"Ich kann noch in den Spiegel schauen und mich selbst erkennen"
Klaus Gärtner hört nach 24 Jahren auf - Mit der RNZ sprach er über Bürgernähe, zu viel Politik und ein Leben ohne Handy

Klaus Gärtner hatte am Freitag seinen letzten Tag als Chef im Gaiberger Rathaus. Seine Mitarbeiter nennt er "Kollegen" - und die werden ihm fehlen, gibt er zu. Foto: Alex
Von Anja Hammer
Gaiberg. Nach 24 Jahren ist Schluss: Bürgermeister Klaus Gärtner hatte am Freitag seinen letzten Arbeitstag im Gaiberger Rathaus. Am Abend wurde er feierlich verabschiedet - und bei der heutigen Kerweeröffnung ist er nur noch Zuschauer, wenn seine Nachfolgerin Petra Müller-Vogel das Bierfass ansticht. Doch bevor er sich nach insgesamt 50 Jahren im Gemeindedienst endgültig in den Ruhestand verabschiedet, hat sich die RNZ noch mit dem 65-Jährigen unterhalten. Im Interview verriet er, wie man auch ohne Handy Bürgermeister sein kann und bei was sich ihm die Nackenhaare sträuben.
Herr Gärtner, Ihre Frau Annette ist beim TSV sehr engagiert. Machen Sie nun im Ruhestand bei der "Fit ab 60"-Gruppe mit?
Jein. Meine Frau leitet ja fast alle Gruppen. Zum Seniorensport gehe ich noch nicht und für die Kindergruppe bin ich zu alt. Ich habe aber tatsächlich versprochen - und zwar schriftlich - dass ich mittwochs komme. Da trifft sich eine gemischte Gruppe, vorwiegend ältere Gaiberger Handballer, die meine Frau fit hält.
Hintergrund
Klaus Gärtner wuchs in Neckargemünd auf. Sein Vater war Schuhmacher, die einstige Werkstatt ist heute im Neckargemünder Heimatmuseum ausgestellt. Klaus Gärtner trat nicht in die Fußstapfen seines Vaters: Er fing 1968 eine Ausbildung bei der Stadt Neckargemünd an - da war er
Klaus Gärtner wuchs in Neckargemünd auf. Sein Vater war Schuhmacher, die einstige Werkstatt ist heute im Neckargemünder Heimatmuseum ausgestellt. Klaus Gärtner trat nicht in die Fußstapfen seines Vaters: Er fing 1968 eine Ausbildung bei der Stadt Neckargemünd an - da war er gerade einmal 15 Jahre alt geworden. Nach der Lehre arbeitete er im Rechnungsamt im Neckargemünder Rathaus. "Ich hab’s schon immer mit Zahlen gehabt", so Gärtner rückblickend.
In den 70er Jahren übernahm der Gemeindeverwaltungsverband Neckargemünd die Gaiberger Kasse - und Gärtner war dafür zuständig. Als also 1984 ein neuer Bürgermeister für Gaiberg gesucht wurde, musste Gärtner nicht lange überlegen. "Der Bezug war da", sagt er heute. Zudem hatte er eine Gaibergerin geheiratet und mit ihr bereits zwei Jahre zuvor in der Gemeinde am Königstuhl gebaut. Bei der Wahl 1984 hatte Gärtner einen Gegenkandidaten - und gewann mit 14 Stimmen Vorsprung. Das Kuriose: Gärtners Nachfolgerin Petra Müller-Vogel gewann bei der diesjährigen Wahl ebenfalls mit 14 Stimmen Vorsprung.
Bei seiner zweiten und dritten Wahl hatte Gärtner keine Gegenkandidaten und erhielt beide Male über 90 Prozent Zustimmung. Eine Notiz am Rande: Gärtner ist Handyverweigerer. Seine Arbeit als Bürgermeister hat er stets ohne Mobilfunktelefon bewerkstelligt. Für den Ruhestand überlegt er sich, ob er sich nicht doch ein Handy anschafft. Mit seiner Ehefrau Annette hat Klaus Gärtner einen Sohn, der ihn zum zweifachen Großvater gemacht hat. Er bezeichnet sich als "Familienmensch" und freut sich schon, künftig mehr Zeit mit den Enkeln zu verbringen. aham
Als Rathauschef hatten Sie nie sonderlich viel Freizeit. Was haben Sie nun alles vor?
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Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Ich habe mit vielen Rentnern gesprochen. Die haben alle gesagt: Nimm dir nichts vor und versuche nicht krampfhaft, irgendetwas zu machen. Erst ist es wie Urlaub und dann kommt automatisch was, das einem gefällt. Und was das ist, weiß ich noch nicht.
In der Region Heidelberg sind Sie eine aussterbende Art: ein Bürgermeister-Dinosaurier. 24 Jahre lang waren Sie im Amt. Wenn Sie diese Zeit mit einem Wort beschreiben müssten, welches wäre das?
