"Unvorstellbares Chaos"

Wie der RAF-Terror zweimal Heidelberg erschütterte

Beim ersten Anschlag 1972 gab es drei Todesopfer. Bei der Panzerfaust-Attacke 1981 hatte ein US-General großes Glück.

16.09.2020 UPDATE: 17.09.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 36 Sekunden
„Terroranschlag auf das Hauptquartier“, titelte die RNZ am Tag nach dem Anschlag im Lokalen. Das Foto links zeigt neugierige Heidelberger vor dem abgeschirmten US-Gelände. Rechts ist ein Benzintank zu sehen, der auf die Straße „Am Bosseldorn“ geschleudert worden war. Foto: RNZ-Repro

Von Sarah Hinney

Heidelberg. Zwei Anschläge verübte die Rote Armee Fraktion (RAF) in Heidelberg. In unserer Serie "75 Jahre RNZ" blicken wir auf die beiden Attentate in den Jahren 1972 und 1981 zurück. Wir dokumentieren, wie die Rhein-Neckar-Zeitung in den Tagen danach über den Terror berichtete.

Das Attentat auf die US-Armee am 24. Mai 1972

> Ein Bild des Schreckens, RNZ vom 25. Mai 1972: "Neben der Detonationsstelle lag eine total verstümmelte Leiche, zahllose Fensterscheiben der Gebäude seien eingedrückt, mehrere Autos total demoliert – ein unvorstellbares Chaos." Das berichtet ein Sanitäter in der RNZ, nachdem am Abend zuvor gegen 18.10 Uhr im Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Europa, den Campbell Barracks in der Römerstraße, Sprengsätze in zwei Autos explodiert waren. Es sollte der schlimmste Anschlag der "Mai-Offensive" sein – einer Reihe von sechs terroristischen Sprengstoffanschlägen, die die RAF zwischen dem 11. und 24. Mai 1972 in der Bundesrepublik Deutschland verübte. Drei Menschen starben an jenem Tag in Heidelberg, fünf wurden verletzt. "Ein Bild der Verwüstung bot der Explosionsort in der Nachbarschaft des Offizierclubs beim Hauptquartier, der gestern Journalisten zu einer kurzen Besichtigung freigegeben wurde", schreibt die RNZ.

> Trittbrettfahrer sorgen für Chaos, RNZ vom 26. Mai 1972: Heidelberg im Ausnahmezustand: Die Zeitung berichtet über die fieberhafte Suche nach den Tätern – gefahndet wird nach einer Frau mit grünem Rock. Dringend gesucht werden Hinweise auf die Autos, in denen die Sprengkörper platziert waren. Gleichzeitig gibt es viele Trittbrettfahrer, die durch insgesamt 13 anonyme Telefonanrufe zusätzlich für Chaos sorgen: Wegen einer Bombendrohung muss der Heidelberger Hauptbahnhof geräumt werden. "Wobei ein Irrsinniger sich nicht schämte, die Explosion einer Bombe in einem Altenheim auf dem Boxberg anzukündigen", heißt es weiter. Parallel werden Anwohner in der Nähe des Hauptquartiers aufgefordert, sich bei der Polizei zu melden, wenn sie Teile von Sprengkörpern finden. Und es hagelt scharfe Kritik an der "Laschheit der Kontrollen" am Eingang des Hauptquartiers.

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> Verletzte berichten, RNZ vom 27./28. Mai 1972: Die RAF bekennt sich in einem Brief zu dem Attentat in Heidelberg. Zehn interessante Hinweise sollen derweil aus der Bevölkerung Heidelbergs gekommen sein. Die Polizei veröffentlicht das Foto eines der Sprengsätze: eine Butangasflasche, die mit Sprengstoff gefüllt gewesen sein soll. Ministerpräsident Hans Filbinger spricht den Angehörigen der Opfer sein tiefes Beileid aus. Die RNZ spricht mit einem der fünf Verletzten: Captain Walter J. Stein sagt, er habe "keine Angst" vor weiteren Anschlägen. Und die RNZ meldet, dass "eine 51-jährige Hausfrau" ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurde, nachdem sie durch die Druckwelle in ihrer Wohnung zu Boden gestürzt sei.

