Ersti-Wochen in Heidelberg

Wenn der Campus zum Semesterbeginn wie ausgestorben ist

Geschlossene Hörsäle erschweren den Start ins Studium - Besonders das Kennenlernen läuft schleppend, oft nur online

08.06.2020 UPDATE: 09.06.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 23 Sekunden

Die Universität Heidelberg. Archivfoto: joe

Von Hans Böhringer

Heidelberg. Als Lea Bährer (19) zum ersten Mal ihren Mitstudierenden gegenüberstand, war es schon Ende Mai. Sie studierten zu diesem Zeitpunkt seit Wochen zusammen, waren gemeinsam in ein neues Leben gestartet, in ihr Studium des Medien- und Kommunikationsmanagements an der SRH-Hochschule. Doch bis vor kurzem traf Bährer die anderen nur in Chatgruppen, sie kannte ihre Gesichter nur aus Videokonferenzen und von Profilbildern.

Lea Bährer studiert im ersten Semester Medien- und Kommunikationsmanagement an der SRH. Foto: privat

Wie Bährer ergeht es aktuell vielen Studienanfängern und Wechslern. Für das laufende Semester hatten sich 215 junge Menschen neu an der SRH eingeschrieben, 779 waren es an der Uni, die Pädagogische Hochschule (PH) zählte 290 Starts in den Lehramtsbachelor. Wegen der Corona-Maßnahmen blieben zum Semesterbeginn nicht nur die Hörsäle und Seminarräume leer, auch die Mensen, die Cafés und Bars waren geschlossen. Veranstaltungen der Fachschaften waren abgesagt, Kneipentouren gab es nicht. Der Campus ist bis heute wie ausgestorben.

Andere kennenzulernen sei unter diesen Umständen schwer, sagt Bährer: "Man sitzt allein vor dem Laptop und ist abgeschottet. Am meisten fehlt das Dasein auf dem Campus." Fernstudium sei daher auf Dauer nichts für sie, erklärt sie, denn auch für den Studienerfolg sei das Miteinander wichtig: "Ich brauche Menschen um mich." Immerhin gebe es die Chatgruppen, ohne diese würde sie sich ihren Mitstudierenden nicht so verbunden fühlen.

Lea Bährer ist trotz ihres Studiums in Bensheim (Bergstraße) geblieben. Für viele bedeutet der Start an einer neuen Hochschule aber auch den Aufbruch in eine neue Stadt. Helen Sütterlin zog nach Heidelberg, um dort Grundschullehramt an der PH zu studieren. Jetzt vermisst die 20-Jährige etwas, das sie eigentlich noch nicht erlebt hat: "Mittags in die Mensa, abends an die Neckarwiese", so habe sich Sütterlin das "typische Studentenleben" vorgestellt. "Das war für mich der Hauptgrund auszuziehen", sagt sie. Dass Sütterlin dennoch froh ist über ihre Wahlheimat Heidelberg, liegt an ihren Mitbewohnern, die hätten sie gut aufgenommen.

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Mühsamer als die Gewöhnung an die neue Umgebung sei der Einstieg in das digitale Studium gewesen, berichtet Sütterlin: "Die ersten zwei Wochen waren der blanke Horror." Sie habe zu niemandem im Studium Kontakt gehabt, wenig Hilfe bekommen, sei nahe am Verzweifeln gewesen. Dann habe sie sich auf Facebook umgesehen und festgestellt: Sie ist nicht allein. Sütterlin fand eine Gruppe von 60 Menschen, die hier ebenfalls Grundschullehramt im ersten Semester studieren.

Luca Baumert wechselte zum Sommersemester von Berlin nach Heidelberg – für sein Geschichtsstudium. Foto: privat

Anders sieht es bei Studienortwechslern aus, die sich oft in einer in ihrem Umfeld einzigartigen Lage wiederfinden. Luca Baumert wechselte zum Sommersemester aus Berlin nach Heidelberg. Jetzt studiert der 22-Jährige an der Ruperto Carola Geschichte im dritten Semester. Zum zweiten Mal ist er an einer neuen Universität – und urteilt: "Es ist um einiges einsamer über die Online-Welt." In den Kursen, die ohne Videokonferenzen laufen, hat er seine Mitstudierenden noch nicht gesehen. Im Gegensatz zu Sütterlin und Bährer hat er jedoch mit der Fernlehre sonst kein Problem, im Gegenteil, er findet sie praktischer. "Psychologisch gesehen", fügt er jedoch hinzu, "muss man eine Möglichkeit finden, dass Kommilitonen sich sehen können."

Helen Sütterlin ist nach Heidelberg gezogen, um an der Pädagogischen Hochschule Grundschullehramt zu studieren. Foto: privat

Helen Sütterlin und ihre Mitstudierenden fanden so eine Möglichkeit online: Jeden Donnerstagabend haben sie sich verabredet, quasi als digitaler Ersatz für das übliche Ausgehen – ein Fixpunkt in der sonst eher eintönigen Woche des Fernstudiums. Komisch sei das anfangs gewesen, man habe sich viel angeschwiegen, berichtet sie. Doch inzwischen habe sie das Gefühl, dort Freunde gefunden zu haben – zumeist, ohne sie "in echt" zu sehen. "Das schweißt zusammen", meint Sütterlin. Im nächsten Semester endlich regulär auf dem Campus zu sein, das ist ihre Hoffnung.

Auch Lea Bährer hofft darauf. Vielleicht könne man dann auch das Feiern nachholen. "Es war seltsam, sie real zu sehen", berichtet sie über das erste Treffen mit ihren Mitstudierenden außerhalb von Chats und Video. Es sei aber auch ein Highlight ihres bisherigen Studiums gewesen.

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