Sinsheim

Mit der Haushaltssperre retten, was zu retten ist

10,6 Millionen Euro Mindereinnahmen in der Corona-Krise zwingen Sinsheim zum Handeln - Haushaltssperre und Acht-Punkte-Plan

27.05.2020 UPDATE: 28.05.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 25 Sekunden
Mit großer Mehrheit leitete der Gemeinderat die Haushaltssperre nach einem Acht-Punkte-Plan ein. Foto: Tim Kegel

Von Tim Kegel

Sinsheim. Ausbleibende Einnahmen von derzeit 10,6 Millionen Euro. 2,1 Millionen auf dem Konto. Und aktuell anstehende 2,8 Millionen, die am Donnerstag überwiesen werden müssten. So beschrieb Kämmerer Ulrich Landwehr das, was von Sinsheims Finanzen seit der letzten Sitzung des Gemeinderats vor der Corona-Krise am 26. Februar übrig geblieben ist. Mit einer Haushaltssperre – aufgebaut auf einem Acht-Punkte-Plan – will man jetzt retten, was zu retten ist. Zunächst würden hierdurch 3,7 Millionen Euro eingespart. Details aus der ersten Gemeinderatssitzung während der Krise.

Regelrechte Eruptionen musste Landwehr verkünden, Stand Dienstagmorgen: Da lag der Gewerbesteuer-Ausfall bei 5,2 Millionen Euro, einem Viertel der jährlichen Einzahlungen. "Täglich" schicke das Finanzamt neue Korrekturbescheide von Firmen – eine Million Euro summierte sich allein binnen 14 Tagen. 1,9 Millionen Euro weniger Umsatz- und Einkommenssteuer; zwei Millionen Euro weniger Schlüsselzuweisungen; der 395.000-Euro-Zuschuss fürs Hallenbad und 385.000 Euro an Parkgebühren fallen weg. Die angeknackste Freibadsaison hat bis jetzt 195.000 Euro weniger Einnahmen gebracht. Hinzu kommen 370.000 Euro Ausfall bei den Kita-Gebühren, 89.000 Euro für Schüler-Kernzeit- und Nachmittagsbetreuung, 55.000 Euro Musikschulgebühren, 38.000 Euro bei der Schülerbeförderung, 12.000 Euro Mietausfall bei Hallen; 11.000 Euro Defizit bei Bibliothek und Stadtmuseum – und satte 250.000 Euro Vergnügungssteuer-Ausfall wegen geschlossener Spielhallen. Rund 101.000 Euro hätten die Corona-Schutzmaßnahmen gekostet, 30.000 Euro die Einrichtung von Homeoffice-Plätzen. So ergibt sich ein Minus von 10,6 Millionen. Und: Keiner kann sicher Aussagen über weitere Einbrüche im kommenden Quartal treffen. Personalkosten und ähnliche Positionen waren in Landwehrs Auflistung noch nicht eingerechnet. Rund 28,6 Millionen Euro kostet das Personal der städtischen Einrichtungen in diesem Jahr.

Ein Acht-Punkte-Plan soll nun Grundlage einer Haushaltssperre sein. Weit gediehene Projekte in der "Bau- und Beschaffungsphase" sollen abgeschlossen, solche in der Planungsphase zu Ende geplant werden – auch, weil man diese im Fall "eines erhofften Investitions-Förderprogramms von Bund und Land" dann in der Schublade hat, falls Fördermittel projektbezogen fließen. Vorhaben ohne konkrete Planung sollen indessen "grundsätzlich nicht" begonnen werden, auch wenn hierfür bereits Geld im Haushalt 2020 eingeplant war. Neue Vorhaben werden zunächst nicht in Angriff genommen. Außerdem sollen 20 Prozent Unterhaltungskosten, etwa von Gebäuden, gespart, noch nicht ausgeschriebene Stellen zunächst nicht besetzt werden. Durch diesen Plan schafft man es voraussichtlich, rund 3,7 Millionen Euro einzusparen.

Das Sinsheimer Dilemma sind allerdings rund 25 Millionen Investitionen in weit gediehene Projekte, die zu Ende gebracht werden müssen. Hieran ändert auch eine Haushaltssperre nicht viel. Außerdem waren fürs laufende Jahr – erstmals seit längerer Zeit – rund neun Millionen Euro Schulden geplant, von denen laut Landwehr bis jetzt allein schon fünf Millionen Euro aufgenommen werden mussten. Die Pro-Kopf-Verschuldung liegt zur Zeit bei rund 1000 Euro. Sie wird deutlich steigen.

