Wie sich die Bedeutung der LEA veränderte
Mal wichtig, mal fast in Vergessenheit geraten - Spielball der Politik

Von Alexander Albrecht und Olivia Kaiser
Mannheim. Es ist ein verregneter Freitagvormittag im Januar 2015, als die RNZ die Landeserstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete (LEA) in der Industriestraße besucht. Mit dabei ist Gisela Kerntke, die Vorsitzende des Vereins KulturQuer, der Patenschaften für Asylbewerber übernimmt. Sie ist entsetzt über die Zustände in dem heruntergekommenen Gebäude.
Kerntke nennt die Unterkunft, in der seinerzeit 700 Männer sowie 50 Frauen und Kinder untergebracht sind, "eine Schande". Früher wurde in dem Immobilienkomplex eine Mühle betrieben. "Im Keller sind noch Mehlspuren. Dort hausen Kakerlaken und Ratten", berichtet die Ehrenamtliche. Aus den Zimmern, in denen bis zu sechs Männer auf zwölf Quadratmetern "leben", dringt starker Essensgeruch. Eine Mensa gibt es nicht.
Einen Tag später gehen 12.000 Menschen auf die Straße. "Mannheim sagt Ja" zur Aufnahme von Geflüchteten. Ein bedeutendes Signal auch für die Zukunft – Anfang 2016 leben mehr Asylbewerber in der Stadt als Demo-Teilnehmer. In der Spitze sind es 15.000. Die Augen der Öffentlichkeit richten sich vor allem auf die Bedarfsorientierten Einrichtungen (BEA) auf den ehemaligen US-Geländen Benjamin Franklin Village und Spinelli.
Die LEA gerät fast in Vergessenheit, dabei ist der Standort für die Stadt enorm wichtig und mit einem "Privileg" verbunden. In den Landeserstaufnahmeeinrichtungen geben die Neuankömmlinge damals ihre Personalien an, sie werden medizinisch untersucht und stellen ihre Asylanträge. Nach durchschnittlich vier bis sechs Wochen werden die Geflüchteten Städten und Kreisen im Land zugeteilt, wo sie so lange bleiben, bis ihr Asylverfahren abgeschlossen ist.
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Bis heute entfällt in LEA-Städten diese Anschlussunterbringung. Nach früheren Berechnungen des Rathauses müsste Mannheim ohne dieses "Privileg" 4000 Geflüchtete dauerhaft aufnehmen. Das möchte die Stadt vermeiden, da sie bereits mehr als 10.000 Zuwanderer aus Südosteuropa integrieren muss und der Wohnungsmarkt angespannt ist. Zwischenzeitlich bringt das Integrationsministerium der damaligen grün-roten Landesregierung Ende 2015 einen LEA-Neubau ins Spiel. Würde man das Gebäudeensemble in der Industriestraße kaufen, so ein Abteilungsleiter, müsste es kräftig renoviert werden. Und die Kosten seien nur schwer zu kalkulieren.
Deshalb plant das Land bis Ende 2018 einen Neubau in der benachbarten Ludwig-Jolly-Straße mit Platz für bis zu 1000 Menschen. Auf dem ausgewählten Gelände standen früher Wohnblocks der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GBG, die inzwischen abgerissen worden sind. Doch auch diese Pläne wandern in die Schublade. "Dabei hätten nur noch die Bagger anrollen müssen", erinnert sich die Grünen-Stadträtin und Landtagsabgeordnete Elke Zimmer heute.
Seit dem Regierungswechsel in Stuttgart von Grün-Rot zu Grün-Schwarz stagniere das Projekt, sagt Zimmers Mannheimer Landtagskollege Boris Weihrauch von der SPD. Was aber auch damit zu tun hat, dass vor drei Jahren eine neue Diskussion aufkommt. Im Juli 2017 ist die zum Teil weiterhin von den US-Streitkräften genutzte Coleman-Kaserne in Sandhofen als Nachfolge-Standort für das Ankunftszentrum im Heidelberger Patrick Henry Village im Gespräch. Dieses übernimmt mittlerweile Registrierung und Untersuchungen der Geflüchteten. Anschließend kommen die Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen wie in der Industriestraße, wo sie bis zu 18 Monate lang bleiben.
Während sich Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) mit den Gedankenspielen von Innenminister Thomas Strobl (CDU) zu Coleman anfreunden kann, sind dessen Mannheimer Parteifreunde und die Grünen dagegen. Nach monatelangen Debatten soll das zentrale Drehkreuz für Baden-Württemberg in Heidelberg bleiben, möglicherweise aber in die Wieblinger Wolfsgärten umziehen.
Somit schließt sich in Mannheim der Kreis und konzentrieren sich die Verantwortlichen wieder auf die LEA in der Industriestraße. Das Gebäude ist nach wie vor in einem desolaten Zustand – hat aber nach Angaben des Regierungspräsidiums (RP) Karlsruhe jetzt einen neuen Eigentümer. Das Land führe mit diesem aktuell Verhandlungen über den Sanierungsbedarf und den Umfang etwaiger Renovierungsarbeiten, sagt ein Sprecher des Innenministeriums der RNZ.
Unabhängig davon würden mit der Stadt "verschiedene Optionen" für eine Erstaufnahmeeinrichtung geprüft, da diese "großes Interesse" daran habe, das LEA-"Privileg" zu behalten. "Die Landesregierung hatte fünf Jahre Zeit, etwas zu unternehmen, und nichts ist passiert", schimpft Weirauch und nennt eine neue Option: "Dem Land gehören ausreichend Flächen im Hafengebiet, um dort eine Erstaufnahmeeinrichtung zu bauen."
Deshalb fordert er Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) auf, die Eignung dieser Areale zu prüfen. "Nichtstun ist keine Option, zumal Grün-Schwarz sich für eine Verlängerung der individuellen Höchstverweildauer in der Erstaufnahme auf bis zu 18 Monate entschieden hat und sich das Problem dadurch noch verschärft", so Weirauch, der von "unhaltbaren Zuständen" in der Industriestraße spricht.



