Worauf Frauke Melchior als neue Rektorin der Universität Wert legt
Sie will mehr Wert auf Diversität legen und jungen Frauen ein Vorbild sein. "Meine Mutter würde platzen vor Stolz."



Designierte Rektorin der Universität Heidelberg
Von Philipp Neumayr und Denis Schnur
Heidelberg. Sie ist erst die zweite Frau an der Spitze der Universität: Am Montag startet Frauke Melchior in ihr Amt als Rektorin der Ruperto Carola. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, der Terminkalender der 60-Jährigen ist schon jetzt voll. Für die RNZ hat sie sich dennoch die Zeit genommen, um über Unterschiede zu ihrem Vorgänger Bernhard Eitel und die Bedeutung weiblicher Vorbilder in der Wissenschaft zu sprechen.
Hintergrund
Frauke Melchior wurde 1962 in Heidelberg geboren. Sie hat Chemie in Marburg studiert und dort auch 1990 promoviert. Nach Stationen am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, am Forschungszentrum Scripps Research in Kalifornien und am Max-Planck-Institut für Biochemie
Frauke Melchior wurde 1962 in Heidelberg geboren. Sie hat Chemie in Marburg studiert und dort auch 1990 promoviert. Nach Stationen am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, am Forschungszentrum Scripps Research in Kalifornien und am Max-Planck-Institut für Biochemie wurde sie 2004 an der Uni Göttingen zur Professorin berufen. 2008 nahm sie einen Ruf in ihre Geburtsstadt an – als Professorin für Molekularbiologie an der Ruprecht-Karls-Universität. 2021 wechselte sie in den Vorstand des Forschungszentrums Jülich. Im März 2023 setzte sie sich bei der Wahl zur Rektorin der Ruperto Carola knapp durch.
Melchiors Ehemann ist Professor an der Uni Innsbruck. Ihr 34-jähriger Sohn ist Physiker und lebt in Berlin. In Heidelberg hat sie eine Wohnung in der Nähe des Theaters gefunden. "Ich wohne perfekt", sagt sie selbst. In ihrer Freizeit schwimmt die Rektorin gerne, bis zu ihrem Weggang nach Jülich sang sie auch in einem Heidelberger Chor.
Frau Melchior, Sie leiten künftig die älteste Uni Deutschlands und die größte in Baden-Württemberg. Sind Sie da als erfahrene Wissenschaftlerin und Wissenschaftsmanagerin auch ein wenig nervös?
Aber klar! Ich habe sehr viel Respekt vor dieser großartigen Aufgabe.
Sie waren einige Wochen parallel mit Herrn Eitel im Rektorat. Wie haben Sie sich vorbereitet?
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Schon direkt nach der Wahl habe ich angefangen, vieles aufzufrischen. Ich habe begonnen, die zwölf Cluster-Skizzen, mit denen wir im Exzellenz-Strategiewettbewerb antreten, zu lesen. Bei den ersten beiden Begehungen war ich dabei, die anderen zehn folgen im Oktober. So komme ich mit sehr vielen Bereichen der Universität in Kontakt. Ansonsten hatte ich Kennenlerntreffen mit den Dekanen und den Studierendenvertretern und habe an Gremien-Sitzungen teilgenommen. Die letzten Wochen habe ich Herrn Eitel außerdem mehrmals täglich gesehen. Er hat mir ganz viel beigebracht.
Gibt es etwas, was Sie sich von Ihrem Vorgänger abschauen können?
Ganz klar: die große Leidenschaft für die Universität. Ich habe ihn immer erlebt als jemanden, der mit allem, was er hat, für diese Universität brennt. Und das Selbstverständnis, mit der er die Rolle gelebt hat: Er hat sich als Primus inter Pares angesehen, als jemanden, der in die erste Reihe tritt, Dienst an der Universität leistet und dann wieder zurückgeht. Das ist ein Motto, das ich gerne aufgreife.
Und wo unterscheiden Sie sich?
Wir sind vom Typus her einfach anders. Ich lege großen Wert auf flache Hierarchien und Partizipation. Mit diesem Arbeitsstil hat Herr Eitel sicher auch begonnen – mit der Zeit und den wachsenden Erfahrungen hat er ihn aber zunehmend weniger umgesetzt. Wenn man lange im Amt ist, weiß man irgendwann ja wirklich vieles besser als die anderen. Ich fange dagegen ganz von vorne an. Sie müssten mich eher mit Herrn Eitel von vor 16 Jahren vergleichen. (lacht)
Was wollen Sie inhaltlich anders machen?
Es gibt eine Reihe Themen, die mit der Zeit immer wichtiger geworden sind, bei denen die Universität meiner Ansicht nach noch mehr tun kann als bislang bereits. Da geht es etwa um Digitalisierung, Diversität oder Nachhaltigkeit in Forschung, Lehre und im Handeln. Diese Bereiche habe ich auch bei der Benennung meiner Prorektoren explizit berücksichtigt. Auch die Wissenschaftskommunikation ist ein Riesenthema, das wir weiter stärken wollen.
Am Montag starten Sie offiziell ins Amt. Was ändert sich dann?
Erst einmal nicht viel. Es geht zunächst darum, ganz viel zuzuhören. Geben Sie mir und den Prorektoren die ersten 100 Tage, dann können wir mehr sagen.
Sie galten vor der Wahl nicht gerade als Favoritin. Mit Michael Boutros hatten sie einen starken Gegenkandidaten. Hatten Sie mit einem Sieg gerechnet?
