Heidelberger Eltern üben scharfe Kritik am Kultusministerium
"Sehr geehrte Frau Ministerin, das ist ein Schlag ins Gesicht" - Stadt will in die Bresche springen

Von Anica Edinger
Heidelberg. Der Leidensdruck ist enorm – und er wächst immer weiter. Seit acht Wochen sind die Schulen im Land aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen. "Und bei vielen Eltern ist die Verzweiflung groß", sagt Andrea Dittmar, Vorsitzende des Heidelberger Gesamtelternbeirats (GEB). Zwar dürfen am kommenden Montag immerhin die Viertklässler zurück in die Schulen. Aber: Die aktuellen Öffnungen, gerade im Grundschulbereich, hätten nicht im Ansatz "die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Blick". So steht es in einem Brief, den der GEB am Donnerstag an Kultusministerin Susanne Eisenmann persönlich geschickt hat. "Sehr geehrte Frau Ministerin Dr. Eisenmann", heißt es darin, "Ihr Fahrplan ist für uns Eltern ein Schlag ins Gesicht und geht an unserer Realität und der unserer Kinder vorbei."
Das "reduzierte Unterrichtsangebot", das die Schulen laut den Stuttgarter Vorgaben leisten sollen, bedeutet in der Praxis rund zehn Stunden in der Woche pro Klasse. Die genaue Organisation ist den Schulen vor Ort überlassen. So ergibt sich auch an den Heidelberger Grundschulen ein uneinheitliches Bild: "Manche haben es so geregelt, dass die Schüler jeden Tag kommen, andere, dass sie nur an bestimmten Tagen kommen", erklärt Dittmar.
Die Fülle an unterschiedlichen Lösungen je nach Schule, heißt es in dem Brief, "produziert einen logistischen Aufwand, der in keinem sinnvollen Verhältnis zur wenigen Unterrichtszeit steht". Überhaupt sei Eltern mit Betreuungsproblemen durch den Plan aus Stuttgart kaum geholfen. "Wir fragen uns, was aus dem Grundprinzip der ,verlässlichen Grundschule‘ innerhalb der letzten sieben Wochen geworden ist", schreibt der GEB an die Ministerin.
Was Dittmar und die anderen Eltern besonders ärgert: das Auseinanderdriften von Rechten und Pflichten. So seien Eltern in den vergangenen Wochen insbesondere bei Kindern im Grundschulalter oder jenen mit besonderem Unterstützungsbedarf als "Hilfslehrer" verpflichtet worden – "damit einhergehen allerdings leider keinerlei Rechte, weder bezogen auf Information noch auf Rücksprache oder gar Entscheidungen". In Letztere werde man in keiner Weise mit einbezogen. Im Gegenteil: Eltern seien die Letzten, die über das geplante Vorgehen des Kultusministeriums in Hinblick auf die Schulen informiert würden. Obwohl sie doch die Leidtragenden seien.
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Der GEB sieht Ministerin Eisenmann außerdem in der Pflicht, "einen Pool digitaler Lösungen für Schulen anzubieten", so Dittmar. Denn auch hier sei derzeit eines zu beobachten: ein qualitativ höchst uneinheitlicher Flickenteppich. Täglich seien die Eltern davon betroffen, dass manche Lehrer mit der digitalen Arbeitswelt überfordert seien, heißt es in dem Schreiben des GEB. "Die grundlegendsten Dinge sind zum Teil nicht bekannt, da Sie eine entsprechende Qualifizierung Ihrer Mitarbeiter versäumt haben", lautet der deutliche Vorwurf an Eisenmann.
"Es geht uns dabei ausdrücklich nicht um eine Kritik an den Schulen oder Lehrern", betont Dittmar. Denn die hätten in den vergangenen Wochen ihr Äußerstes gegeben. Dennoch bleibe die Vermittlung des Unterrichtsstoffes – "je kleiner die Kinder, desto mehr" – häufig an den Eltern hängen. "Dabei sind wir dafür weder ausgebildet, noch haben insbesondere berufstätige Eltern die Zeit dafür." In der akuten Notsituation sei man gerne bereit gewesen, seinen Einsatz hochzufahren. "Jetzt aber weiterhin Betreuung, Abläufe und Stoffvermittlung auf uns abzuschieben, ist an Frechheit nicht zu überbieten."
Die Stadt Heidelberg hat das Problem erkannt. Stadtsprecher Achim Fischer erklärte auf RNZ-Anfrage: "Die Situation ist für Eltern absolut unbefriedigend – und für Berufstätige fast nicht zu handhaben." Die neue Situation ab Montag ändere daran nichts – "es wird eher schlimmer". Deshalb wolle die Stadt nun in die Bresche springen und arbeite mit Hochdruck an einer Lösung. Wie genau sie aussehen soll, werde der Oberbürgermeister am Montag verkünden.