Dürfen es auch zwei sein? Interessant und lehrreich. Man lernt Menschen jeder Facette und jeder Fasson kennen. Da gab es liebe Menschen, die ich nie vergessen werde, aber auch welche, die nicht so toll waren. Die Menschen sind für mich der entscheidende Faktor beim Amt des Bürgermeisters.
Noch etwas macht Sie besonders: Sie sind in der Region der einzige Bürgermeister ohne Handy. Wie geht das?
Ich habe nie ein Handy gebraucht. Ich war trotzdem immer erreichbar. Meine Leute wussten, wo ich bin. Wenn ich im Urlaub war, habe ich ihnen für den Notfall eine Nummer gegeben. Aber so überlegt man sich, ob man wegen jedem Käs’ bei mir anruft.
Sie haben immer versucht, so viele Aufgaben im Rathaus zu behalten wie nur irgendwie möglich. Zum Beispiel das Personalwesen oder das Grundbuchamt - bis das zuständige Ministerium dem einen Riegel vorschob. Was war Ihnen so wichtig daran?
Wenn ich das Wort "Synergie-Effekte" höre, sträuben sich mir die Nackenhaare. Ich bin froh, dass der Gemeinderat da mit mir auf einer Linie war. Eine kleine Gemeinde sollte für ihre Bürger da sein. Warum sollte sie etwas an Dritte abgeben, wenn sie es selbst machen kann? Auch die Fehler. Dann hat der Bürger einen Ansprechpartner im Rathaus - auch wenn es immer leichter ist, die Schuld auf andere abzuwälzen.
Wenn der Kanaldeckel klappert, ruft man im Rathaus an und wir schicken sofort jemanden. Oder Beispiel Grundbuchamt: Wenn Sie ein Grundstück kaufen, dann erfahren Sie, dass es da ein Leitungsrecht gibt. Aber wo, steht nicht drin. Dafür müssen Sie jetzt nach Tauberbischofsheim fahren. Was soll der Quatsch? Früher konnte man da einfach aufs Rathaus.
In Ihrer letzten Amtszeit haben Sie nochmal einiges angestoßen: neue Dorfmitte, Rathaussanierung, Bebauung an der Kirche. Warum haben Sie nicht früher begonnen und geschaut, dass das noch in Ihrer Amtszeit fertiggestellt wird?
Weil in Gaiberg immer alles eine Generation dauert (lacht). Die Bebauung an der Kirche hat sogar schon mein Vorgänger angestoßen. Da waren mal Seniorenwohnungen angedacht, dann sollte es als Übergangslösung dienen, wenn das Rathaus saniert wird. Dazu muss es ja aber erst gebaut sein. Dann stirbt die Rathausnachbarin, die Gemeinde kauft das Grundstück und es ergeben sich neue Möglichkeiten für die Verwaltung. Also war der Druck raus aus der Bebauung an der Kirche. Und so kommt immer eins ums andere.
Außerdem ist da noch der Gemeinderat: Wenn ein Kanal für eine halbe Million Euro verbuddelt wird, stimmt er sofort zu. Wenn aber die Fliesen im Kindergarten ausgesucht werden müssen, dann bedarf das längerer Diskussionen. Ein anderes Beispiel ist die Schwäbisch-Hall-Wiese: Die wurde schon in den 70er Jahren von meinem Vorvorgänger als Baugebiet ausgewiesen. Dank der weitsichtigen - und nicht unumstrittenen - Entscheidung meines Vorgängers gehören der Gemeinde 85 Prozent dieser Grundstücke. Da wären andere Gemeinden froh, die lachen sich über uns kaputt.
Sie sprechen es an: das Neubaugebiet. Sie selbst prognostizieren Ihrem Dorf den Alterstod, wenn nicht bald etwas geschieht und junge Familien nach Gaiberg kommen. Wie fühlt es sich an, in einer so schwierigen Zeit zu gehen?
Das fühlt sich gar nicht gut an. Das Land macht schließlich Kindergarten und Schule zu, wenn es nicht genug Kinder gibt. Das tut mir weh. Ich hätte meiner Nachfolgerin gerne einen fertigen Bebauungsplan hingeschoben.
Wie ist denn das Verhältnis zu Ihrer gewählten Nachfolgerin Petra Müller-Vogel?
Sie war einmal hier. Mehr kann ich nicht sagen. Es gab kein intensives Einarbeiten. Sie weiß aber, was in Gaiberg läuft und hat wahrscheinlich ihre eigenen Vorstellungen. Das ist vielleicht auch gar nicht so schlecht.
Hand aufs Herz, sind Sie nicht enttäuscht, dass nicht Ihr "Eigengewächs", Hauptamtsleiter Alexander Wenning, bei der Wahl im Juli gewonnen hat?
Wenn ich mich zur Wahl stelle, muss ich auch davon ausgehen, zu verlieren. Und das hat auch Herr Wenning gewusst. Ich persönlich akzeptiere den Wählerwillen. Mehr sage ich nicht dazu.
Warum sind Sie denn nicht noch einmal angetreten?
