Vier Treffer für Rang sechs

Kramaric schießt "Hoffe" nach Europa

Der kroatische Vizeweltmeister zeigt beim 4:0 in Dortmund, warum er für die TSG so wertvoll ist

28.06.2020 UPDATE: 29.06.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 21 Sekunden
Überflieger: Hoffenheims Andrej Kramaric gelang alles. Eines seiner vier Tore erzielte er per Elfmeter – ohne hinzuschauen. Foto: APF

Von Nikolas Beck

Dortmund. Mutterseelenalleine startet Andrej Kramaric sein Solo von der Mittellinie. Den Ball nah am Fuß, das Ziel fest im Blick. Kurz vor dem Strafraum zieht er ab. Tor. Der Kroate fällt glückselig zu Boden, die Kameraden sind außer Rand und Band. Alleine: Das Bundesligafinale der TSG Hoffenheim bei Borussia Dortmund ist bei Kramarics Treffer bereits lange abgepfiffen. "Das war ein Spaß", grinst der Vizeweltmeister hinterher. Nachholbedarf kann der Top-Torjäger aber eigentlich keinen mehr gehabt haben: Kramaric 4, Dortmund 0 – alle vier Treffer beim 4:0 (2:0)-Auswärtssieg gingen schließlich aufs Konto des 29-Jährigen.

Praktisch im Alleingang schoss Kramaric die TSG auf Rang sechs und damit direkt in die Europa League, weil Rivale Wolfsburg gegen München ohne Chance war. Wenngleich böse Zungen behaupten, die desolaten Borussen hätten während der 90 Minuten genauso wenig Widerstand geleistet wie bei Kramarics Zugabe nach dem Schlusspfiff.

Hintergrund

Von Nikolas Beck

Heidelberg. Es war die wohl außergewöhnlichste Spielzeit in der Geschichte der Fußball-Bundesliga. Turbulent ging es bei der TSG Hoffenheim aber nicht nur wegen der Corona-Pause zu. Ein Rückblick in elf Kapiteln – die elf "Volltreffer"

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Von Nikolas Beck

Heidelberg. Es war die wohl außergewöhnlichste Spielzeit in der Geschichte der Fußball-Bundesliga. Turbulent ging es bei der TSG Hoffenheim aber nicht nur wegen der Corona-Pause zu. Ein Rückblick in elf Kapiteln – die elf "Volltreffer" der Saison.

1. Die harten Fakten: Am Ende steht die TSG einen Punkt und drei Plätze besser da als 2019. Rang sechs in der Endabrechnung, sogar Rang drei in der "Re-Start-Tabelle" hinter Bayern und Dortmund.

2. Der größte Sieg: Sargis Adamyans große Stunde schlägt am 5. Oktober: Mit seinen beiden Treffern schießt der Neuzugang von Zweitligist Regensburg "Hoffe" zum 2:1-Sieg bei den Bayern. Es war der erste Sieg in München überhaupt.

3. Die beste Serie: Mit dem Erfolg beim Rekordmeister im Rücken wird der Herbst ein historischer: Vier weitere Liga-Dreier hintereinander (gegen Schalke, bei der Hertha, gegen Paderborn und in Köln) folgen. Mit dem Sieg im DFB-Pokal beim MSV Duisburg sind es sogar sechs Pflichtspiel-Siege in Serie. Mehr waren es nie.

4. Die bitterste Enttäuschung: Jäh gestoppt wird der Höhenflug am 24. November. "Historischer Systemabsturz" titelt die RNZ, nach einem Nachmittag zum Vergessen. 1:5 im eigenen Stadion gegen Kellerkind Mainz; vier Tore in Überzahl kassiert. Sogar die LED-Werbebande streikt und stellt den Dienst ein.

5. Der bleibendste Moment: Es ist das Bild der Saison: TSG-Gesellschafter Dietmar Hopp und Bayern Karl-Heinz Rummenigge stehen am Spielfeldrand Seite an Seite im Regen und schauen zu, wie sich Bayern und Hoffenheimer eine Viertelstunde lang den Ball zu schieben. Nach den wiederholten Hopp-Beleidigungen aus dem Bayern-Block einigen sich die Teams auf einen Nichtangriffspakt. Die Partie, beim Stand von 0:6 lange entschieden und kurz vor dem Abbruch, wird zur Farce. Das Bild von Hopp und Rummenigge aber zum Symbol der Solidarität.

