Herausragende Rettungstat: TSG-Torhüter Oliver Baumann entschärft den frühen Elfmeter des Wolfsburgers Maximilian Arnold (11.) artistisch mit dem Fuß. Foto: APF
Von Nikolas Beck
Wolfsburg. Es sei gar nicht so sehr das Körperliche, was in diesen anstrengenden Tagen problematisch werden könnte, hatte Julian Nagelsmann zwischen Feiertag im Europapokal und Bundesligapflicht Sonntagabend in Wolfsburg orakelt. Vielmehr liege die große Herausforderung im mentalen Bereich, nämlich darin, in den entscheidenden Momenten hundertprozentig fokussiert und konzentriert zu sein, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Zehn Minuten vor Spielende musste sich Hoffenheims Trainer wohl oder übel bestätigt fühlen. Denn Andrej Kramaric traf die falsche. Da stürmte der Kroate - mit 1:0-Führung im Nacken und von Mark Uth und Sandro Wagner flankiert - auf Koen Casteels zu. Er entschied sich, es alleine zu machen - und schlenzte den Ball harmlos in die Arme des VfL-Keepers. Wagner konnte es nicht fassen, blickte hilfesuchend zu seinem Trainer auf der Bank.
Die verpasste Entscheidung sollte sich rächen: In der Nachspielzeit wuchtete VfL-Verteidiger Felix Uduokhai eine Eckeballhereingabe gegen drei TSG-Verteidiger mit dem Kopf in die Maschen. Wieder einmal hatte die Nagelsmann-Elf eine Führung nicht ins Ziel bringen können. Es waren bereits die Zähler acht und neun, die "Hoffe" nach einer Führung in der jungen Bundesligasaison schon hat liegen lassen,
Kein Wunder, dass Nagelsmann hinterher seine Enttäuschung gar nicht erst verbergen wollte: "Wir laufen in Überzahl auf das gegnerische Tor zu", haderte der 30-Jährige mit der spielentscheidenden Szene: "Ein Spieler seiner Qualität sieht den Nebenmann, den muss er einfach querlegen." Ob’s für den 26-Jährigen eine ordentliche Kopfwäsche geben wird, wurde Nagelsmann gefragt? "Die gab’s schon. Das muss er sich anhören, ich erwarte da auch keine Antwort."
Der Stachel saß tief, bei allen Beteiligten. Schließlich hatte die TSG nicht einmal 72 Stunden nachdem sie mit einem 3:1 gegen Istanbul den Rasen der Rhein-Neckar-Arena verlassen hatte, das Feld in der Volkswagen Arena betreten. Und 1899 warf vor 23.514 Zuschauern alles in die Waagschale, kämpfte leidenschaftlich und aufopferungsvoll. Nur um am Ende den Nackenschlag zu kassieren. Darum musste der Trainer seine Analyse auch zweiteilen.
Mit dem Ergebnis sei er überhaupt nicht zufrieden, mit der Art und Weise, wie seine Elf zu Werke gegangen war, dafür umso mehr. Die ganz große Rotationsmaschine hatte er nicht angeworfen. Lediglich auf drei Positionen veränderte er die Anfangsformation im Vergleich zum Auftritt im Europapokal: Torschütze Nico Schulz nahm für Steven Zuber auf der Bank Platz, die angeschlagenen Dennis Geiger und Nadiem Amiri wurden Kramaric und Florian Grillitsch ersetzt.
Und Letzterer stand schon lange vor Kramarics fataler Ego-Nummer im Rampenlicht: Gerade einmal 180 Sekunden waren gespielt, da hatte der Österreicher die Führung auf dem Fuß. Nach einem schnellen Konter perfekt bedient von Mark Uth, stand Grillitsch frei vor Casteels und scheiterte. "Eine frühe Führung wäre in so einer Englischen Woche sicher nicht verkehrt gewesen", bedauerte Nagelsmann.
Weil seine Schützlinge in ihren vielen Konterchancen die letzte Konsequenz vermissen ließen, war es der VfL der vor der Pause die besseren Chancen hatte. Nur Oliver Baumann war es zu verdanken, dass es torlos in die Kabine ging. Der parierte zunächst sensationell einen fragwürdigen Elfmeter (Nagelsmann: "Unfassbar, dass man sich die Szene auf Video noch einmal anschaut und trotzdem gibt") von Maximilian Arnold (11.), später fand Daniel Didavi mit seinem Freistoß-Schlenzer seinen Meister im Teufelskerl zwischen den 1899-Pfosten (37.). Apropos Pfosten: Der half wenige Sekunden später gegen Divock Origis linken Hammer auch ein bisschen mit.
Nach dem Wechsel habe Hoffenheim, "ein absoluter Top-Act dieser Liga", noch mal eine Schippe drauf gepackt, fand auch Wölfe-Trainer Martin Schmidt nach dem fünften Unentschieden im fünften Spiel seiner Amtszeit. Während der Schweizer Übungsleiter von einem "Mentalitätspunkt" sprach und dem Remis so noch etwas Positives abgewinnen konnte, wirkte sein Trainerpendant deutlich angefressener: "Völlig unnötig zwei Punkte verloren", so das Fazit des Landsbergers. Andrej Kramaric wird ihm nicht widersprechen.