Mannheimer Wiedersehen im Todeslager

Marchivum veröffentlicht Buch und Doku über Sophie Stippel und Rudolf Höss

Karen Strobel und Wilhelm Kreutz haben die Biografien der KZ-Kommandanten und seiner Köchin recherchiert.

06.07.2018 UPDATE: 08.07.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 16 Sekunden

Christina Stihler (von links), Karen Strobel und Wilhelm Kreutz im Magazin des Marchivums, wo die nötigen Dokumente für die historische Personenforschung gelagert werden. Foto: Gerold

Von Olivia Kaiser

Mannheim. Hätte ein findiger Drehbuchautor diese Handlung einem TV-Sender oder Filmstudio vorgelegt, wäre sie wahrscheinlich abgelehnt worden. Zu unglaubwürdig. Doch die seltsamsten Geschichten schreibt das Leben. Genauso eine Geschichte ist die von Sophie Stippel. Als Bibelforscherin (heute: Zeugin Jehovas) kam die Mannheimerin ins Konzentrationslager Auschwitz und traf dort einen alten Bekannten: Lagerkommandant Rudolf Höss.

Er holte sie als Köchin und Kinderfrau in seinen Haushalt. Karen Strobel, verantwortlich für das künftige NS-Dokumentationszentrum im Marchivum, und der Historiker Wilhelm Kreutz haben in ihrem Buch "Der Kommandant und die Bibelforscherin" die Biografien von Höss und Stippel recherchiert. Begleitend dazu hat Filmemacherin Christina Stihler eine Dokumentation gedreht.

Hintergrund

Sophie Stippel, geborene Greiner, kam 1892 in Mannheim zur Welt. Sie wuchs relativ behütet in der Schwetzinger Vorstadt auf. Nach ihrem Schulabschluss arbeitete sie in der elterlichen Metzgerei, bis sie Friedrich Stippel heiratete. Ihre zweite Tochter starb

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Sophie Stippel, geborene Greiner, kam 1892 in Mannheim zur Welt. Sie wuchs relativ behütet in der Schwetzinger Vorstadt auf. Nach ihrem Schulabschluss arbeitete sie in der elterlichen Metzgerei, bis sie Friedrich Stippel heiratete. Ihre zweite Tochter starb 1929 an Meningitis. Danach wendete sich Sophie Stippel den Zeugen Jehovas zu, die während der NS-Zeit aufgrund ihres passiven Widerstands gegen das Regime in Konzentrationslagern interniert wurden. Eine Nachbarin denunzierte Stippel 1936 als Bibelforscherin. Zunächst kam sie nach Lich-tenburg, dann nach Ravensbrück und schließlich 1942 nach Auschwitz. Nach ihrer Befreiung kehrte sie im Sommer 1945 zurück nach Mannheim und zog kurze Zeit später nach Weinheim. Sophie Stippel musste jahrzehntelang um eine entsprechende Entschädigung und Rente kämpfen. Sie starb im Alter von 93 Jahren in Weinheim.

> Rudolf Höss wurde am 25. November 1901 geboren und nicht, wie er behauptete, im Jahr 1900. Als er vier Jahre alt war, zog die Familie von Baden-Baden nach Mannheim. Höss besuchte das Karl-Friedrich-Gymnasium, musste es aber wegen zu schlechter Noten verlassen. 1914 starb sein Vater, drei Jahre später die Mutter. 1920 verließ er Mannheim und trat zwei Jahre später in die NSDAP ein. Dort machte er eine steile Karriere: Als SS-Unterscharführer kam Rudolf Höss 1934 ins KZ Dachau, 1938 wurde er als Adjutant des Kommandanten ins KZ Sachsenhausen versetzt. 1940 schickte ihn Himmler als Kommandant nach Auschwitz. Nach Kriegsende geriet Höss in britische Gefangenschaft und wurde nach Krakau überstellt. Dort musste er sich vor dem Obersten Nationaltribunal für seine Taten verantworten. In dieser Zeit verfasste er seine Memoiren. Höss wurde am 16. April 1947 hingerichtet. oka