> Neue Drohung aus Heidelberg, RNZ vom 29. Mai 1972: Ein Brief, der per Eilbote aus Heidelberg unter anderem bei der "Frankfurter Rundschau" einging, kündigt weitere Explosionen an – drei Bomben sollen in Stuttgart explodieren. Es gibt noch immer keine heiße Spur. Fieberhaft wird indes weiter nach der Frau im grünen Rock gesucht – die RNZ veröffentlicht ein Phantombild. Niemand weiß zu diesem Zeitpunkt, dass die Frau im grünen Rock bis heute spurlos verschwunden bleiben wird. Unterdessen ist die Anteilnahme der Heidelberger groß: Zahlreiche Leser melden sich in der Redaktion, wollen den hinterbliebenen Familien ihr Beileid ausdrücken und sogar finanziell helfen. Die RNZ veröffentlicht eine Adresse im Hauptquartier, an die Beileidsbriefe gerichtet werden können.

> Wie es weiterging: Glücklicherweise kommt es vorerst nicht zu weiteren Attentaten. Im Juni 1972 werden die Planer und manche Täter der Mai-Anschläge verhaftet-– darunter Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Holger Meins und Jan-Carl Raspe.

45 Jahre nach dem Anschlag, im Oktober 2017, präsentiert der Politikwissenschaftler und RAF-Kenner Wolfgang Kraushaar bei einem Vortrag im DAI neue Erkenntnisse zu dem Anschlag: Er vertritt die These, die Terroristin Angela Luther habe einen der beiden Wagen mit den Bomben in das Hauptquartier gefahren. Luther gilt seit 1972 als vermisst – bis heute.

Der Kroesen-Anschlag am 15. September 1981

> Der Wagen rettete den General, RNZ vom 16. September 1981: "Kroesen entkam knapp Mordanschlag", titelt die RNZ auf der Titelseite – und im Lokalen auf Seite 2: "Am Steilhang lauerten die Attentäter". Die Terroristen hatten sich in einem Waldstück des Schlosshangs oberhalb des Karlstors positioniert und mit einer Panzerfaust den Mercedes des amerikanischen Generals Frederick J. Kroesen beschossen, der an der Karlstorschleuse an einer Ampel hielt. Der General, seine Frau, der Fahrer und ein Begleiter bleiben unverletzt – auch weil Kroesen wenige Tage zuvor auf einen gepanzerten Dienstwagen umgestiegen war. Das Attentat ereignete sich exakt drei Monate, nachdem die Öffentlichkeit Kenntnis von konkreten Vorbereitungen für einen solchen Anschlag erhalten hatte. Mitte Juni hatte die RNZ gemeldet, dass auf einen in Heidelberg stationierten US-Offizier ein terroristischer Überfall stattfinden soll.

> Große Solidarität, RNZ vom 17. September 1981: Die RNZ meldet: "RAF bekennt sich zum Kroesen-Attentat". Wieder geht der Bekennerbrief bei der "Frankfurter Rundschau" ein. Auch anderes ist wie schon im Jahr 1972 – etwa die zahllosen Anrufe von Bürgerinnen und Bürgern in der Redaktion, die ihre Bestürzung über das Attentat zum Ausdruck bringen möchten. Zudem berichtet die RNZ vom Besuch des Ministerpräsidenten Lothar Späth im Heidelberger US-Hauptquartier.

> Ein brisantes Detail, RNZ vom 18. September 1981: Hoher Besuch in Heidelberg: Generalbundesanwalt Kurt Rebmann informiert sich persönlich am Karlstor über den aktuellen Ermittlungsstand. Nur die lokale Presse ist zu dem Termin zugelassen – und erfährt ein brisantes Detail: Am Steilhang oberhalb des Karlstorbahnhofs wurden vier Schlafsäcke gefunden. Die Täter sollen mehrere Tage dort oben auf einen günstigen Moment "gelauert" haben, um ihre Panzergranate abzufeuern. Unterdessen empfangen die Damen des Deutsch-Amerikanischen Frauenclubs die Frau Kroesens und "geben ihrer Freude Ausdruck, dass das Attentat misslungen ist".

> Wie es weiterging: Die RAF-Terroristen der zweiten Generation, Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt, werden im November 1982 festgenommen und 1985 wegen neunfachen Mordes und diverser weiterer Taten – darunter der Anschlag auf Kroesen – verurteilt. 1998 erklärt sich die RAF für aufgelöst. Mohnhaupt wird 2007 aus der Haft entlassen, Klar 2008. Kroesen stirbt am 30. April dieses Jahres in Phillipsburg, New Jersey.

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