Warum gehen die Apotheker der Region auf die Straße?
Am Mittwoch bleiben die Apotheken geschlossen. Ein Protest in Stuttgart ist geplant. Nur Notdienstapotheken haben geöffnet.

Symbolfoto: Uli Deck/dpa


Vertreter des Apothekerverbandes in der Region
Von Timo Teufert
Region Wiesloch. Die Apotheken in Baden-Württemberg und Bayern bleiben am kommenden Mittwoch, 22. November, geschlossen. Grund ist ein Protesttag auf dem Stuttgarter Schlossplatz, bei dem die Pharmazeuten auf ihre kritische wirtschaftliche Lage aufmerksam machen wollen. Im RNZ-Interview erklärt Apotheker Dietmar Sommer aus Walldorf, Vertreter des Apothekerverbandes in der Region, wo die Probleme liegen und was er und seine Kollegen fordern.
Herr Sommer, warum bleiben die Apotheken am Mittwoch geschlossen?
Wir protestieren, weil sich der Staat weigert, unsere Honorierung nach elf Jahren Stillstand endlich an die um uns herum explodierenden Betriebskosten anzupassen. Wir fordern eine Honoraranpassung. Wir fordern eine automatisierte Dynamisierung dieses Honorars, um der Inflation und den steigenden Kosten auch zukünftig gewachsen zu sein. Der Protest richtet sich auch gegen die immensen bürokratischen Aufwände, die wir haben. Und wir protestieren für die Stärkung der Apotheken, um die lebenswichtige Vor-Ort-Versorgung mit guter Flächendeckung auch morgen noch leisten zu können.
Wie ist die Vergütung bisher geregelt?
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Wir bekommen seit 20 Jahren drei Prozent als Aufschlag auf die abgegebenen Medikamente – ohne Inflationsausgleich. Dazu kommt ein Fixzuschlag von 8,35 Euro pro Packung. Doch da zahlen wir seit diesem Jahr zwei Euro an die Kasse zurück. Wenn ich das auf den Mehraufwand übertrage, steht das in keinem Verhältnis. Ich vergleiche das immer mit dem Taschengeld für meinen Sohn: Wenn ich dem sage: Du kriegst zehn Euro Taschengeld. Aber wenn du noch Unkraut jätest und das Auto putzt, kriegst du sechs Euro. Dann würde mich mein Sohn fragen, was ich geraucht habe.
Das heißt, es lohnt sich nicht mehr?
Genau. Wir müssen uns nicht wundern, wenn Apotheker nicht mehr weitermachen, weil sie sich das nicht mehr leisten können. Ein aktuelles Beispiel dafür ist ja die Stadtapotheke in Wiesloch. Statt die Apotheke an die nächste Generation zu übergeben, macht man wegen der politischen Rahmenbedingungen zum Ende des Jahres zu. Unsere Standesorganisation rechnet damit, dass wir noch dieses Jahr die 600. Apothekenschließung erleben werden. Und im nächsten Jahr werden noch einmal 1000 bis 2000 Apotheken hinzukommen, weil kein Gewinn erwirtschaftet wird. Und deswegen gehen wir am 22. November auf die Straße, weil wir der Politik klar machen müssen, dass die Hütte brennt, weil nicht mehr alle Apotheken wirtschaftlich arbeiten können.
Was bedeutet das für die Apothekenlandschaft?
Dass es im ländlichen Raum und in städtischen Randlagen keine Versorgung mehr geben wird. Es ist eine einfache Rechnung: Bei einer Filialapotheke müssen Sie allein für dessen Leiter mit Lohn und Lohnnebenkosten von minimum 90.000 Euro rechnen. Wenn die Filiale nur 50.000 Euro erwirtschaftet, dreht man doch lieber den Schlüssel um und lässt den Laden zu.
Und was passiert dann?
