Unfälle haben dramatisch zugenommen
Viele Lastwagen-Fahrer lassen sich ablenken - Verkehrssituation wird sich weiter verschärfen

Ein Sattelzug raste ungebremst in den Civic auf dem Standstreifen und zermalmte ihn regelrecht. Schwere Unfälle wie dieser im Februar 2016 gab es im vergangenen Jahr leider häufiger. Foto: Priebe
Von Alexander Albrecht
Mannheim/Heidelberg. Nicht nur Dieter Schäfer hat den Schock nach dem schweren Unglück am 12. Februar auf der A 5 bei St. Leon-Rot mit vier Toten noch nicht verarbeitet: "Für die Kollegen vor Ort war die psychische Belastung enorm", sagt der Verkehrspolizeichef im Mannheimer Polizeipräsidium bei einem Pressegespräch am Freitag. Der Zusammenstoß am Stauende, bei dem zwei Autos von einem Sattelschlepper auf einen anderen geschoben wurden, ist der Aufhänger für die Verkehrsunfallstatistik 2017.
Hintergrund
Unfallzahlen: Machen den Beamten die Unfälle auf den Autobahnen der Region große Sorgen, fällt die Gesamtstatistik des auch für Heidelberg und den Rhein-Neckar-Kreis zuständigen Polizeipräsidiums Mannheim ein bisschen freundlicher aus. Danach gab es 2017 im
Unfallzahlen: Machen den Beamten die Unfälle auf den Autobahnen der Region große Sorgen, fällt die Gesamtstatistik des auch für Heidelberg und den Rhein-Neckar-Kreis zuständigen Polizeipräsidiums Mannheim ein bisschen freundlicher aus. Danach gab es 2017 im Zuständigkeitsbereich 28.750 Unfälle - das sind 788 mehr oder ein Plus von 2,7 Prozent. Bei 2933 Unfällen wurden Menschen verletzt, ein leichter Rückgang im Vergleich zu 2016 (2914). Insgesamt 22 Menschen kamen auf den Straßen ums Leben (Vorjahr: 17). Während die Zahl der Schwerverletzten auf 577 sank (minus 12,8 Prozent), stieg die der Leichtverletzten um 122 auf 3151.
Und noch ein Tipp: Nicht als Verkehrspolizeichef, sondern als "normaler Autofahrer" empfiehlt Dieter Schäfer Verkehrsteilnehmern, die auf ein Stauende zufahren: "Lassen Sie zwei Fahrlängen Abstand zum Vordermann und schauen, welche Ausweichmöglichkeiten es gibt, zum Beispiel den Standstreifen. Haben Sie aber auch den nachfolgenden Verkehr im Rückspiegel im Auge. Schließen Sie erst zum Vordermann auf, wenn sicher ist, dass alle Fahrzeuge hinter Ihnen zum Stand kommen." alb
"Und auch diese Zahlen lassen die Alarmglocken läuten", sagt Schäfer. Die Verkehrspolizei betreut die Autobahnen A 5, A 6, A 656 und A 659 - dort zählten die Beamten im vergangenen Jahr insgesamt 2741 Unfälle. 2016 waren es 2298. Die regionalen Schwerpunkte liegen auf der A 6 vor und und nach dem Walldorfer Kreuz in Richtung Osten sowie auf der A 5 gen Norden. "Extrem zugelegt", so Schäfer, haben die Unfälle auf der "chronisch überlasteten" A 6. Zwischen dem Dreieck Hockenheim und dem Kreuz Walldorf ist die Zahl um knapp 80 Prozent nach oben geschossen. Der rasante Anstieg ist eine Folge der Dauerbelastung und der Baustelle zwischen der Anschlussstelle Rauenberg und Sinsheim.
"Das ist dramatisch", seufzt Schäfer. Sorgen bereiten dem Polizeidirektor vor allem die Laster-Fahrer, die sich ablenken ließen. "Da wird während der Fahrt Kaffee gekocht, gevespert oder Zeitung gelesen. Oder sie vertreiben die Monotonie dadurch, dass sie Filme auf dem Laptop schauen", berichtet Schäfer. Nicht zuletzt verursache der digitale Wandel viele Unfälle. "Früher haben die Laster-Fahrer einen Rastplatz angesteuert und von der Telefonzelle aus den Auftraggeber angerufen", weiß der erfahrene Verkehrspolizeichef. Heute bekämen sie die Nachrichten direkt aufs Handy. Längst seien die Brummifahrer nicht mehr die viel beschworenen "Kapitäne der Landstraße".
Schäfer spricht von "Aufmerksamkeitsdefiziten". Und er hat ein klares Ziel vor Augen: "Bei den schwarzen Schafen unter den Fahrern müssen wir schnellstmöglich dafür sorgen, dass sie sich stärker auf die Straße konzentrieren." In der Praxis ist das allerdings schwierig, wie er selbst einräumt: "Finden Sie mal bei 22.000 Lastern, die täglich auf der A 6 zwischen dem Kreuz Walldorf und der Anschlussstelle Rauenberg unterwegs sind, genau denjenigen, der später einen Unfall bauen wird." Hier seien die polizeilichen Möglichkeiten erschöpft, "und die Ohnmacht förmlich greifbar".
Auch interessant
Schäfer setzt auf eine für den 22. März anberaumte Sondersitzung der Verkehrskommission im Regierungspräsidium Karlsruhe, bei der mehrere Experten aus unterschiedlichen Fachrichtungen an einem Tisch sitzen. Wobei der Polizeidirektor eher mit kleineren Schritten rechnet. "Wenn ich ein Patentrezept hätte, die Probleme zu lösen, würde ich reich werden", so Schäfer. Zwar wolle er keinen Alarmismus betreiben, aber es drohe aktuell täglich ein tödlicher Unfall auf den Autobahnen.
Und die Situation werde sich weiter verschärfen. Der Güterverkehr mit dem Laster nimmt nach einer Prognose des Bundesverkehrsministeriums bis 2030 um 39 Prozent zu, und dann könnten allein auf der A 6 zwischen dem Kreuz Walldorf und der Anschlussstelle Rauenberg 7000 Lkw mehr rollen. Dabei ist die Kapazitätsgrenze zu Spitzenzeiten jetzt schon deutlich überschritten.
Die Folge: Die Autobahn ist noch weniger leistungsfähig, es kommt zu noch mehr Staus und Unfällen. Zudem wird das Kreuz Walldorf in den kommenden Jahren umgebaut, und die "vor allem am Gewinn interessierten Speditionen" (Schäfer) wollten rechtzeitig liefern. "Just in time ist in diesem Fall auch eine Frage über Leben und Tod", so der Verkehrspolizeichef.
Notbremsassistenzsysteme würden helfen, auch wenn sie häufig nicht den Unfall verhinderten, aber zumindest die Aufprallgeschwindigkeit drosselten. Allerdings sind laut Schäfer nur 40 Prozent der Lkw aus Osteuropa, die häufig an Unfällen beteiligt sind, überhaupt damit ausgestattet. Auch deshalb, und um weitere schwere Unglücke zu verhindern, ist aus seiner Sicht mittelfristig eine digitale, von der Fahrzeugmenge abhängige Verkehrsbeinflussanlage rund um das Walldorfer Kreuz unumgänglich.



