Weinheim

Susanne Tröschers "Abwahl" sorgte für Eklat im Gemeinderat

Die frühere CDU-Stadträtin war von der GAL für den Gutachterausschuss nominiert worden. Andere Fraktionen empfanden das als Provokation.

03.12.2020 UPDATE: 04.12.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 10 Sekunden
Mehrheitlich „abgewählt“: Susanne Tröscher. Foto: Kreutzer

Von Philipp Weber

Weinheim. Als sich die Sitzung des Gemeinderats am Mittwoch dem Ende zuneigte, war der Eklat perfekt. Hans-Ulrich Sckerl (GAL) und Heiko Fändrich (CDU) gerieten so lautstark aneinander, dass OB Manuel Just beide zur Ordnung rief. Die fraktionslose Stadträtin Susanne Tröscher warf ihren früheren CDU-Fraktionskollegen vor, von Hass erfüllt zu sein. Es war der Tiefpunkt einer Sitzung, in deren Verlauf sich negative Energien aufgeladen hatten wie die Batterie eines Autos bei laufendem Motor.

Schon bevor die Besetzung des künftig in Weinheim ansässigen Gutachterausschusses für den Norden des Rhein-Neckar-Kreises auf der Tagesordnung stand, hatten sich die Lokalpolitiker beharkt. Stichwort: Gewerbeflächen. Der Gemeinderat sollte dann unter Tagesordnungspunkt 14 die Bestellung des interkommunalen Gutachterausschusses für die kommenden vier Jahre vornehmen. Vorsitzender des Gremiums ist Matthias Meske, Leiter des städtischen Amts für Vermessung, Bodenordnung und Geoinformation. Weitere Fachleute und – in erster Linie – politische Mandatsträger aus 13 Gemeinden bilden den Ausschuss. Dessen Aufgabe ist in erster Linie, Grundstückswerte zu ermitteln. Daher sitzen vorwiegend Stadträte darin, die beruflich mit Immobilien zu tun haben.

OB Manuel Just. Foto: Kreutzer

Der Weinheimer Gemeinderat sollte dieses Gremium nun vollends aufs Gleis hieven. Denn die Kommunen – darunter auch Weinheim selbst – haben ihre Wunsch-Kandidaten längst benannt. In Weinheim war das im nicht-öffentlichen Teil Gemeinderatssitzung vom 11. November geschehen. Im Verlauf dieser Sitzung sei eine acht Köpfe zählende Liste einstimmig beschlossen worden, berichten Teilnehmer. Neben Amtsleiter Meske und einer weiteren Fachkraft schickten die Stadträte sechs ihrer Kollegen oder Berater in den Ausschuss, jede Fraktion eine(n).

Die GAL verzichtete auf ein "eigenes" Fraktionsmitglied. Stattdessen entschieden sich die Grünen für eine "Schwarze": Sie nominierten Tröscher, die erst zu Beginn der Oktober-Sitzung ihren Austritt aus der CDU-Fraktion erklärt und mit einer persönlichen Abrechnung verbunden hatte. Die Tropfen, die das Fass mehr und mehr gefüllt und zum Überlaufen gebracht hatten, resultierten aus unterschiedlichen Haltungen von Tröscher und der Fraktionsführung. Zur Gewerbeentwicklung.

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Das Vorgehen der GAL im November führte wiederum zu Protesten der anderen Fraktionen. Daniel Schwöbel (SPD) deutete es am Mittwoch im Gemeinderat an: Die Liste der ehrenamtlichen Gutachter war im November ebenso plötzlich zur Abstimmung gekommen wie Tröscher als (Ausschuss-)Vertreterin der GAL auftauchte. Dies bestätigten weitere Stadträte im RNZ-Gespräch. Man habe sich von den Grünen überrumpelt, aber auch provoziert gefühlt, hieß es. Wer andere zum Frieden aufruft, solle mit gutem Beispiel vorangehen, kritisierte auch Günter Bäro (Freie Wähler). Ärgern und provozieren führe zu Missverständnissen, Fehlern und Streit. "Provokation und Kompromisslosigkeit lösen keine Probleme, im Gegenteil, die Fronten verhärten sich", sagte Bäro – der dafür einen lobenden Kommentar von Fändrich erhielt.

Kurz: Die CDU und andere Kräfte wollten die keineswegs unumstrittene Tröscher wieder heraushaben aus dem Gutachterausschuss, in dem sie nach der Novembersitzung eigentlich schon saß. Schließlich – so sahen es die Grünen – stellte die endgültige Bestellung des interkommunalen Ausschusses am Mittwoch einen rein formalen Akt dar. So ist es faktisch unmöglich, dass der Gemeinderat zum Beispiel einen Dossenheimer Gutachter aus dem Gremium wählt. Dennoch bestellte der Gemeinderat nur den Vorsitzenden Meske und dessen Stellvertreter einstimmig und per Akklamation. Für die übrigen Gutachter wurde eine geheime Wahl beantragt – von Günter Deckert (Einzelstadtrat der NPD-nahen "Deutschen Liste"). Mehr brauchte es zunächst nicht: Es muss geheim gewählt werden, wenn nur ein Stadtrat dies will.

Eine Mehrheitsentscheidung war indes nötig, um über das Wahlverfahren zu entscheiden. Hier konnte geheim über die gesamte Gutachterliste abgestimmt werden – oder ebenfalls geheim über jeden Gutachter einzeln. OB Just, die CDU sowie Teile von Freien Wählern und SPD setzten mit knapper Mehrheit durch, dass über jedes einzelne Ausschussmitglied entschieden wurde. Im Klartext: dass Tröscher gezielt "abwählbar" war.

Wobei OB Just auf Nachfrage einer Pressevertreterin anführte, dass er in der Einzelabstimmung lediglich die beste Möglichkeit sehe, die interkommunale Gutachter-Liste vor Schaden zu bewahren. Er wolle verhindern, dass wütende Stadträte den überlokalen Ausschuss in Gänze ablehnen. Dass dieses politische Harakiri überhaupt im Raum stand, sagt indes viel aus über die Atmosphäre im Gemeinderat. Für Tröscher kam es, wie es kommen musste: Obwohl sie die letzten elf Jahre über ehrenamtlich Grundstückswerte ermittelt hatte, holte sie nur ebensoviele Stimmen: elf. Die GAL-Vertreter sind erbost. Man habe Tröscher aufgrund ihrer Kompetenz im Ausschuss gesehen. Dass ihr diese Arbeit liege, hätten Verwaltungsvertreter bestätigt, bei denen man eigens nachgefragt habe, so GAL-Fraktionschefin Elisabeth Kramer im Gespräch. Es sei nie darum gegangen, anderen eins auszuwischen.

Kramer und ihre Fraktionskollegen sehen im Verhalten von Teilen der übrigen politischen Kräfte eine Aufkündigung des Konsensgrundsatzes, laut dem jede Fraktion die Nominierungen der anderen anerkennt. Die Grünen dürfen nun einen der ihren nachnominieren. Doch sie wollen nicht klein beigeben und überlegen, wie sie gegen die Abstimmungen von Mittwoch vorgehen. Alle anderen Mitglieder des Gutachterausschusses sind mit großen Mehrheiten gewählt worden. Für Weinheim sitzen nun Constantin Görtz (SPD), Ernst Ihrig (Die Linke), Daniel Daniel Messelhäußer (Freie Wähler), Patrick Neff (CDU), Andrea Reister (FDP) und Katarina Wulf im Ausschuss.

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