6. Die größte Überraschung: "Paukenschlag in Hoffenheim", titelt die RNZ am 9. Juni. Die Trennung von Trainer Alfred Schreuder kommt vier Spieltage vor Saisonende aus heiterem Himmel. "Die schwerste Entscheidung" hätte hier genauso stehen können. Das jedenfalls betont Rosen und sagt: "Uns ist klar, dass wir dafür nicht nur Applaus bekommen." Der Erfolg gibt ihm aber recht.

7. Die größte Entdeckung: Christoph Baumgartner hat sich binnen einer Saison vom Zukunftsversprechen zum Stammspieler entwickelt. "Baumi" bringt alles mit, schießt inzwischen auch Tore (7). Nur Topstürmer Andrej Kramaric (12) hat mehr als der 20-jährige Österreicher.

8. Der jüngste Debütant: 17 Jahre und 144 Tage alt ist Maximilian Beier bei seinem Debüt am 8. Februar in Freiburg. Das Eigengewächs löste damit Nationalspieler Niklas Süle ab, der bei seiner TSG-Premiere rund vier Monate älter war.

9. Der wertvollste Neuzugang: Ob rechts außen oder links hinten: Robert Skov hat überzeugt. Der sympathische Däne kam im Sommer vom FC Kopenhagen und ist zwölf Monate später aus der TSG-Elf nicht mehr wegzudenken. Vier Tore und neun Vorlagen gehen auf das Konto des 24-Jährigen.

10. Der flotteste Spruch: "Ich muss meinen Kollegen beglückwünschen, weil ich liebe ihn einfach." Alfred Schreuders Liebeserklärung an Freiburgs Christian Streich ist umso schöner, da sie erwidert wird: "Dankeschön, Alfred. Mir geht‘s auch so."

11. Das furiose Finale: Immer wieder Dortmund – 2013 den Abstiegsplatz verlassen, 2018 die Champions League erreicht und nun die Europa League klargemacht. Nach dem 4:0 samt historischem Kramaric-Viererpack hätte die TSG sicher nichts dagegen, künftig immer im Finale gegen Schwarz-Gelb antreten zu dürfen.

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Von Beginn an war zu spüren, dass es zwischen Blau-Weißen und Schwarz-Gelben nur für ein Team noch etwas zu gewinnen gab. "Das war die Mentalität der vergangenen zwei Wochen", zeigte sich TSG-Sportdirektor Alexander Rosen, von der Tribüne im ständigen Austausch mit dem Trainerteam auf der Bank, von der Einstellung seiner Schützlinge begeistert.

Von Andrej Kramaric ist er das ohnehin. "Die TSG mit Andrej Kramaric ist eine andere Mannschaft als ohne Kramaric", sagte Rosen schon in den vergangenen Wochen immer wieder. Selten wurde es so deutlich wie am Samstag in Dortmund.

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Mit seinen vier Treffern sicherte sich der Torjäger, der im Laufe der Saison immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen hatte, einen Eintrag in den Vereinsannalen. Vier Tore in einer Partie waren einem Spieler im TSG-Trikot in der Bundesliga zuvor noch nie gelungen. Kein Wunder, dass sich Kramaric den Spielball gleich mal sicherte. Fest umklammert hielt er das "Leder" beim Interview in den Händen und versuchte, die passenden Worte zu finden: "Vier Tore, in diesem Stadion ... Das passiert nicht oft in einer Karriere."

Kramarics Bedeutung für Hoffenheim geht jedoch weit über seine Treffer hinaus, meint Alexander Rosen: "Er hat nicht nur diese Scorer-Qualität, sondern arbeitet auch sehr viel, ist jeder Zeit ballsicher, unheimlich kreativ."

Hintergrund

Von Galoppern und Filmstars

Von Achim Wittich

Die Saison 2019/2020 ist zu Ende und wird in Zeiten von Corona in ganz besonderer Erinnerung bleiben. So wie immer gab es auch diesmal Gewinner und Verlierer, Triumphe und

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Von Galoppern und Filmstars

Von Achim Wittich

Die Saison 2019/2020 ist zu Ende und wird in Zeiten von Corona in ganz besonderer Erinnerung bleiben. So wie immer gab es auch diesmal Gewinner und Verlierer, Triumphe und Tränen, gefeuerte Trainer und gestürzte Helden. Wir schauen nicht immer bierernst auf eine spezielle Spielzeit zurück.

