Klaus Modick liest zum Auftakt der Literaturtage aus seinem neuen Roman
Er lüftet "Keyserlings Geheimnis" - Mit Lust am Fabulieren

Gekonnt und mit wunderbarem Wortwitz taucht Klaus Modick in die morbide Welt des Schriftstellers Eduard von Keyserling (1855-1918) ein. Heute Abend liest Modick auf dem Heidelberger Universitätsplatz aus seinem Bestseller. Foto: Uwe Zucchi
Von Welf Grombacher
Heidelberg. Sein erster Roman "Fräulein Rosa Herz" war 1887 schon kurz nach dem Erscheinen nicht mehr lieferbar. Nicht, weil sich das Buch so außerordentlich gut verkauft hätte. Vielmehr glaubte ein adliger Herr darin seine nicht ganz standesgemäße Liebelei mit einer koketten Jüdin namens Rosa Herzberg wiederzuerkennen und kaufte erbost die komplette Auflage auf, um sie einzustampfen.
Überhaupt stand das Leben dieses Eduard von Keyserling (1855-1918) unter keinem guten Stern. Seinen Platz in der Geschichte behauptet er nur, weil er einer der in der Literatur eher seltenen Vertreter des Impressionismus ist.
Das Porträt, das Lovis Corinth im Jahr 1900 von Keyserling malte, zeigt ihn als blassen Hagestolz, der mit quellenden Glubschaugen und roten Ekzemen im Gesicht aussieht, als wäre er gerade seinem Grab entstiegen. Syphilis und Quecksilbertherapie haben ihre Spuren hinterlassen und aus dem Mittvierziger einen alten Mann gemacht. Das aber gerade reizt Corinth. So wie ihn auch welkende Blumen viel mehr interessieren als frische, oder die "Edelfäule" der Früchte im Obstkorb ihn eher anspricht als es die taufrischen tun.
Zwar ist Keyserling zunächst ein wenig entgeistert als er von dem Porträtwunsch erfährt: "Edelfäule? Und damit meint er mich? Das ist ja unerhört!" Aber was tut man nicht alles, um einem guten Freund einen Gefallen zu tun. Dann eben ein Gemälde.
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Wie bereits in seinem Bestseller "Konzert ohne Dichter" (2015), der auf zauberhafte Weise von der schwierigen Beziehung zwischen Rainer Maria Rilke und dem Worpswede-Maler Heinrich Vogeler erzählte, steht auch in Klaus Modicks aktuellem Roman "Keyserlings Geheimnis" wieder ein Bild im Zentrum. Was einmal funktioniert, funktioniert auch ein zweites Mal, mag er sich gedacht haben.
Sogar das Buchcover erinnert mit ähnlichem Jugendstildekor an den Vorgänger. Und siehe da: Erfolg lässt sich wirklich wiederholen. Selbst aus dem eher trögen Impressionisten ist ein hinreißender Künstlerroman geworden. Am Mittwochabend stellt ihn Modick bei den Heidelberger Literaturtage auf dem Universitätsplatz vor.
Sein Roman liest sich wie von selbst und wurde deswegen nur folgerichtig zu einem Bestseller. Wie außer ihm derzeit nur Daniel Kehlmann, versteht es der 1951 in Oldenburg geborene Klaus Modick, sich einen historischen Stoff einzuverleiben und ihn derart leicht und gefällig zu erzählen, dass es eine pure Freude ist. Der Schalck sitzt ihm dabei immer im Nacken. Scheinbar mühelos schlüpft Modick in das sprachliche Gewand der Jahrhundertwende und füllt es mit Leben.
Am Stammtisch in Schwabing und in der Sommerfrische am Starnberger See ist Keyserling unter den Künstlerfreunden Lovis Corinth, Max Halbe und Frank Wedekind zu erleben, während sich in einzelnen Rückblicken ganz allmählich sein Geheimnis auftut. Da ist zu lesen wie in seiner Jugend während des Jura-Studiums in Dorpat eine Affäre mit einer verheirateten Dame namens Ada von Cray seinen Ruf in Adelskreisen ruiniert, er vor dem Duell mit dem erbosten Gatten des nächstens fliehen muss.
Wie er später in Wien "ein bisschen" Kunstgeschichte und Philosophie studiert, vor allem aber sich an "süße Mädel" hält. "An jene Damen, die sich Schauspielerinnen nannten oder es manchmal sogar waren". Bei ihnen holt er sich die Krankheit, die ein grober "Nachweis moralischen Fehlverhaltens" ist, "das man taktvoll mit Schweigen ignoriert".
Nie war Keyserling das, "was Frauen einen schönen Mann nennen", heißt es im Roman süffisant. Aber "der vorzeitige Verfall macht ihn zu einer pittoresken Ruine, zur Inkarnation des zerfallenden Adels in den baufälligen Schlössern und Herrenhäusern seiner baltischen Heimat." Bis heute rätselt die Literaturgeschichte über seine überhastete Flucht aus dem Kurland. Ob wirklich eine Dame dahintersteckte, lässt sich wohl kaum mehr klären. Klaus Modicks Variante aber liest sich überzeugend.
Die Lust am Fabulieren spricht aus jeder Zeile dieses meisterhaften Romanes, in dem Zeitebenen mühelos verschwimmen. Gekonnt und mit wunderbarem Wortwitz erzählt Klaus Modick von der Genese eines Schriftstellers, dem der gesellschaftliche Sturz erst das Leben als Künstler ermöglicht. Erst als der Ruf des Grafen ruiniert und er nach Wien geflohen ist, kann er dort das Leben des Literaten führen, den wir heute auch als den "baltischen Fontane" kennen.
Info: Klaus Modick: "Keyserlings Geheimnis". Kiepenheuer & Witsch, 240 Seiten, 20 Euro. - Modicks Lesung aus dem Roman beginnt am heutigen Mittwoch um 19 Uhr im Spiegelzelt auf dem Uniplatz.