Das war keine Option. Ich habe schon bei meiner Wiederwahl vor acht Jahren gesagt, dass das mein letztes Mal ist. Und wenn ich etwas sage, stehe ich dazu. Nach 24 Jahren ist auch mal gut. Andere sollen ja noch was zu tun haben (lacht). Wenn dem nicht so wäre, wären wohl kaum neun Bewerber angetreten.
Wollen Sie künftig in irgendeiner Art und Weise noch mitmischen?
Absolut nicht. Das ist so klar wie mein Rücktritt. Das fand ich auch an meinem Vorgänger so toll, dass er sich rausgehalten hat. Ich werde keine ungebetenen Ratschläge geben. Wenn jemand etwas wissen will, dann darf er gerne anrufen.
Räumen Sie Ihren Platz mit Freude oder mit Wehmut?
Beides. Erst war es ein lachendes und ein weinendes Auge, jetzt sind es eineinhalb lachende Augen. Wenn man das letzte Jahr sieht, da war schon eine gewisse Anspannung da: Die Wahl mit neun Bewerbern, die Baumaßnahmen in der Ortsmitte…
... und das raue Klima im Gemeinderat. Das ist bekannt und wurde auch im Wahlkampf breit ausgetreten. Warum haben Sie dem nicht Einhalt geboten?
Ehrlich gesagt: 20 Jahre lang war das Klima im Gemeinderat absolut in Ordnung. Jetzt gibt es allerdings eine Zusammensetzung, die vieles nicht mehr so einfach macht. Früher gab es Gemeinderäte mit Autorität, die ausufernde Diskussionen irgendwann mal gestoppt haben. Wenn ich das mache, heißt es, ich will alles runterbügeln.
Ich war vielleicht auch nicht immer einfach, das gebe ich zu. Aber im Gremium haben auch die politischen Einstellungen überhand genommen: Vorher hat jeder auf das Wohl der Gemeinde geachtet, jetzt kommt verstärkt die Politik hinzu. Aber zur Verteidigung des Gemeinderats: 90 Prozent aller Beschlüsse werden einstimmig getroffen.
Welcher schöne Moment in den vergangenen 24 Jahren ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Das sind mehrere. Die Seniorennachmittage, wenn sich die Menschen freuen, zusammenzukommen, oder wenn der Kindergarten zu meinem Geburtstag singt. Dieses Jahr haben mir die Kinder einen Marienkäfer und ein Schwein gebracht (zeigt auf zwei Bilder an der Wand). Das ist schön. Oder wenn die Menschen kommen und sich bedanken, für etwas, das man für sie getan hat.
Und was war der schlimmste Moment für Sie?
Das war immer dann, wenn man die menschlichen Schicksale erlebt. Wenn es etwa Autounfälle gibt, bei denen junge Menschen gestorben sind. Es gab in meiner Amtszeit auch zwei Selbstmorde. Wenn die Wohnung aufgemacht wird, weil man länger nichts von dieser Person gehört hat, werde ich als Aufsichtsperson dazugerufen. Und da wünscht man sich nicht, dabei zu sein. Das geht einem nahe. Es ist nicht einfach, das abzuschütteln. Das rechne ich meiner Ehefrau und meiner Familie hoch an. Sie haben das mitgetragen, unterstützt, Verständnis gehabt und mir Rückhalt gegeben. Das Amt ist für eine Familie nicht immer einfach.
Was wird ihnen fehlen und was nicht?
Puh, das wird die Zeit zeigen. Fehlen werden mir die Kollegen - vom Bauhof über den Schulhausmeister bis zu meinen Kollegen vom Rathaus. Ich bin froh, dass ich die gehabt habe. Sie sind mit mir klar gekommen und wussten meine Art zu schätzen. Nicht fehlen wird mir: Wenn man sich in so einem kleinen Ort bewegt, ist man immer der Bürgermeister. Und ich muss nicht mehr auf alle Feste gehen. Der Druck ist jetzt weg, ich gehe nur noch, wenn ich will.
Was würden Sie als Ihren größten Erfolg und Misserfolg bezeichnen?
Das Bürgerforum Altes Schulhaus. Das Schulhaus sollte abgerissen werden und ich habe dafür gekämpft, es zu erhalten. Dass es noch keinen rechtskräftigen Bebauungsplan für die Schwäbisch-Hall-Wiesen gibt - das ist zwar kein Misserfolg, wäre aber wünschenswert gewesen.
Was würden Sie heute im Rückblick anders machen?
(überlegt, nestelt am Ohr herum) Einen Fehler - also wenn ich das anders gemacht hätte, würde es heute anders laufen - gibt es nicht. Das klingt vielleicht überheblich, soll es aber nicht. Ich habe nichts gebaut, was kein Mensch brauchen kann, und ich habe der Gemeinde keinen finanziellen Schaden zugefügt.
Sie sind also mit sich im Reinen?
Ja, ich bin mit mir im Reinen und zufrieden. Ich kann noch in den Spiegel schauen und mich selbst erkennen. Man kann mit mir reden - okay, und manchmal nicht (lacht). Aber das weiß jeder. Ich bin berechenbar.



