Wenn das Rauschen im Walde eher ein Röcheln ist
Kraichgau-Wälder, wie man sie bisher kannte, sind weitgehend Geschichte - Klimawandel verändert die Struktur des Forsts

In diesen Fichten bei Dühren hat der Käfer gewütet. Hier half nur noch Fällen. Foto: Kegel
Von Tim Kegel
Sinsheim. Nicht nach Herbst sieht es aus, sondern tot. Ein gräulicher Schleier im Gehölz, weniger bunt als sonst im Oktober, der Wald rauscht nicht, es raschelt und knackt; der typische Modergeruch von Moos, Pilzen, Blattgrün und Feuchtigkeit fehlt. Unterwegs mit Philipp Schweigler, dem Chef des Forstbezirks, und Dietmar Weiland, Revierleiter im Sinsheimer Stadtwald. Sie zeichnen ein düsteres Bild des Walds nach dem Rekordsommer.
"Der Sommer legt noch mal richtig los" - wenn Dietmar Weiland Sätze wie diesen im Radio hört, könne er "fast nicht hinhören" und wird wütend: "Eigentlich", sagt Weiland, müsste es "einen Appell geben", müsste "die Menschheit einiges sofort komplett anders" machen. Am Dienstag, einem Tag mit klarer Luft und klarem Himmel, zog es sich allmählich zu, nur aufgrund der Kondensstreifen Dutzender Flugzeuge. "Können wir das Ruder wirklich rumreißen?" Solche Fragen stellen sich Schweigler und Weiland auf ihrem Weg durch den Wald. Dort spüre man den Klimawandel besonders drastisch.
Das Ausmaß ist gewaltig: Beim dreistündigen Rundgang durch ein wenige Quadratkilometer großes Waldstück zwischen Hilsbach, Weiler, Dühren und Waldangelloch gibt es keinen Teil, in dem nicht Dutzende, öfter Hunderte Bäume von der Trockenheit und deren Folgen beschädigt oder abgestorben sind. Betroffen sind sämtliche Baumarten, sogar an eher günstigen Standorten. Und: Auch im artenreichen Mischwald, der als weniger stressanfällig als Monokulturen gilt, stehen dürre regelrechte Baum-Gerippe mit grauem Laub oder ohne Nadeln. Kurz- und mittelfristig müssten diese Hitzeopfer gefällt werden, um wenigstens den Holzwert abzuschöpfen. Der Wald nach 2018 wird anders aussehen.

Nur sechs Mal hat es in einer für den Wald relevanten Menge geregnet, verdeutlicht Philipp Schweigler anhand einer Skala. Foto: Tim Kegel
Viel zu wenig Regen: Schweigler zeigt Balkendiagramme von der Waibstadter Wetterstation, die Monate März bis Mitte September. "Für den Laien sieht’s nicht mal so schlimm aus." Aber: "Unter zehn Liter Regen pro Quadratmeter", sagen die Förster, "kommt nichts durchs Kronendach". Schweigler deckt die Diagramme unterhalb dieses Schwellenwerts mit einem Blatt Papier ab, Dramatisches tritt zutage: "Nur sechs Mal" fiel demzufolge in diesem Zeitraum eine für den Wand bedeutsame Regenmenge. Es fehlten, schätzt Dietmar Weiland, "mindestens 250 Liter Regen pro Quadratmeter".
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Borkenkäfer: Man erkennt sie an den grünen Fichtennadeln, die den Waldboden dicht bedecken wie ein Teppich, vermischt mit abgeplatzten Borkenstücken. Ein großes Problem. Oberhalb von Dühren musste fast ein Hektar Fichten gefällt werden. Die Käfer rasten regelrecht durch die Bestände. Binnen weniger Tage entstehe großer Schaden. Auch Lärchenborkenkäfer hätten sich im Sommer ausgebreitet. Der Markt beim Fichtenstammholz sei dadurch übersättigt: 50 Millionen Festmeter seien hierdurch allein in Mitteleuropa angefallen, sagt Weiland. Oft handle es sich um Holz aus Beständen, "die durchaus noch 50 Jahre hätten stehen können".
Ein komplexes Problem: Um die Ausbreitung der Käfer zu vermeiden, müssten die Nadelbäume schnell gefällt werden, oft kämen später sonst Pilze hinzu, die das Holz zusätzlich schädigten. Auch die immer häufiger auftretenden "Mastjahre" mit starker Samenbildung verschlimmerten die Lage, sagt Weiland, denn Samen zehrten zusätzlich. Ein Baum habe außerdem die Eigenschaft, in den Blättern sitzende Nährstoffe mit Ende der Vegetationszeit zurück im Stamm zu speichern.

Die starken Lärchen vor dem Forstbetriebshof sind am Ende. Foto: Tim Kegel
Baumarten verschwinden: "Genau genommen dreieinhalb", fällt Philipp Schweigler auf. Wie vielerorts komme die Fichte auch im Kraichgau mit den Veränderungen schlecht klar. Die Esche ist seit Jahren vom Eschentriebsterben geschwächt - durch den Trockenstress nehme dieses Fahrt auf. Seit Jahren und bedingt durch extremere Sommer rückläufig ist auch die Ulme, einst das Holz der Wagenbauer. Im Jahr 2018 hat Dietmar Weiland massive Schäden selbst an starken und stärksten Lärchen festgestellt. Baumgruppen, die das Landschaftsbild über Jahrzehnte geprägt haben - ein einziger Sommer hat sie zunichte gemacht.
"Arbeit der Vorväter", viel davon, habe der Rekordsommer jäh beendet, etwa an der im Jahr 1899 gepflanzten und seither von Förstergenerationen gepflegten Lärchengruppe rund um den Forstbetriebshof in Hilsbach. Im Gewann Eichelberg hoch über dem Hilsbacher See sind einige Dutzend 120 Jahre alte Buchen abgestorben. Viele dieser Bäume hätten erst die Nachfolger der Nachfolger von Schweigler und Weiland ernten sollen. Schon jetzt waren sie dick, stark und gerade gepeppelt, so genannte Zukunftsbäume.
Beklemmende Aussichten deshalb: "So ein Sommer darf lange nicht mehr kommen", sagt Philipp Schweigler; schon mit den Spätfolgen des "Jahrhundertsommers" 2003 hätten Förster die folgenden fünf Jahre zu tun gehabt. Nicht auszudenken, würde sich das jetzige Szenario jährlich wiederholen. Und keiner kann sagen, ob es dies tut.

Die Hoffnung hängt an einigen Eichensämlingen. Foto: Tim Kegel
Weitermachen: Philipp Schweigler, der sich "einen Optimisten" nennt, räumt zwar ein, dass die aktuell im Wald sichtbaren Schäden "vielleicht nur die Spitze des Eisbergs sind". Immer noch ist der überwiegende Teil des Kraichgauer Walds jedoch gesund. Positiv stimmten Schweigler am Dienstag auch die Eichen: Hier gehe manchenorts sogar ein Sämling auf. Und in Dühren stehen starke Douglasien direkt neben vom Käfer nahezu zerstörten Fichenbeständen. Wie die Altvorderen arbeite man daran - zur Zeit mit Blick auf die Mittelmeerländer, wo unter anderem Esskastanien und Eichen wachsen - den Wald zukunftsfähig zu halten. Auch unter schwierigen Bedingungen. "Aber was in 50 Jahren ist, wissen wir immer weniger."



