Ist Straßenstrich-Verbot in Heilbronn der richtige Weg?
Wird die Stadt zum Sperrbezirk? Noch im Frühjahr soll der Gemeinderat nach dem dreimonatigem "Probelauf" entscheiden. Meinungen und Erfahrungen gehen auseinander.

Von Brigitte Fritz-Kador
Heilbronn. Noch im April soll der Gemeinderat über ein dauerhaftes Verbot der Straßenprostitution in Heilbronn beraten und wohl auch den entsprechenden Beschluss dazu fassen. Wo dafür die Mehrheiten liegen, war schon in der Vorberatung im Gemeinderat zur "Änderung der Sperrbezirksverordnung" erkennbar geworden.
Im Vorfeld des Termins für die endgültige Beschlussfassung luden die SPD-Stadträtinnen Marianne Kugler-Wendt, Tanja Sagasser-Beil und Dr. Anna Christ-Friedrich nun zu einer Online-Veranstaltung mit der Bundestagsabgeordneten Leni Breymaier ein. Sie ist Sprecherin der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend der SPD-Bundestagsfraktion.
Das Für und Wider eines Verbots lässt sich nicht "einfach" an der Parteizugehörigkeit festmachen, das zeigte schon die Diskussion im Gemeinderat und nun auch die Online-Veranstaltung sehr deutlich. Mit Kathrin Geih von der Beratungsstelle für Prostituierte der "Mitternachtsmission" sprach eine Praktikerin mit, die sich seit 2015 für Hilfe und Ausstiegshilfe engagiert.
Hintergrund
> Das Nordische Modell (auch Schwedisches Modell genannt) beruht auf der Entkriminalisierung der Prostituierten bei gleichzeitiger Kriminalisierung der Sexkäufer und Anbieter beziehungsweise Betreiber und auf der öffentlichen Finanzierung von Ausstiegsprogrammen.
> Das Nordische Modell (auch Schwedisches Modell genannt) beruht auf der Entkriminalisierung der Prostituierten bei gleichzeitiger Kriminalisierung der Sexkäufer und Anbieter beziehungsweise Betreiber und auf der öffentlichen Finanzierung von Ausstiegsprogrammen.
Schweden war 1999 das erste Land, das dieses Sexkaufverbot umsetzte. In angepasster Form gilt es auch in Norwegen, Kanada, Frankreich, Irland, Israel und auf Island.
Im Bundestag hat sich ein fraktionsübergreifender Parlamentskreis zum Thema Prostitution für die Einführung des Nordischen Modells gebildet, dem auch Leni Breymaier angehört. Auch dort gibt er jedoch kein einheitliches Meinungsbild; es hat sich auch schon Protest dagegen formiert.
In ihrem Film "Freier Wille" hat Breymaier Experten zur Prostitution in Deutschland befragt. Er ist unter www.youtube.com/watch?v=lhwSAccUbio abrufbar. (bfk)
Die "Mitternachtsmission" der Diakonie Heilbronn steht für die Form der "aufsuchenden Hilfe", hält auch Wohnungen für Aussteigerinnen bereit und befürchtet, dass sich bei Verbot des Straßenstrichs, die Prostitution in Nischen und "irgendwelche Wohnungen" verlagert.
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Breymaier ist hingegen eine überzeugte Verfechterin des sogenannten Nordischen Modells, das Prostitution generell verbietet und die Freier bestraft. Sollte dieses zur Zielvorgabe für Heilbronn werden, sehen die Mitarbeiterinnen der "Mitternachtsmission" ihre Arbeit um sehr vieles erschwert.
Die Fragen der SPD-Frauen waren dann auch die: "Ist das Verbot der Straßenprostitution der richtige Weg? Können wir damit Frauen schützen, die sich oft gegen ihren Willen oder aus einer wirtschaftlichen Notlage heraus prostituieren?"
Auch die intensive Online-Diskussion hat nur gezeigt, dass man sich über Ziele, nicht aber den Weg dorthin, einig ist. Was Geih aus ihrer jahrelangen Praxis dazu berichtete, zeigt zudem auf, dass auch dann, wenn Prostitution öffentlich stattfindet, wie jahrelang in der Hafenstraße, vieles nicht-öffentlich bleibt: Der Umgang mit – oder sollte man sagen: die "Benutzung" der – Frauen, wie sie es aus ihrer Erfahrung schilderte, relativiert auch die Argumente, wie sie in der Sitzung des Gemeinderates zu hören waren, etwa das der "Freiwilligkeit".