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Alles begann mit einer E-Mail von Gerald Sander. Er ist der Enkel von Sophie Stippel. "Seine Großmutter hat ihm von ihrer Zeit in Auschwitz erzählt und auch von Rudolf Höss", erläutert Karen Strobel. "Er fragte, ob wir ihm helfen könnten, mehr über die Beziehung zwischen beiden herauszufinden." Also stürzte Karen Strobel sich in die historische Personenrecherche - ihr Spezialgebiet. "Über Rudolf Höss ist viel bekannt, doch nicht über Sophie Stippel", sagt sie.

Unterstützung holte sie sich von Wilhelm Kreutz, Professor für Neuere Geschichte an der Uni Mannheim. Er hat bereits zu Rudolf Höss geforscht. Dabei war er auf Ungereimtheiten gestoßen. Höss schrieb während seiner Gefangenschaft in Polen seine Memoiren.

DIE KÖCHIN DES KOMMANDANTEN – Trailer from Christina Stihler on Vimeo.

"Dabei hat er vieles verfälscht", so Kreutz. Er habe sich beispielsweise ein Jahr älter gemacht, behauptet, er entstamme einer wohlhabenden Offiziersfamilie und habe im Ersten Weltkrieg gekämpft. Das sei nachweislich falsch, betont der Historiker. Also war auch hier akribische Forschungsarbeit nötig. "Dabei wurden gewisse Parallelen im Leben der beiden sichtbar", erzählt Karin Strobel.

Wie und wann genau sich Stippel und Höss in Mannheim begegneten und wie eng ihre Bekanntschaft war, ist unklar. Allerdings lebte Höss’ Großmutter in der Augartenstraße - schräg gegenüber von den Stippels. "Wir gehen deshalb davon aus, dass sie sich dort kennenlernten", sagt Kreutz. 1942 kam Sophie Stippel nach Auschwitz. Weil ihr Name mit Heimatort auf einer Liste stand, vermutet das Trio, dass der Lagerkommandant so auf sie aufmerksam wurde. Höss nahm sie in sein Haus, wo sie kochte und eine enge Beziehung zu den Kindern aufbaute.

Das Buch springt immer wieder zwischen beiden Biografien hin und her. So funktioniert auch Christina Stihlers Doku-Film "Die Köchin des Kommandanten". Den Film ist jedoch nicht als Begleitung, sondern als eigener Zugang zu der Geschichte zu sehen. "Wir wollten auch Menschen erreichen, die nicht dem klassischen Historikerkreis entstammen", erklärt Strobel. "Der Film ermöglicht andere Sichtweisen." Stihler, die auch das Drehbuch geschrieben hat, wählte einen emotionaleren Zugang und spürt zudem der Frage nach, wie extremistische Tendenzen entstehen können - ein höchst aktuelles Thema.

Das betrifft nicht nur den glühenden Nationalsozialisten Rudolf Höß. In Sophie Stippels tiefer religiöser Überzeugung steckt durchaus auch etwas Extremes. Obwohl ihr Mann und ihre Tochter sie anflehten, aus der Religionsgemeinschaft auszutreten, weigerte sie sich strikt und nahm die Trennung von ihrer Familie in Kauf. "Das hat meine Mutter nie überwunden", erzählt Gerhard Sander, den Christina Stihler mit der Kamera auf eine emotionale Reise nach Ravensbrück und Auschwitz begleitet hat. Der Film zeigt: Die Geschichte seiner Großmutter und der Schatten von Auschwitz haben Sanders Leben mitgeprägt. 73 Jahre sind eben doch keine lange Zeit.

Info: Das Buch "Der Kommandant und die Bibelforscherin" ist in der Schriftenreihe des Marchivums erschienen. Der Film "Die Köchin des Kommandanten" wird Schulklassen auf Anfrage zur Verfügung gestellt. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.marchivum.de.

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