1899 Hoffenheim

Darum war der Oktober für die TSG so golden

Kraichgau-Elf setzt sich mit 3:2 in der Hauptstadt bei Hertha BSC durch - Pragmatiker Schreuder: "Auf dem Boden bleiben"

27.10.2019 UPDATE: 28.10.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 1 Sekunde
Foto: APF

Von Joachim Klaehn

Berlin. Wenn es wahr ist, dass der Herbst den Sommer zu vertiefen pflegt, dann könnte das im übertragenen Sinne auf den Bundesligisten TSG Hoffenheim 1899-prozentig zutreffen. Mit einer kaum zu erwartenden Selbstverständlichkeit und etwas Spielglück verließen die Kraichgauer am Samstag den Rasen des Hauptstadtklubs Hertha BSC Berlin und landeten dank eines unterhaltsamen 3:2 (2:0) den dritten Erfolg in Serie. Wer hätte das gedacht?

Die Schreuder-Schützlinge rundeten den segensreichen Oktober für sich ab, können zufrieden mit dem "Parforceritt" sein und haben nun Tuchfühlung zu attraktiveren Tabellenregionen. Und: Das gewaltige Stadionmonument Olympiastadion, aus Kalksteinen, Konglomeraten und Granit erbaut, schien in der milden Herbstsonne noch einen Tick goldfarbener als gewöhnlich. Zumindest für die TSG!

Hintergrund

Einzelkritik

Baumann: Starke Paraden. Bei den Gegentreffern machtlos. Beim 2:2 von Kalou war er noch mit dem Oberschenkel dran.

Hübner: Auffälligster Akteur, die mit Abstand meisten Ballkontakte. Entschlossen

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Einzelkritik

Baumann: Starke Paraden. Bei den Gegentreffern machtlos. Beim 2:2 von Kalou war er noch mit dem Oberschenkel dran.

Hübner: Auffälligster Akteur, die mit Abstand meisten Ballkontakte. Entschlossen mit Köpfchen zum 3:2. Bravo!

Vogt: Solide. Ließ sich vor dem 1:2 auf ein Wortgefecht mit Duda ein. Musste verletzt raus.

Akpoguma: Deutlich verbessert. Sprühte vor Einsatzfreude.

Grillitsch: Rückkehrer, Ordnungsstifter - mit Luft nach oben.

Kaderabek: Kämpfer. Nach hinten mit Problemen auf der Außenbahn.

Rudy: Giftig, gallig. Zweifacher Eckenschütze und Torvorbereiter.

Rupp: Ihm fehlte der Zugriff und manchmal das Durchsetzungsvermögen. Hätte nach dem Seitenwechsel alles klar machen müssen.

Skov: Mittelmäßige Vorstellung des Dänen. Inzwischen gesetzt auf links.

Locadia: Erster Startelfeinsatz, erstes Erfolgserlebnis. Die eigentlich schlechtere von zwei Chancen verwertete er.

Bicakcic: Kam für Vogt in die Innenverteidigung. Verschätzte sich einmal beim Pass von Duda auf Darida vor dem 2:2. Sonst ordentlich.

Bebou: Drückte überraschend die Bank. Konnte sich nicht in den Vordergrund spielen wie zuletzt gegen Schalke.

Adamyan: Eine gute, offensive Option. Lupfer an den Pfosten, vorher aber abgepfiffen. (jog)

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Die 44.499 Zuschauer im Rund von Westend bekamen - am Bezirksspieltag Reinickendorf - eine turbulente Aufführung geboten. Erst testeten die Herthaner zweimal den rechten Aluminiumpfosten, danach lag Hoffenheim durch die Tore von Jürgen Locadia (33.) und Andrej Kramaric (38.) in Front, die wütende "Alte Dame" Hertha drückte, kam zum 2:2-Ausgleich (Lukebakio, 55./Kalou, 69.), und schließlich erlöste Benjamin Hübner (80.) mit seinem Kopfball die wankelmütigen, aber moralstarken Gäste. Beim Abspann wäre indes auch ein 3:3 oder 2:4 möglich gewesen - es ging bis zur allerletzten Sekunde hin und her bei diesem Fußballthriller.

