Heidelberger Gemeinderat

Wie DJ Boulevard Bou für die Grünen quasi "eingewechselt" wurde

Der 50-Jährige will thematische Schwerpunkte im Bereich Kultur setzen: "Das Nachtleben ist ein Muss für Heidelberg", sagt er.

29.07.2023 UPDATE: 30.07.2023 06:00 Uhr 4 Minuten, 29 Sekunden
Bülent Teztiker, vielen wohl eher bekannt als „Boulevard Bou“, ist in den Gemeinderat nachgerückt. Oberbürgermeister Eckart Würzner überreichte in der letzten Sitzung vor der Sommerpause Blumen und Sitzungsunterlagen. Foto: Philipp Rothe
Interview
Interview
Bülent Teztiker alias DJ Boulevard Bou
DJ und neuer Gemeinderat der Grünen

Von Steffen Blatt

Heidelberg. Bülent Teztiker kennen die meisten Heidelberger unter seinem Künstlernamen Boulevard Bou. Als DJ hat der 50-Jährige schon fast überall in der Stadt mal aufgelegt, unter anderem fast 20 Jahre in der "Nachtschicht". Als Produzent arbeitet er mit vielen bekannten Hip-Hop-Künstlern zusammen.

In Zukunft wird man seinen bürgerlichen Namen häufiger hören, denn er ist nach dem Ausscheiden von Rahel Amler für die Fraktion der Grünen in den Gemeinderat nachgerückt. Bei der Kommunalwahl 2019 kandidierte er auf Listenplatz 42 (von 48), bekam dann aber fast 20.000 Stimmen und wurde dadurch nach vorne gespült. Im RNZ-Interview spricht er über seine ersten Eindrücke und die politischen Schwerpunkte, die er nun setzen möchte.

Ihre erste Gemeinderatssitzung hatte es gleich in sich: Haushaltsreden, die Verabschiedung des Budgets für 2023/24 und mehr als 70 Punkte auf der Tagesordnung. Haben Sie da manchmal gedacht: Was tue ich mir da eigentlich an?

Die Sitzung war lang, das stimmt. Es war alles noch ganz neu für mich, aber durch die Aufregung habe ich das ganz gut weggesteckt. Hinterher haben mir Gemeinderatskollegen gesagt: Mach dir keine Sorgen Bülent, so lange dauert’s nicht immer. Es war aber alles sehr interessant für mich – ich hätte wahrscheinlich noch zwei Stunden länger da sitzen können.

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Was war denn so interessant?

Zunächst mal wie die Sitzung aufgebaut war. Erst die Verabschiedung von Rahel Amler, dann meine Einführung und anschließend gleich die Wahl der neuen Kulturdezernentin. Dann die langen Haushaltsreden, und plötzlich wurden in einem ganz schnellen Tempo die Änderungsanträge abgestimmt. Für mich war es spannend, zu sehen, wann was in welchem Tempo passiert. Da musste ich konzentriert dabei sein, aber das bin ich als DJ gewöhnt. Da ist ein Lied auch manchmal ganz schnell zu Ende, und du musst wach sein und reagieren können.

Haben sie sich schon vor Ihrer Kandidatur 2019 kommunalpolitisch engagiert?

Schon als wir mit Advanced Chemistry Musik gemacht haben, waren wir politisch interessiert. Wir haben uns eher mit größeren Themen beschäftigt aber immer auch geschaut, was in Heidelberg passiert. Ich habe bisher nicht aktiv an der Kommunalpolitik teilgenommen, war aber immer ein interessierter Beobachter. Jetzt zu sehen, wie viel man im Gemeinderat bewegen kann, wie viele tolle Projekte man unterstützen kann, wie viele Sachen da auf dem Schirm sind, das ist für mich gerade die große Überraschung. Hier jetzt meinen Input reinzugeben, das ist das Spannende.

Jetzt ist es nicht mal mehr ein Jahr bis zur nächsten Kommunalwahl. Wo legen Sie in dieser Zeit Ihre inhaltlichen Schwerpunkte?

Weil ich als DJ schon lange in der Clubszene unterwegs bin, sehe ich mich natürlich beim Thema Kultur. Gerade die Nachtkultur ist sehr wichtig in Heidelberg, schließlich sind wir die jüngste Stadt Deutschlands. Wir müssen schauen, dass das Nachtleben in Heidelberg ein bisschen attraktiver und breiter gefächert wird, dass wir Räume bekommen gerade für jüngere Leute, die feiern gehen wollen. Die stoßen immer wieder an Grenzen, weil es einfach nicht genügend Orte und Plätze in der Stadt gibt, an denen sie selbst etwas machen können.

Was muss sich hier dringend ändern?

