Weinheim

Streit über den Gebetsruf von der Moschee eskaliert

Islamische Gemeinde erhebt schwere Vorwürfe gegen die Stadt - Das Rathaus kontert - GAL kritisiert das Vorgehen von OB Just

09.08.2020 UPDATE: 10.08.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 51 Sekunden
Die Debatte um den von der Islamischen Gemeinde geforderten Gebetsruf in der Mevlana-Moschee hält an. Moscheeverein und Stadt liefern sich per Pressemitteilungen verbale Gefechte, und die GAL findet, wie zerbrechlich das Verhältnis der Muslimen mit der Stadtgesellschaft immer noch ist. Foto: Dorn

Von Micha Hörnle

Weinheim. Die Tonlage zwischen dem Moscheeverein und der Stadt wird schärfer: Nachdem das Rathaus die Forderung des Vereins nach Gebetsrufen abgelehnt hatte , meldete der sich mit einer geharnischten Pressemitteilung zu Wort, auf die wiederum die Stadt und auch die GAL reagieren.

> Das sagt der Moscheeverein: Am 23. April hatte dieser um eine Ausnahmegenehmigung für den temporären Gebetsruf während der Pandemiezeit "als ein Solidaritätszeichen mit den in Weinheim und Umkreis lebenden etwa 8000 Muslimen gebeten", woran Vorsitzender Ishak Ünal in einer Pressemitteilung erinnert. Hintergrund war, dass seit den Corona-Verordnungen Glaubensgemeinschaften lange Zeit keine Gottesdienste und Versammlungen mehr abhalten konnten. Das habe auch die Islamische Gemeinde Weinheim mitgetragen. Ishak Ünal schreibt: "Unser Anliegen damals war, durch den Gebetsruf unseren Mitgliedern Halt und Hoffnung zu vermitteln, trotz der geschlossenen Gotteshäuser". In fast 100 Städten in anderen Bundesländern wurde dieser bereits genehmigt, und dabei habe es positive Reaktionen "sowohl von der muslimischen wie auch von der nichtmuslimischen Bevölkerung" gegeben, so Ünal. Aber nach der Anfrage an die Stadt habe sich erst einmal drei Monate nichts getan: "Wir können nicht nachvollziehen, weshalb wir erst Ende Juli die Antwort auf unsere Anfrage vom April bekommen, obwohl inzwischen die Gotteshäuser wieder geöffnet haben. Im Übrigen hätte uns eine zeitnahe Entscheidung auch telefonisch oder schriftlich vollkommen ausgereicht."

Ünal weist ausdrücklich darauf hin, "dass unsere Gemeinde nach wie vor nicht die Absicht hat, den Gebetsruf aus dem Minarett erklingen zu lassen, obwohl unser Grundgesetz dies garantiert". Das Treffen mit Vertretern der Stadt und der Ratsfraktionen vor knapp zwei Wochen sei nicht erfreulich für den Moscheeverein verlaufen: "Was wir bei unserem Gespräch am 27. Juli erlebt haben, hat uns sehr gekränkt. Die belehrende Haltung, die wir bei unserem Treffen erlebt haben, können wir als Weinheimer Muslime von unserer Stadt sowie den Fraktionsspitzen nicht akzeptieren. Die Wortwahl ,Wortverkündigung’ in der Pressemitteilung hat uns sehr irritiert. Es suggeriert, dass die Weinheimer Gemeinde die Menschen missioniert. Hier werden leider antiislamische Ressentiments herangezogen. Dies schadet dem Ruf der Moscheegemeinde!" Denn theologisch gesehen gebe es im Islam keine Missionierung, auch nicht in den 44 Jahren des Gemeindelebens in Weinheim: "Der Gebetsruf ist ein Aufruf zum Gebet, nicht zur Religion."

Aber nicht nur das Treffen an sich stößt Ünal bitter auf, sondern auch das Vorgehen danach: "Bei unserem gemeinsamen Gespräch am 27. Juli waren wir uns einig, dass der Inhalt des Gespräches nicht an die Presse herangetragen werden soll. Wie wir aber später erfahren haben, wurde eine Pressemitteilung zu diesem Gespräch veröffentlicht. Wir sehen dies als ein Vertrauensbruch." Aber der Moscheevereinsvorsitzende beteuert weiter: "Als Weinheimer Muslime möchten wir gute Beziehungen zu unseren Nachbarn weiterhin pflegen, so wie es immer der Fall war."

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> Das sagt die Stadt: Das Rathaus kontert die Stellungnahme des Moscheevereins: "In der Pressemeldung der türkisch-islamischen Gemeinde werden leider Vorgänge dargestellt, die nicht der Wahrheit entsprechen."