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"Tiefenschärfe" geriet zum Wort des Abends: Mal fehle sie noch, etwa bei der Analyse der ganzen Tragweite der Pandemie in Bezug auf die Stadtkassen. Andererseits möchte man, wie Baudezernent Tobias Schutz sagt, noch mehr Tiefenschärfe in manche Vorplanung bringen. Wieder anderes soll erst nach einer vollständigen Analyse sowohl der Lage als auch einiger Vorhaben zu einem späteren Zeitpunkt diskutiert werden. Eine erneute Haushaltsdiskussion wolle man erst im Herbst – und dann mit mehr Tiefenschärfe – aufmachen. Ein Nachtragshaushalt gilt als so gut wie sicher.

Perspektivisch will man auch an Großprojekten festhalten, weshalb man Planungskosten, wie jene der Realschul-Sanierung, der Bahnunterführung in Hoffenheim, des Neubaus einer Feuerwache aber auch der Nordanbindung mit einkalkuliert, deren Umsetzung allerdings in die kommenden Jahre verschiebt. Das Grundstück der alten Autobahnmeisterei etwa, soll nach wie vor gekauft werden. Das Krisenmanagement der Stadt Sinsheim steht unter dem Duktus "aufgeschoben ist nicht aufgehoben". Diese Herangehensweise befürworteten die Stadträte am Dienstagabend mit deutlicher Mehrheit. In der Ratsvorlage wird der Zeitraum bis ins Jahr 2023 dargestellt.

Eine Streichliste gibt es. Sie soll momentan eher aufschiebenden Charakter haben und reicht von Spielgeräten und Fußballtoren über Kindergarten-Ausstattung bis hin zum Ausbau eines Radwegs. Und von der Feuerwehr-Ausrüstung über eine Sicherheitsprüfung von Laternenmasten bis hin zur Generalsanierung in der Eichelberger Straße 5 in Waldangelloch, zur Außenanlage des Eschelbacher Bauhofs und zur Elsenzbrücke in der Reihener Mühlstraße. Im einst ausgelobten "Jahr des Zuendebringens" ist die Streichliste nicht übermäßig lang. Beobachter halten es allerdings für möglich, dass das "Streichkonzert" am Dienstag erst begonnen hat.

"Wirklich, wirklich Hilfe" würden die Kommunen jetzt benötigen, sagte Landwehr. Bei anhaltender Talfahrt müsse man "über unsere Strukturen nachdenken". Das Sinsheimer Defizit nach der Finanzkrise der Jahre 2009 bis 2011 sei mit 4,5 Millionen Euro ungleich geringer ausgefallen als jetzt. Vom 100-Millionen-Euro-Rettungsschirm an die Städte und Gemeinden aus Anlass der Corona-Krise hätten genau 441.000 Euro Sinsheim erreicht. Wie Schutz und Landwehr, hofft auch Oberbürgermeister Jörg Albrecht jetzt auf ein von der Regierung in Aussicht gestelltes milliardenschweres Rettungspaket für die Kommunen, auch weil andere Orte noch stärker gebeutelt seien als Sinsheim.

Diskussionsfreudig zeigte sich die Grünen-Fraktion: Anja Wirtherle sah die Chance, die Planungsraten der Nordanbindung und der Hoffenheimer Bahnunterführung zu kippen: Straßen würden "Verkehr nach sich ziehen"; die fortschreitende Digitalisierung der Bahn führe ohnehin zu kürzeren Schranken-Schließzeiten, sagte Wirtherle, woraufhin es Kritik hagelte: Letzteres sei "unsinnig", fand SPD-Rat Jens-Jochen Roth: "Dann kommen ja gerade noch mehr Züge." Aktiv-für-Sinsheim-Sprecher Alexander Hertel waren die Argumente "zu pauschal", weil damit eine autofreie Innenstadt als Fernziel ebenso konterkariert werde wie eine Akzeptanz der Bahn beim Autofahrer. SPD-Sprecher Michael Czink mahnte in seinem "Appell" Geschlossenheit an, diese Geste sei "ein erster wichtiger Schritt". CDU-Rat Georg Trunk hielt es für "erbärmlich", das jetzt im Haushalt bereits verabschiedete Punkte erneut grundsätzlich hinterfragt wurden und erhielt Schützenhilfe von CDU-Fraktionschef Friedhelm Zoller. Ihr Fraktionskollege Peter Hesch beantragte daraufhin "das Ende der Debatte".

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