Der lange und holprige Weg einer 101-Jährigen zur Impfung
Eine 101-Jährige aus Neckarzimmern möchte sich gegen Corona impfen lassen. Eine kleine, persönliche Chronologie.

Von Ursula Brinkmann
Neckarzimmern. Bereits drei Tage vor Weihnachten hatte sich Marlene Schubert an die RNZ gewandt. "Meine Mutter, Hermine Schöni, gehört mit 101 Jahren zu der Gruppe derjenigen, die als erste geimpft werden …", schrieb die 75-jährige Tochter aus dem Allgäu. Sie habe sich gedacht, es wäre doch einen kleinen Artikel wert, dass sich die älteste Einwohnerin von Neckarzimmern gern impfen ließe.
Zumal Hermine Schöni sich jedes Jahr gegen Grippe impfen lässt und ihre Lebensgeschichte mit zwei an Diphtherie verstorbenen Geschwistern ihre Einstellung zum Impfen beeinflusst hat. Das schien Recherche und Geschichte auf jeden Fall wert. Daraus ist nun eine kleine Chronologie der jüngeren Ereignisse um das Impfgeschehen am Beispiel von Hermine Schöni geworden.
Seit Ende Dezember wird geimpft, und der Impfstart verläuft nicht so glatt, wie sich das die meisten wohl erdacht und erhofft hatten. Als Marlene Schubert sich an die RNZ wandte, schien der beste Zeitpunkt für ein Foto der Moment des Piksens im Kreisimpfzentrum in Mosbach, im KIZ im Obertorzentrum. Hermine Schöni würde bestimmt als eine der ersten dorthin bestellt werden. Nun ist die Hochbetagte zwar noch rüstig und insbesondere geistig fit, lebt in der eigenen Wohnung und wird sowohl von einem Pflegedienst als auch von ihrem nebenan lebenden Sohn versorgt, der selbst schon 78 Jahre alt ist. Beide, Mutter und Sohn in Neckarzimmern, sowie die Tochter und Schwester in Dietmannsried, setzten darauf, dass ein mobiles Impfteam ins Haus kommen würde.
Doch in den Informationen zum Wie, Wo und Wann der Impfungen in der am höchsten priorisierten Gruppe der Ü-80-Menschen kamen jene nicht vor, die daheim leben, aber pflegebedürftig und wenig bis nicht mobil sind. Die mobilen Impfteams suchten die Heime auf, wo aber nur ein Viertel der pflegebedürftigen Alten lebt. Hausbesuche sind zudem deshalb schwierig, weil der bisher in der EU zugelassene Impfstoff von Biontech/Pfizer in konzentrierter Pulverform an die im Land verteilten Impfzentren ausgeliefert wird. Er muss zunächst in einem Behältnis von fünf Dosen verdünnt werden, um verimpft werden zu können. Danach ist das Vakzin nicht mehr transportierbar. Für einen Hausbesuch könnte folglich nur eine der fünf Impfdosen verwendet werden, der Rest wäre unbrauchbar. Allmählich verabschiedete man sich im Hause Schöni von der Vorstellung, daheim eine Impfung zu erhalten …
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Am 26. Dezember ging die Nachricht von einer 101-jährigen Heimbewohnerin durch die Medien, die in Sachsen als erste noch vor dem offiziellen Impfstart das Vakzin erhielt. Marlene Schubert kamen Zweifel, ob ein Zeitungsartikel über ihre Mutter denn überhaupt noch interessant sei? Interessanter allerdings war die Beschäftigung mit der Frage, wie nun Hermine Schöni zu einem Impftermin käme. Und wo? In ein zu diesem Zeitpunkt bereits geöffnetes ZIZ, eines der neun zentralen Impfzentren in Baden-Württemberg zu fahren, kam für Hermine Schöni und ihren Sohn nicht in Frage. Heidelberg wäre das nächstgelegene. "Zu weit" fand Marlene Schubert, die sowohl für ihre Mutter als auch ihren Bruder den Aufwand als zu hoch einschätzte.
Im Neckar-Odenwald-Kreis wurde seit dem 27. Dezember über die Impfkonditionen durch das Landratsamt informiert und die Über-80-Jährigen dazu aufgerufen, sich registrieren zu lassen. Der Betrieb des KIZ in Mosbach sollte am 15. Januar starten. Seit Donnerstag ist klar: Es geht erst am 22. Januar los. Ein Termin lasse sich über die zentrale Service-Hotline 116.117 oder online unter www.impfterminservice.de buchen; möglich war das für die zentralen Impfzentren, (noch) nicht aber fürs KIZ. Am 5. Januar erschien in der RNZ die Meldung, dass die Freischaltung der Terminvergabe für das Kreisimpfzentrum am 11. Januar erfolgen solle – online oder Hotline über die beiden bundesweiten Kanäle, deren wahrscheinliche Überlastung im gleichen Atemanzug genannt wurde.
Hermine Schöni ist den neuen Medien gegenüber offen, sie liest E-Books und kommuniziert per Tablet mit der Enkelin in Australien, doch sahen weder sie noch ihr Sohn sich imstande, im Dickicht der Impfterminvergabe zum Ziel zu kommen. Stattdessen machte die RNZ eine Probe aufs Exempel, wählte 116.117. Nach zehn Minuten in der Warteschleife mit diversen Abfragen meldete sich eine freundliche und hilfsbereite Mitarbeiterin, die zwar im Heidelberger ZIZ einen Termin hätte vermitteln können, jedoch keine Auskunft dazu geben konnte, wie das mit den Hausbesuchen sei. Derweil einigte sich Familie Schöni darauf, im KIZ einen Termin für Hermine Schöni zu bekommen, was wiederum mit der Frage des Transports und seiner Kosten verbunden ist. Hier konnte Tochter Marlene Positives nach einem Gespräch mit der Krankenkasse vermelden. "Doch um den Termin müssen wir uns selbst kümmern."
Schubert bereitet sich nun vor für Montag, der trotz Verschiebung des Betriebsstarts am KIZ bis dato als erster Anmeldetag steht. In aller Frühe wolle sie die Hotline anrufen, gleichzeitig auch mit dem Mobilfon. "So habe ich zwei Eisen im Feuer. Es ist mir schon klar, dass ich sehr lange in der Warteschleife hängen werde." Abschrecken tut die 75-Jährige das nicht. "Ich ziehe das durch." Auch online wolle und werde sie es versuchen.
Sie hat dabei die Erkrankung ihres Bruders in Erinnerung, der im Alter von zweieinhalb Jahren an Wundstarrkrampf erkrankte. "Das hätte tödlich verlaufen können. Er war fünf Wochen in der Uniklinik Heidelberg, wo ihn niemand besuchen durfte." Gegen Tetanus schützt seit mehr als 80 Jahren eine Impfung.