Die wohnortnahe Versorgung der Bürgerinnen und Bürger steht auf dem Spiel. Die Landespolitiker haben erkannt, was es bedeutet, wenn die unabhängige Vor-Ort-Apotheke nicht mehr existiert. Wir wollen uns für den Patienten einsetzen und das Optimum herausholen. Deshalb suchen wir, wenn es sein muss, fünf Stunden nach dem richtigen Medikament. Das wird keine Kette oder Online-Apotheke leisten.
Fand der erste Protest denn Widerhall in der Politik?
Ja, tatsächlich. Vor allem in den Ländern. Aber unser Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist nach meinem Eindruck auf diesem Auge blind. Der will davon nichts wissen und behauptet, wir hätten uns in der Pandemie gesund gestoßen. Da haben wir tatsächlich ein klein bisschen mehr bekommen – als Ausgleich für das, was wir 20 Jahre lang nicht bekommen haben. Lauterbach würdigt in keiner Weise die Leistung in den Apotheken. Wir können aktuell noch innerhalb von drei Stunden Arzneimittel besorgen, wenn sie lieferbar sind. Wir machen die Beratung und versuchen, den Patienten flexibel zu versorgen.
Sie haben die Lieferengpässe angesprochen: Fehlen denn mehr Medikamente als noch im Frühjahr?
Ja, mittlerweile meldet das zuständige Bundesinstitut über 500 Arzneimittel, die nicht oder nicht ausreichend lieferfähig sind. Derzeit beobachten wir, dass es insbesondere bei Antibiotika zu Lieferengpässen kommt, die in der jetzigen Erkältungssaison besonders oft gebraucht werden. Große Sorgen machen wir uns dabei vor allem um Antibiotika für Kinder.
Können Sie erklären, warum das so ist?
Das ist ein hausgemachtes Problem. Es gibt nur noch einen Arzneimittelhersteller, der sich auf Antibiotika spezialisiert hat. Der sitzt in Österreich, da gibt es also eine europäische Produktion. Aber Antibiotika sind nicht mehr lukrativ, weshalb viele Hersteller sie nicht mehr produzieren. Ich würde sagen, da muss es eine politische Regulierung geben. Damit mehr Hersteller den Anreiz haben, wieder in Europa zu produzieren. In Deutschland wurden 2004 die Vertragsarzneimittel forciert. Die Krankenkassen haben die Industrie so gedrückt, dass die Hersteller ihre Produkte lieber im europäischen Ausland verkaufen, wo sie noch Geld und Wertschätzung dafür bekommen.
Und welche Medikamente fehlen derzeit?
Das sind Diabetikerpräparate aber vor allem Penicillin und andere Breitbandantibiotika. Man muss am Ball bleiben und bei internationalen Apotheken im europäischen Ausland bestellen, weil man in Deutschland nichts mehr bekommt. Bis die Ware aus dem Ausland da ist, können aber zwei Wochen vergehen. Für uns bedeutet das einen unglaublichen Mehraufwand.
Wenn ich mit einem Rezept zu Ihnen komme und das Medikament nicht vorrätig ist: Was machen Sie dann?
Da wären Sie nicht der einzige, dass passiert bei jedem zweiten Kunden. Wenn das Vertragsarzneimittel nicht verfügbar ist, müssen wir schauen, ob ein vergleichbares Vertragsmedikament verfügbar ist. Wenn dies auch nicht verfügbar ist, müssen wir unter den nächsten vier preisgünstigen Arzneimitteln gucken, ob es davon eines gibt. Ist das ebenfalls nicht der Fall, müssen wir nach dem nächsten schauen und dem eine Sonder-Pharmazentralnummer aufdrucken. Um für die Krankenkasse zu dokumentieren, dass es nicht lieferbar war. Auch eine Begründung müssen wir dazu schreiben. Wenn wir diese Bürokratie nicht erfüllen, kann es bei der Erstattung Probleme geben.
Info: Notdienst haben am Mittwoch die Apotheke Rettigheim, Rotenberger Straße 4, die Aegidius-Apotheke St. Ilgen, Theodor-Heuss-Straße 42, und die St. Florian-Apotheke Reilingen, Kirchenstraße 23.