Projektgruppe abgesagt

Heidelberg will Altstadt befrieden - aber keiner macht mit

Bürgermeister Erichson sagt Ideenwerkstatt für Awareness-Kampagne ab - Anwohner und Stadtteilverein hatten Einladung ausgeschlagen

10.01.2020 UPDATE: 11.01.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 27 Sekunden
Nachtschwärmer in der Unteren Straße in der Heidelberger Altstadt. Archiv-Foto: Philipp Rothe

Heidelberg. (tt) Der Versuch, die Situation in der Altstadt zu befrieden, ist gescheitert, bevor er überhaupt begonnen wurde. Denn das erste Treffen einer Projektgruppe, die Vorschläge machen sollte, wie man dem nächtlichen Lärm Herr werden könnte, hat der zuständige Bürgermeister Wolfgang Erichson am Freitag abgesagt – wegen mangelnden Interesses seitens der Eingeladenen.

Im Herbst hatte der Gemeinderat – trotz des vorherigen Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe, in dem strengere Sperrzeiten gefordert wurden – beschlossen, dass die Kneipen in der Altstadt weiter lange offen bleiben dürfen (wochentags bis 1 Uhr, am Wochenende bis 4 Uhr). Zudem sollte eine sogenannte Awareness-Kampagne und ein Konzept für einen Nachtbürgermeister und Lärmbeauftragten erarbeitet werden: Am kommenden Dienstag sollte nun die erste Ideenwerkstatt für den Kommunikationsprozess stattfinden, der das Miteinander in der Altstadt verbessern soll.

Doch am Freitag schickte Erichson überraschend einen Brief an alle Eingeladenen: "Wegen mangelnder Beteiligung müssen wir die geplante Ideenwerkstatt leider absagen." Von Seiten der Anwohner, Initiativen und Vereine habe es ausschließlich Absagen gegeben – und auch nur vier Gaststättenbetreiber hätten zugesagt. "Das für die Ideenwerkstatt geplante Programm kann mit Blick auf diese geringe Beteiligung nicht erfolgreich gestaltet werden", schreibt Erichson.

Deshalb werde die Veranstaltung abgesagt. Erichson will nun erst einmal überlegen, in welcher Form die Beschlüsse des Gemeinderates in Sachen Awareness-Kampagne und Nachtbürgermeister/Lärmbeauftragter sinnvoll weiterverfolgt werden können.

CDU-Stadtrat Matthias Kutsch, der den Antrag für die Kampagne im Oktober eingebracht hatte, reagierte irritiert auf den Brief. "Ich bin verwundert, dass die Veranstaltung so kurzfristig abgesagt wird, obwohl es einen klaren Gemeinderatsbeschluss gibt. Ich erwarte, dass die Verwaltung ihn umsetzt", erklärte Kutsch der RNZ.

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Der Projektgruppe sollten Vertreter der Polizei, des Kommunalen Ordnungsdienstes, der Stabstelle Kultur- und Kreativwirtschaft und Heidelberg Marketing angehören. Eingeladen waren auch Anwohner, Stadtteilverein, Wirte und Gastronomen, Clubbetreiber, Türsteher sowie der Jugendgemeinderat, der Studierendenrat und der Ring politischer Jugend.

Für SPD-Fraktionsvorsitzende Anke Schuster bedeutet die Absage, "dass wir eine hohe Eskalationsstufe zwischen den Konfliktparteien erreicht haben". Aus ihrer Sicht habe der Gemeinderat mit seinem Abstimmungsverhalten für verkürzte Sperrzeiten nicht zur Vertrauensbildung beigetragen. "Ich glaube aber auch, dass das an einzelnen Personen hängt. Wir müssen mit einer neuen Person Vertrauen schaffen. Wir brauchen einen Nachtbürgermeister."

Schuster sagt auch: "Wenn man zum Geburtstag einlädt und keiner kommt, hat das schon seine Gründe." Sie sieht für eine Awareness-Kampagne aber auch die Stadt in der Pflicht, schließlich sei diese für die Rahmenbedingungen in der Altstadt verantwortlich. Die Verwaltung könne – wie in Amsterdam – Transparente aufhängen, auf denen über die Strafen für die jeweiligen Vergehen informiert wird. Dafür brauche man keine Projektgruppe.

"Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir den Gesprächsfaden wieder aufnehmen", sagte Grünen-Fraktionschef Derek Cofie-Nunoo. In der geplanten Form werde es nicht funktionieren: "Es macht nur Sinn, wenn alle bei so einer Kampagne dabei sind. Dass das klappt, daran hatte ich von Anfang an meine Zweifel." Der Gemeinderat habe jetzt eine Bringschuld: "Wir müssen die Anwohner überzeugen, dass es uns ernst ist und wirksame Maßnahmen für eine Besserung der Lärmproblematik sorgen." Allerdings appelliert er auch an Anwohner und ihre Interessengruppen, sich nicht zu verweigern.

Der Stadtteilverein Altstadt hatte schon am Mittwoch das Treffen abgesagt. Da man sich in einem laufenden Gerichtsverfahren befinde, wolle man dessen Ergebnis durch eine Teilnahme nicht vorgreifen. In der Absage äußert sich auch die Enttäuschung über die neuen Sperrzeiten: Heidelberg habe zwei Gerichtsprozesse, die die Bürger gegen die Stadt geführt haben, verloren. "Der Gemeinderat hat sich von den Urteilen in keiner Weise beeindrucken lassen und etwa die Sperrzeiten verträglich für die Menschen, die in der Altstadt leben, arbeiten und schlafen wollen, angepasst. Im Gegenteil. Es gab sogar zusätzlich bis in die Morgenstunden verlängerte Ausnahmeregelungen der Öffnungszeiten einzelner Kneipen", so die Vorsitzende Karin Werner-Jensen. Der Gemeinderat sei zudem nicht den Vorschlägen der Verwaltung zu einer moderat verlängerten Sperrzeit gefolgt, die einen Kompromiss hätte darstellen können.

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