Der Hans im Glück: Anfang November 2019 hatten die Münchner Mia-san-Mia-Sportskameraden von ihrem Double-Gewinn-Trainer Niko Kovac genug. Allen voran Thomas Müller. Und wir wissen: Die Macht sitzt in der Kabine. Also flog der gute Niko und flugs wurde Assistenztrainer Hansi Flick als Chefcoach installiert. Der Rest ist eine einzige Erfolgsgeschichte. Die Bayern spielten fortan mit der Konkurrenz Jo-Jo, aus Hansi wurde respektvoll der Hans – und Müller kam wieder vom Trab in den Galopp, wie sonst nur eines der Pferde seiner Gattin Lisa. Hü, hott!

Der gestürzte WM-Held: Da standen sie am Samstag vorm Duell gegen "Hoffe" alle um ihn herum. Die Dortmunder-Bosse machten bei der Verabschiedung von Mario Götze gute Miene zum bösen Spiel, von den Mitspielern bekam "Super Mario" brav ein bisschen Beifall, wie der Radioreporter kühl feststellte. Den Goldtorschützen vom WM-Finale 2014 in Rio haben sie bei den Schwarz-Gelben vom Hof gejagt. Kicken wird Götze demnächst möglicherweise in Bella Italia. Da ist’s fast so schön wie an der Copacabana und der sensible Feintechniker steht hoffentlich wieder auf.

Der filmische Höhepunkt: Aus Spaß wurde Ernst – Ernst ist nun 34 Jahre alt und heißt Salomon Kalou. Der fröhliche Ivorer von Herta BSC nahm es nicht ganz so genau mit den Corona-Verhaltensregeln, begrüßte lässig per Handschlag den Fitnesstrainer, klatschte in der Kabine munter seine Mitspieler ab oder schaute eben mal hautnah beim Virustest des Kollegen vorbei. Das alles wurde – wenn schon, denn schon – mit der Handykamera für die Nachwelt festgehalten. Kalou hat in Zukunft viel Zeit fürs Filmische. Die "Alte Dame" schmiss ihn hochkant raus.

Der Krisenmanager: "Brot und Fußballspiele gegen das Virus": Christian Seifert, Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL), hatte es wahrlich nicht leicht, zwischen den 36 Mitgliedsklubs zu vermitteln und die Gegner der Saison-Fortsetzung mit Argumenten zu überzeugen. Bei seinem Auftritt im Aktuellen Sportstudio des Zweiten Deutschen Fernsehens wirkte der Strippenzieher angeschlagen. Seifert glaubte wohl selbst nicht daran, dass die Profikicker es tatsächlich bis ins Ziel schaffen würden, gab aber den Mutmacher: "Aus dieser Krise kann etwas Positives entstehen." Jetzt darf er sich als erfolgreicher Krisenmanager feiern lassen.

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Und er ist ein echter Lausbub: Für seinen vierten Streich ließ er sich etwas ganz Besonderes einfallen: Den Elfmeter verwandelte er ohne hinzuschauen. "Ich muss gestehen, dass ich mir das vor dem Spiel schon überlegt habe, wenn wir 3:0 führen, so zu schießen. Wie Firmino." Wenn man weiß, wo das Tor steht ...

Es passte ins Bild, dass der alles andere als gut geschossene Strafstoß dennoch sein Ziel fand: "Hoffe" gelang alles, der BVB hingegen agierte planlos und unmotiviert.

"Schon nach den ersten 45 Minuten hat man eigentlich gemerkt, dass da eine Mannschaft auf dem Platz steht, die will und auch muss und eine auf dem Platz steht, die nicht viel Lust hatte", traf BVB-Torwart Roman Bürki den Nagel auf den Kopf. Anders als sein Trainer Lucien Favre, der über Meister München erst gar nicht reden wollte, zog der Keeper einen Vergleich: "Wir müssen weiter an dieser Gewinner-Mentalität arbeiten. Das ist etwas, das Bayern noch mehr hat als wir."

Den Hoffenheimern war’s egal: Gefeiert und posiert wurde nach dem achten Auswärtssieg der Saison wie nach einer Meisterschaft. Flugs wurden die T-Shirts übergestreift mit dem Aufdruck: "Let’s go – Europa mit Hoffe".

Und auch mit Andrej Kramaric, hofft Rosen, der den Vizeweltmeister als "einen der größten Spieler der TSG-Geschichte" adelte: "Eigentlich hätte er schon lange den nächsten Schritt machen können nach Hoffenheim, aber er fühlt sich so wohl." Rang sechs und die Chance, sich auf internationalem Parkett zeigen zu können, sei nun "ein wahnsinniges Argument, im EM-Jahr nicht nach links oder rechts zu gucken", glaubt Rosen.

"Umschauen" unerwünscht. Ob’s für den Rekordmann künftig auch beim Elfmeter gilt?

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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