Wir brauchen zunächst mal ein Bekenntnis, dass das Nachtleben wichtig ist. Das ist kein "Nice-to-have", sondern gerade in Heidelberg ein Muss. Clubkultur ist auf Augenhöhe zu sehen mit jeder anderen Kultur, nicht als Anhängsel. Aus dieser Sichtweise heraus muss man dann politische Schritte gehen. Aber das ist noch nicht bei allen angekommen. Für andere Kultureinrichtungen schaffen wir es ja auch, da können wir richtig viel Geld in die Hand nehmen. Das würde ich mir für die Clubkultur ebenfalls wünschen – und mehr Unterstützung für die Orte, die schon da sind.

Wie könnte das konkret aussehen?

Wenn wir neue Orte, neue Quartiere schaffen, müssen wir die Clubkultur von Anfang an mitdenken. Wo kann ein Club rein, wo schaffen wir Orte, an denen man auch mal laut sein kann, die aber so gebaut sind, dass sie andere nicht stören? Das muss in die Planungen mitaufgenommen werden und nicht erst, wenn das Viertel schon fertig gebaut ist – und man dann merkt, das geht nicht wegen der Lärmbelästigung.

Sie sind auch sehr sportinteressiert.

Das ist mein zweites großes Thema. Ich bin auch DJ bei den Heidelberg Academics, und darum liegt mir Basketball besonders am Herzen – und es gibt nur sehr wenige Plätze in der Stadt, an denen man sich einfach am Nachmittag treffen kann, um zu spielen und ohne sich an einen Verein zu binden. Ich habe das als Kind und Jugendlicher immer gerne gemacht und dabei total unterschiedliche Menschen kennengelernt. Das ist etwas sehr Integratives, da kann jeder mitmachen. Du musst nicht mal dieselbe Sprache sprechen, Du machst einfach gemeinsam Sport.

Hätten Sie bei der Kommunalwahl 2019 damit gerechnet, in den Gemeinderat zu kommen? Wer auf Listenplatz 42 kandidiert, tut das ja meist, um die Liste aufzufüllen.

So war das auch bei mir. Als ich mal in der Halle 02 aufgelegt habe, kam ich mit Felix Grädler ins Gespräch, unter anderem über Kommunalpolitik. Dabei habe ich erwähnt, dass ich schon immer mit den Grünen sympathisiere – und er hat mich gefragt, ob ich bei der Kommunalwahl auf einem hinteren Platz kandidieren möchte. Ich habe zugesagt und dachte, dass ich erst in den Gemeinderat komme, wenn 42 Leute von der Liste gewählt werden. Ich habe überhaupt keine Werbung gemacht, aber am Wahlabend rief Felix mich an und meinte, ich solle doch mal vorbeikommen, es könnte knapp für mich werden und ich sei ziemlich weit hochgewählt worden.

Dann hat es aber doch nicht gereicht.

So ist es aber ganz wunderbar gelaufen. Ich saß quasi auf der Auswechselbank, konnte mir das Spiel von außen anschauen und mich mit dem Gedanken anfreunden, dass ich auch reinkommen könnte. Und jetzt im vierten Viertel werde ich eingewechselt.

Was sagen Ihre Fans, Freunde und Bekannte zu Ihrer neuen, doch sehr bürgerlichen Tätigkeit als Stadtrat? Macht das nicht uncool oder ist schlecht für das Image?

Die Reaktionen waren fast durchweg positiv. Einige waren überrascht, dass ich für die Grünen angetreten bin, aber das kann ich gut begründen. Die Grünen waren die erste Partei, bei der ich mich selbst erkennen konnte, wo ich sehen konnte, dass Menschen mit internationaler Familiengeschichte ein Teil davon sind, und zwar auf Augenhöhe. Ich bin noch kein Mitglied, aber vielleicht ändert sich das noch.

Wer mich kennt, weiß, dass ich bei bestimmten Themen nicht den Mund halte, wenn es etwa um Rassismus oder Diskriminierung geht. Das war mir schon immer wichtig, ich wollte nie "nur" DJ oder Produzent sein. Wenn Du ein bisschen bekannt bist, dann hast Du auch eine Verpflichtung, ein gewisses demokratisches und gesellschaftliches Klima zu fördern. Du kannst dich nicht nur hinter deinem Künstlerdasein verstecken, du musst auch Farbe bekennen.

Wird Ihr Name bei der Kommunalwahl 2024 wieder auf der Kandidatenliste der Grünen stehen?

Genau das hat die Fraktion mich quasi direkt nach meiner Vereidigung auch schon gefragt. Gerade läuft alles wie im Zeitraffer für mich. Wir werden darüber sprechen und ausloten, ob es passt. Ich bin offen dafür. Zeit und Lust hätte ich, in meiner Stadt etwas mitzugestalten.

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