Ante Covic und sein Trainerkollege Alfred Schreuder waren sich in der Gesamtschau vollkommen einig, dass Hauptdarsteller wie Publikum ein verrücktes, spektakuläres Spiel verfolgen durften. "Bitter, dass dieses Spiel einen Verlierer hatte - und das waren heute wir", sagte Herthas langjähriger Jugend- und U23-Coach, "doch Mitleid gibt es im Sport nicht." Diesen Schönheitsfehler galt es aus Sicht der Hausherren zu verarbeiten, erst recht, weil sich "Hoffe" zu einem Angstgegner der Blau-Weißen gemausert hat. In den letzten zwölf der 19-Ligaduelle gelang dem Traditionsklub lediglich ein Sieg gegen den Dorfverein.

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Hauptproblem diesmal: Die Heimelf ließ bei der zweiten und vierten Hoffenheimer Ecke zwei Kopfbälle zu. "Was uns getötet hat, waren die zwei Standards", meinte Kapitän Vedad Ibisevic, mit Sohnemann an der Hand, in der Mixed Zone trocken und zutreffend. Herthas Manager Michael Preetz beklagte hinterher die Sorglosigkeit in der eigenen Verteidigung. "Das müssen wir uns ankreiden lassen", so der Berliner Sportchef grummelnd.

Umgekehrt traf dies ebenfalls auf die Nordbadener zu. Beim 1:2 und 2:2 profitierte Hertha maßgeblich von Unaufmerksamkeiten der TSG-Defensive: Erst nach einem fix ausgeführten Einwurf von Lukas Klünter und später nach einem Schnittstellenpass auf Vladimir Darida. Dass BSC-Regisseur Darida in der Schlussphase die Ampelkarte (84.) gezeigt bekam, erschwerte zusätzlich die Ausgleichsbemühungen der Covic-Männer.

Es sei ein "glücklicher Sieg" gewesen, zeigte sich Schreuder als empathischer, fairer Sportsmann. Trotz des momentanen Punkteregens gab es für den hemdsärmeligen Niederländer und Pragmatiker Schreuder in den Katakomben keinerlei Grund zum Abheben. "Wir wissen, dass wir kein Bayern München sind", so Schreuder erfrischend unaufgeregt. Anflüge von Hybris sind diesem kantigen, sympathischen Coach ebenso fremd wie Dogmatismen.

Er vergleicht Fußball gerne mit dem richtigen Leben. Es gibt "Höhen und Tiefen" - und auch Rückschläge binnen 90 Minuten. "Du musst immer wieder aufstehen", transferierte er seine Gedankenwelt auf den leidenschaftlichen Fight mit Hertha. Wichtig sei für seine Mannschaft, stabil im Kopf zu sein, die eigenen Schwächen und Stärken genau zu kennen und am Ende zu gewinnen. "Du musst mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben", empfahl der "Vorarbeiter" der Bayern-, Schalke- und Hertha-Bezwinger.

Diese Herangehensweise könnte vor den nächsten Pflichtaufgaben am Dienstag (18.30 Uhr) im DFB-Pokal beim MSV Duisburg und am Freitag (20.30 Uhr) zu Hause gegen Neuling und Schlusslicht SC Paderborn hilfreich sein. Andrej Kramaric betätigte sich in den endlosen Gängen und Untergeschossen des Berliner Olympiastadions gar als Mahner. Die Rollenverteilung sei nunmehr eine andere für die TSG, man starte als klarer Favorit gegen "überwiegend defensiv eingestellte Teams" in die kommenden Aufgaben.

"Wie reagieren wir darauf?", fragte Kramaric rhetorisch, und bemängelte gleichzeitig die Dramaturgie in der Spielstätte der Herthaner: "Es ist nicht gut, dass wir heute bis zum Ende kämpfen mussten." Typisch Kramaric: Er erinnerte ans 3:3 vor einem knappen Jahr in Berlin, als die TSG eine 3:1-Führung verzockte und diese Punkte in der Endabrechnung "für die Europa League gefehlt" hätten.

In der Kabine hätte sich das Team zur Halbzeit vorgenommen, "bitte nicht schon wieder", möglichst also kein Déjà-vu. Und dann sei es ärgerlicherweise trotzdem passiert. "Du musst immer 100 Prozent konzentriert bleiben, immer den Kopf einschalten. Das ist die Realität für Hoffenheim", sprach Kramaric aus, was Schreuder ähnlich formuliert hatte.

Für Hoffenheim, die Bundesliga-Mannschaft der "Stunde", lief in Berlin längst nicht alles perfekt. Aber unterm Strich stand eben ein 3:2, der Tabellenplatztausch mit Hertha und ein gelungener Abschluss des goldenen Hoffenheimer Monats Oktober.

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