Zwei Leben auf acht Quadratmetern (plus Video)
In der Unterkunft im Wiesenweg klagen Bewohner über Schlaflosigkeit und Platzmangel - Von der Stadt fühlen sie sich alleingelassen

Drinnen, im Zimmer von Sascha Müller und seinem Mitbewohner, bleibt dagegen kaum noch Platz.
Von Frederick Mersi
Schriesheim. "Meine Nachbarin ist gerade eine Geldstrafe absitzen", sagt Sascha Müller, als er das betritt, was er sein "asoziales" Zuhause nennt. Immerhin ist so mehr Platz im Kühlschrank. Der 36-Jährige wohnt seit vier Monaten in der Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkunft am Wiesenweg, seit drei Monaten mit einem zweiten Mann in einem etwa acht Quadratmeter "großen" Zimmer. Zwischen zwei Betten, einem kleinen Ikea-Tisch, Stuhl und Spint bleibt gerade genug Platz, um sich einmal um die eigene Achse zu drehen.
"Das war mal ein Stockbett", sagt Müller. "Aber da mein Mitbewohner und ich unter Schlafstörungen leiden, hat das nicht funktioniert." Als er aus dem Talhof hierhergekommen sei, habe er zunächst ein Einzelzimmer gehabt. Dann begann die Stadt, die Wohneinheiten in der Container-Anlage doppelt zu belegen. Damit kamen auch die Probleme: 18 Mal wurde die Polizei in den letzten drei Monaten zu der Unterkunft gerufen, in 13 Fällen ging es um Streitigkeiten und Körperverletzung. Im Quartal zuvor sei kein einziger Einsatz dokumentiert worden, bestätigte ein Polizeisprecher.

Viele Konflikte auf engstem Raum: Seit die Stadt Zimmer in der Container-Anlage am Wiesenweg doppelt belegt, musste die Polizei 18 Mal zu Einsätzen in der Unterkunft ausrücken. In den drei Monaten zuvor war sie kein einziges Mal dorthin gerufen worden. Fotos (3): Bernhard Kreutzer
"Das ist hier langsam kein Zustand mehr", sagt Müller. "Wir haben gefühlt jeden dritten oder vierten Tag einen Polizeieinsatz." Wenn man so viele Leute in einen so engen Raum sperre, sei das programmiert. "Ich habe wegen der Streitigkeiten wochenlang nicht schlafen können", sagt Rainer Herrmann. Der 67-Jährige wohnt schon seit vielen Jahren auf dem Gelände, hat mit seinem grünen Daumen vor dem Eingang zu den Containern eine kleine Gartenidylle mit Teich und Gemüsebeeten geschaffen. "Willst du was haben, musst du auch was tun", sagt er. Gegen eine Doppelbelegung seines Zimmers hat er sich bis zum Schluss gewehrt, Herrmann zog bis vor den Verwaltungsgerichtshof Mannheim.
Dass er heute immer noch in einem Einzelzimmer wohnt, hat er aber nur der Tatsache zu verdanken, dass eine geplante Zwangsräumung am Ende nicht vorgenommen wurde - vor Gericht hatte der Schriesheimer verloren. "Das hier ist gelebte Ungerechtigkeit", sagt Herrmann. "Ich habe 50 Jahre lang gearbeitet, und dann werden hier immer mehr Leute eingewiesen, weil die Stadt Wohnungen für Flüchtlinge freihalten muss." Müller sieht das ähnlich: "Wir fühlen uns wie Bürger dritter oder vierter Klasse." Er zahlt für sein Acht-Quadratmeter-Doppelzimmer eine Gebühr von 174,84 Euro pro Monat, Herrmann knapst für sein Einzelzimmer 286,44 Euro von der Rente ab. Viel Geld für wenig Komfort.
Hintergrund
Das Gelände am Wiesenweg wurde schon in den 90er-Jahren zur Unterbringung von Geflüchteten aus dem ehemaligen Jugoslawien genutzt. Damals wurden die Bürgerkriegsflüchtlinge in Holzhütten, den sogenannten Holland-Häusern, einquartiert.
2015 entzündete
Das Gelände am Wiesenweg wurde schon in den 90er-Jahren zur Unterbringung von Geflüchteten aus dem ehemaligen Jugoslawien genutzt. Damals wurden die Bürgerkriegsflüchtlinge in Holzhütten, den sogenannten Holland-Häusern, einquartiert.
2015 entzündete sich eine Diskussion an der Frage, ob dort, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Jugendtreff auf dem Push-Gelände und zur Anlage des Tennisclubs, eine größere Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge gebaut werden soll. Der Vorschlag scheiterte, der Gemeinderat entschied sich für eine dezentrale Unterbringung. Die neue Container-Anlage wurde überwiegend für Obdachlose genutzt. Schon Anfang des Jahres wies die Stadtverwaltung darauf hin, dass sie bald keine Kapazitäten mehr für Obdachlose und Flüchtlinge habe und schlug eine Erweiterung um vier Container vor. Der Vorstoß scheiterte zwei Mal, jetzt stehen Unterkünfte in Holzmodulbauweise zur Diskussion.
Für das kommende Jahr rechnet das Ordnungsamt mit etwa sechs Obdachlosen und mindestens 30 bis 50 Flüchtlingen, die sie unterbringen muss. fjm
Inzwischen hat die Stadt sowohl für Obdachlose als auch für Flüchtlinge keine Kapazitäten mehr. Deshalb unternimmt die Verwaltung in der Gemeinderatssitzung am 24. Oktober zum dritten Mal den Versuch, die Container-Anlage am Wiesenweg um vier Wohneinheiten zu erweitern, in Holzmodulbauweise. Bisher war dies am Widerstand einer Mehrheit der Grünen Liste und der Freien Wähler gescheitert, die den Standort an sich ablehnen.

Draußen, vor dem Eingang, hat Rainer Herrmann (67) einen idyllischen Garten mit Teich angelegt.
Als "kaum noch tragbar" bezeichnet der ehemalige Ordnungsamtsleiter Dominik Morast, der sich seit 1. Oktober im Hauptamt einarbeitet, die Situation. Zwar sei eine Doppelbelegung der Zimmer im Rahmen des Rechtmäßigen, sogar vier Bewohner pro Einheit seien erlaubt. "Aber man sollte sich schon zu Herzen nehmen, dass der Bedarf größer ist, als die Rechtsprechung das vorgibt", sagt Morast. "Ich wollte so auch nicht tagtäglich leben."
Sascha Müller formuliert es drastischer: "Ein Hund im Tierheim hat mehr Platz als wir. Es scheint egal zu sein, was mit uns passiert." Er hofft auf eine Erweiterung der Anlage, und dass die Stadt nicht mehr die "Problemfälle" unter den Flüchtlingen dorthin verlegt. "Aber ich warte im Moment vor allem auf meine Berufserprobung, damit ich wieder in den Arbeitsalltag einsteigen kann", sagt Müller. Seine Mundwinkel heben sich zu einem Lächeln. "Hoffnungslos bin ich nicht."