Ich habe darauf gehofft, aber nicht damit gerechnet. Ich kenne Michael gut, er war ein unglaublich starker Kandidat.
Er war derjenige, der aus einer starken Position innerhalb der Uni kam, Sie von außerhalb. Werten Sie Ihre Wahl deshalb als Wunsch nach Wandel?
Nein. Ich war ja selbst lange Teil dieser Universität, bringe jetzt aber auch einen neuen Außenblick mit. Die zwei Jahre Jülich waren für mich eine wichtige Lernphase. Viele Themen, die das Rektorat umtreiben, spielen auch dort eine Rolle. In Jülich arbeiten auch 7000 Menschen, das ist ebenfalls ein riesengroßer Laden.
Sie sind nach Margot Becke-Goehring erst die zweite Frau in diesem Amt. Was bedeutet Ihnen das?
Mich erfüllt das mit großem Stolz. Und ich hoffe, dass nach mir ganz viele weitere Frauen in diesem Amt folgen werden – und dass wir nicht noch einmal über 50 Jahre warten müssen. Meine Vorgängerin Margot Becke-Goehring und mich verbindet übrigens eine Geschichte.
Nämlich?
Meine Mutter entschied sich Anfang der Sechzigerjahre, nach Heidelberg zu kommen, um Chemie zu studieren. Ein Grund war Margot Becke-Goehring, die zu diesem Zeitpunkt Dekanin der Fakultät für Naturwissenschaften war. Dieses Vorbild war für meine Mutter ungemein wichtig. Wenn sie wüsste, dass ich dieser Frau nun als Rektorin folge – ich glaube, sie würde platzen vor Stolz.
Können auch Sie ein Vorbild für heutige junge Studentinnen und Nachwuchswissenschaftlerinnen sein?
Davon bin ich fest überzeugt. Wie wichtig Vorbilder sind, habe ich selbst in meiner Karriere immer wieder festgestellt. Als ich Chemie in Marburg studierte, gab es dort noch keine Professorinnen. Während meines gesamten Studiums habe ich nie eine Wissenschaftlerin vortragen gehört. An der Universität Bristol in England, wo ich ein halbes Jahr studiert habe, war das anders: In dem Labor, in dem ich tätig war, arbeitete eine amerikanische Post-Doktorandin, die in dem großen Hörsaal dieser ehrwürdigen Fakultät einen Vortrag hielt. Ich weiß noch, wie wichtig es für mich war, zu erleben, dass eine Frau genauso selbstbewusst auftreten, genauso strahlen kann wie sonst nur Männer in der Wissenschaft.
Denken Sie, dass es einen Unterschied macht, ob eine Institution wie die Universität von einer Frau oder einem Mann geführt wird?
Da geht es, denke ich, mehr um die Person als um das Geschlecht. Klar gibt es Eigenschaften, die sich zwischen den Geschlechtern unterscheiden. Aber am Ende ist die Person wichtiger.
Je höher es die Karriereleiter in der Wissenschaft hinauf geht, desto weniger Frauen. Nach wie vor gibt es deutlich weniger Professorinnen als Professoren. Was wollen und können Sie dagegen tun?
Man muss differenzieren: Es gibt Fakultäten, an denen Professorinnen inzwischen fast die Mehrheit darstellen, und es gibt Fakultäten, an denen die Frauen weit zurückliegen. Leider korreliert das auch stark mit der Zahl der Bewerberinnen.
Was heißt das?
Selbst wenn Sie eine Nachwuchsprofessur ausschreiben in einem Fach, in dem mehr als 50 Prozent Doktorandinnen sind, bewerben sich oft weniger als 20 Prozent Frauen. Die meisten steigen aufgrund der Familienplanung an diesem Punkt aus. Das ist für mich das zentrale Thema, und hier müssen wir Verbesserungen schaffen.
An was denken Sie da?
An der Universität Heidelberg haben wir viele Programme, die junge Wissenschaftlerinnen fördern – etwa durch Mentoringprogramme. Aber wir müssen auch Paare mit Kindern ermutigen, zwei Karrieren anzustreben.
Das scheitert auch an Hürden wie dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Auf ihre Lage haben viele junge Wissenschaftlerinnen 2021 mit dem Hashtag #IchBinHanna aufmerksam gemacht.
Dieser Protest hatte seine Berechtigung, das will ich gar nicht abstreiten. Und natürlich gibt es an Universitäten Machtmissbrauch. Gleichzeitig haben es gerade Mütter in der akademischen Welt leichter als in den meisten anderen Berufen. Wenn ein Kind krank ist und Sie zu Hause bleiben müssen, können Sie das in der Forschung einfach tun, weil Sie ihre Arbeit jederzeit nachholen können, in einer Bank geht das nicht. Zudem ist die Stellensituation – zumindest in den Naturwissenschaften – außerhalb der Uni gut, sodass eigentlich niemand Angst haben muss, keine Anstellung zu finden. In prekären Verhältnissen landen die wenigsten Akademikerinnen.
Zum Abschluss noch ein Ausblick: Ihr Vorgänger war 16 Jahre im Amt. Wie viele Jahre streben Sie an?
(lacht) Sagen wir mal so: Wir machen erstmal die erste Amtszeit, und dann schauen wir, wie es weitergeht. Sie wissen ja, dass ich 60 Jahre alt bin, insofern werden es voraussichtlich keine 16 Jahre.




