jonas Palm ganz der Cello-Literatur des 20. Jahrhunderts. Mit zwei Celli, teils zwei Bögen gleichzeitig und äußerst ungewöhnlichen Klängen.
Wie gemacht für diese Atmosphäre waren Henri Dutilleux’ "Trois strophes sur le nom de Sacher", die den Namen Sachers in Töne übersetzen: Es-A-C-H-E-Re. Dunkle raue Töne waren das, die wie von einer verzweifelnden Stimme zu kommen schienen, die auf alle nur erdenkliche Arten aus ihrem Mikrokosmos auszubrechen versuchte. Diese Vielzahl an Fluchtwegen kam auch deswegen so authentisch beim Zuhörer an, weil Palm die unterschiedlichsten Klangerzeugnisse mit seiner versierten Bogenführung aus dem Klangkörper aufsteigen ließ. Mit bewundernswerter Souveränität meisterte der junge Ludwigsburger diese gewaltigen klanglichen wie technischen Anforderungen, wodurch alles sehr organisch aus sich heraus entstand ohne kraftstrotzende Einwirkungen von außen.
Jonas Palm Solo | #fruehling25 from Heidelberger Frühling on Vimeo.
Eine drastische Steigerung der modernen Spielkunst erfolgte mit Marc David Ferrums "Gitter", das Palm erst 2019 uraufgeführt hatte. Der junge Komponist wollte dabei dem Cello-Klang bis auf den Grund gehen, Grenzen austesten und richtig in Ekstase geraten. Mit gleich zwei Bögen fuhr Palm in widerborstiger Manier über die Cello-Saiten, was richtige Orkane aufkommen ließ. Die Ruhe nach dem Sturm war allerdings nicht weniger furchteinflößend mit einer sehr bildlichen Tonsprache. Palm erwies sich in diesem Gewitter aber wieder als absoluter Herr der Lage mit einer beachtlichen Kontrolle über diese hochkomplexe Partitur.
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Benjamin Brittens Suite for Cello op. 72 wirkte da geradezu wohltuend und beruhigend, als Palm hier voller Inbrunst und Wärme über die Saiten strich. Britten war tatsächlich der erste Komponist, der seit Bach etwas Vergleichbares für Cello solo folgen ließ, und so war Bach auch in vielen Momente herauszuhören, wurde gleichzeitig aber auf wundervolle Weise weiterentwickelt und integrierte auf dem Weg in die Moderne durchaus auch Elemente von Debussy, Brahms und Strawinsky. Auf langen Phrasen und Melodiebögen dachte Palm viel nach und reflektierte diese Musik, was seinem Spiel besonders viel Tiefgang und Intimität verlieh. Jonas Palm ist 1993 geboren und definitiv ein großes Nachwuchs-Talent. Die Musikwelt wird noch viel von ihm hören.