Viele der Prostituierten seien Analphabetinnen, sprächen kein Deutsch, wüssten oft nicht einmal, an welchem Ort sie sich gerade befinden. Weg von der Straße, in anonymen Wohnungen, können sie sich auch untereinander nicht helfen.
Für Breymaier ein grundsätzliches Problem ist die Nachfrage, und dazu wurde sie sehr deutlich: "Die Männer wollen Frischfleisch!" Mit Schokolade, Gleitgel, und einem Zettel mit Telefonnummern käme man nicht weit.
Das Übel seien die Freier – so wie im Nordischen Modell definiert, müsse man sie auch hierzulande sanktionieren. Nicht ohne Fatalismus sagte sie: "Heilbronner Männer brauchen sich nicht aufzuregen. Die Bordelle werden starken Zulauf haben!" Das große Problem sei nicht nur das große Dunkelfeld, sondern auch, dass die allermeisten Frauen Opfer von Menschenhandel seien.
SPD-Fraktionsvorsitzender Rainer Hinderer, einziger Mann in der Diskussionsrunde, fragte dann auch, ob man diese Probleme wirklich auf kommunaler Ebene regeln könne, und Kugler-Wendt fragte dazu: "Welche Ausstiegshilfen finanziert die Stadt Heilbronn?"
Nach dem Erlass der sogenannten Allgemeinverfügung (Prostitutionsverbot) im September 2022, war auch die Polizei bei beobachtenden "Brennpunkt-Einsätzen". In ihrer Stellungnahme ist keine eindeutige Empfehlung erkennbar.
Unter anderem ist darin zu lesen, dass die Prostituierten das Verbot vom ersten Tag an eingehalten haben, damit die angestrebte Wirkung erzielt wurde und "die durch die vorangegangene Eskalation entstandenen Störungen und Gefahren insbesondere im öffentlichen Raum" beseitigt werden konnten.
Regelmäßige Recherchen in Internetportalen hätten ergeben "dass das Verbot der Straßenprostitution zu einer quantitativen Zunahme der Internet-Inserate führt und die Mehrheit der ehemaligen Straßenprostituierten ihre Aktivitäten in den Bereich der Wohnungsprostitution verlagern." Kontrollen hätten dann in den "bekannten Wohnungen" stattgefunden.
Dabei hätte sich die "überwiegende Mehrzahl der Prostituierten" dahingehend geäußert, dass sie die dreimonatige Verbotsverfügung abwarten würden, dann aber nach "Wiedereröffnung" des Straßenstrichs unverzüglich zurück auf die Straße möchten; nur eine habe eingeräumt, aufgrund gewalttätiger Vorfälle, auf der Straße Angst zu haben.
Nach ihren Erkenntnissen, sagte Kripo-Chef Thomas Schöllhammer, sei "die Arbeitsweise der Zuhältergruppierungen auf die Straßen- und nicht auf die Wohnungsprostitution ausgerichtet"; diese diene lediglich der "Überbrückung" der Verbotsphase. Ein Fazit der Polizei aber lässt aufhorchen, auch weil inzwischen bekannt ist, dass sich in der Hafenstraße zwei verfeindete bulgarische Großfamilien den Markt "teilen": "Ein dauerhaftes und flächendeckendes Verbot der Straßenprostitution im Stadtkreis Heilbronn durch Änderung der Sperrbezirksverordnung könne den Effekt erzielen, dass die beiden Zuhältergruppen das Heilbronner Stadtgebiet verlassen."
Auch die Juristin Solveig Horstmann beteiligte sich an der Online-Diskussion. Seit vergangenem April leitet sie das Heilbronner Ordnungsamt und befand nun, dass man die Instrumente habe, sie aber nicht einsetze. Unter anderem das wolle sie ändern.
Dafür würden nun auch das Personal des Kommunalen Ordnungsdienstes gezielt geschult; außerdem sollen die ihrer Ansicht nach "viel zu niedrigen Bußgelder" für Freier erhöht werden: "Es muss wehtun!" sagte sie, das werde man auch dem Gemeinderat vortragen.
Seltsam berührte es, als im Verlauf der Diskussion zur Sprache kam, dass auch Bordelle, nachdem Prostitution als staatlich anerkanntes Gewerbe "steuerpflichtig und Teil des Wirtschaftslebens" ist, Corona-Hilfen erhalten hätten.