So habe Ünal am 23. April die Stadt telefonisch wegen des Gebetsaufrufs kontaktiert, für den 5. Mai war ein Gespräch mit OB Just anberaumt: "Dies kam nicht zustande, weil Herr Ünal trotz zahlreicher Anrufversuche nicht erreichbar war." Am 7. Mai klappte es aber doch, "dabei stellte OB Just in einem offenen, sachlichen und wertschätzenden Gespräch die Haltung der Stadtverwaltung und die geltende Rechtslage klar": Die Baugenehmigung, bei der eine Baulast den Muezzinruf ausschließt, unterschrieben vom Vorstand der Gemeinde persönlich, sei "absolut bindend und nicht verhandelbar" – unabhängig von Sanktionen, die durch die Corona-Pandemie entstanden sind und die dazu führen, dass sich religiöse Gruppen nicht oder nur eingeschränkt treffen können. "Wir können uns nicht vorstellen, dass diese deutliche Aussage nicht verstanden worden ist", so die Stadtverwaltung. Schon bei diesem Telefonat sei aber auch darauf hingewiesen worden, dass es zu gegebener Zeit ein Gespräch mit den Fraktionen des Gemeinderates geben wird, das entspreche "den guten demokratischen Gepflogenheiten in Weinheim". Außerdem wurde ebenso darüber gesprochen, dass man den grundsätzlichen Wunsch der Gemeinde nach einem Gebetsruf diskutieren wollte.

Die Stadt widerspricht eindeutig der Auffassung des Moscheevereins, wonach nach dem Artikel 4 des Grundgesetzes, das die Religionsfreiheit garantiert, auch ein Muezzinruf zulässig ist: "Wir sehen das grundsätzlich anders. Nach der Diskussion vor zehn Jahren und der klar formulierten Haltung in der Moscheekommission und im Gemeinderat ist keine andere Haltung der Stadtverwaltung möglich."

Zugleich erklärt die Stadtverwaltung, wie die Inhalte des Gespräches doch ihren Weg an die Öffentlichkeit fanden: Zwar sei tatsächlich Vertraulichkeit vereinbart worden, bis man im Rathaus feststellte, "dass sich Inhalte des Gesprächs im Newsletter eines Stadtteilvereins wiederfanden und das Thema insbesondere in der Nordstadt schon als Gerücht kursiert. Eine solche Form der Kommunikation hielten wir bei diesem vorbelasteten Thema aber für unangemessen; es hätte der Eindruck entstehen können, dass über den Wunsch der Gemeinde in Hinterzimmern gesprochen wird". Und so habe man sich "in der Abwägung dann für eine seriöse und transparente Information über eine Presseinformation entschieden".

Zugleich hofft die Stadt darauf, dass sich die Wogen jetzt glätten: "Wir wünschen uns, dass der Moscheeverein bei seinen Stellungnahmen wieder zur Sachlichkeit zurückkehrt. Wir haben nicht das geringste Interesse daran, das Verhältnis zwischen der Stadt und der Gemeinde zu belasten."

> Das sagt die GAL: "Die Stellungnahme des Weinheimer Moscheevereins zeigt, wie zerbrechlich auch nach vielen Jahren noch das Verhältnis der Stadt zu diesem Verein ist. Die GAL-Fraktion wird sich sehr dafür einsetzen, dass das gute Einvernehmen, das über Jahre bestand, wiederhergestellt wird. Das ist für eine weiterhin gelingende Integrationsarbeit für beide Seiten völlig unverzichtbar. Dazu sind nun weitere Gespräche nötig", so Uli Sckerl in seiner Stellungnahme zu den Vorgängen.

Die GAL-Fraktion habe bereits gegenüber dem Oberbürgermeister kritisiert, dass die Stadtverwaltung nach einem vertraulichen Gespräch mit dem Verein einseitig eine Stellungnahme dazu veröffentlicht hatte, ohne den Moscheeverein einzubeziehen: "Das war ein Fehler, der neues Misstrauen hervorgerufen hat." In Weinheim bestünden aber deswegen jetzt keine neuen Ressentiments gegenüber Muslimen: "Selbstverständlich gilt auch bei uns das Grundrecht auf freie Religionsausübung. Wir stehen für dieses Grundrecht ein."

Allerdings müsse dem Moscheeverein bewusst sein, "dass er dabei an die vor Jahren getroffene Vereinbarung bezüglich der Nutzung des Minaretts gebunden ist".

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