In Hoffenheim sind Trainer und Mannschaft unzufriedener als ihre Chefs

Mehr als erwartet, weniger als möglich - Platz fünf zur Pause und ein gutes Zeichen

22.12.2016 UPDATE: 23.12.2016 06:00 Uhr 3 Minuten, 37 Sekunden

Später Schock: Werders Gnabry markiert das 1:1 gegen TSG-Keeper Baumann. Foto: APF

Von Roland Karle

Sinsheim. Froh gestimmt trat Dietmar Hopp den Weg aus seiner Loge in die Mannschaftskabine an. "Wir sind weiter ungeschlagen", sprach Hoffenheims Klubeigentümer nach dem 1:1 gegen Werder Bremen und reckte seinen Daumen in die Höhe. Auch Alexander Rosen, dem Sportdirektor, ging es sichtbar gut. Er strahlte wie ein kleiner Junge, der gerade seine Weihnachtsgeschenke ausgepackt und dabei festgestellt hat, dass ihm jeder Wunsch erfüllt worden ist. Den späten Gegentreffer durch Serge Gnabry (87.) nahm Rosen als Schönheitsfehler hin. "Der Ausgleich war unnötig", sagte er, ließ sich davon aber den "positiven Blick aufs Ganze" nicht trüben.

Auch nach dem 16. Spieltag ist die TSG Hoffenheim die einzige Bundesliga-Mannschaft ohne Niederlage. Da kann sich der Kraichgauklub sogar mit den "Königlichen" messen: In den europäischen Top-Ligen hat es sonst nur Real Madrid geschafft, unbesiegt in die Winterpause zu gehen.

Julian Nagelsmann interessierte sich nach Spielschluss für solche Vergleiche nicht. "Ich bin sehr unzufrieden", sagte er und monierte vor allem den Auftritt in der ersten Hälfte. "Wir haben extrem viele Fehler gemacht." In der Pause hatte der Trainer deutliche Worte an sein Personal gerichtet, danach stürmte er immer wieder Kommandos gebend an die Seitenlinie. Doch es half nichts. Ob Jeremy Toljan, Nadiem Amiri, Niklas Süle oder Andrej Kramaric - sie brachten vielversprechende Angriffe zu keinem guten Ende. Nagelsmann ahnte, was folgen sollte. "Ein Gegner, der eigentlich geschlagen ist, glaubt an seine Chance. Und dann geht es 1:1 aus."

Seine Spieler suchten erst gar nicht nach Entschuldigungen. Mark Uth sagte selbstkritisch: "Ich habe falsche Entscheidungen getroffen, zudem den einen oder anderen Konter verschleppt." Und Sturmkollege Sandro Wagner befand: "Gegen Ende haben wir zu ängstlich gespielt. Das ist ein Dämpfer vor der Winterpause."

Die Stimmung hätte unterschiedlicher nicht sein können: Mäzen Hopp und Manager Rosen waren froh, Trainer und Spieler frustriert. Kommt auch nicht überall und alle Tage vor, dass die Chefs mit der Belegschaft zufriedener sind als die mit sich selbst. Eine Folge großer Erleichterung, nach dem doch noch erreichten Klassenerhalt 2015/16. "Im vergangenen Jahr hatte ich große Angst, dass wir absteigen", gestand Dietmar Hopp jüngst bei der TSG-Mitgliederversammlung. Und Sportchef Rosen erinnert sich noch mit Grausen an die Turbulenzen des vergangenen Winters, als Trainer Markus Gisdol entlassen, Huub Stevens geholt und wenig später durch Nagelsmann ersetzt wurde: "Das waren schwierige Zeiten."

Mit sechs Siegen und zehn Remis, 28 Punkten und Platz fünf zur Winterpause steht der letztjährige Abstiegskandidat prima da. Das ist mehr als erwartet. Aber auch weniger, als möglich war. Die drei letzten Unentschieden zu Hause gegen Hamburg (2:2), Dortmund (2:2) und nun Bremen (1:1) sind dafür typisch: In jeder Partie war Hoffenheim dem Sieg näher als der Gegner. Allein dadurch fehlen in der Zwischenbilanz zwei, vier, sechs Punkte. "Wir haben zu viel liegen gelassen", ärgert sich Stürmer Uth. Den Sprung auf Platz drei, der am Saisonende den Einzug in die Champions League garantiert, haben er und seine Kollegen am Mittwoch um drei Minuten und zwei Punkte verpasst.

Danach gefragt, welches Halbjahreszeugnis Julian Nagelsmann seiner Mannschaft ausstellt, sagte er: "Beim Blick auf die Tabelle würde ich eine Zwei geben. Geht es nach meinem Gefühl der Zufriedenheit, ist es aber nur eine Drei bis Vier."

Gut, dass der Trainer so ehrgeizig ist. Intern haben sich er und seine Mannschaft auf ein Ziel verständigt. Es wird wie ein Betriebsgeheimnis gehütet, schwirrt aber deutlich vernehmbar durch die Kraichgauer Luft: Hoffenheim will sich erstmals für einen europäischen Wettbewerb qualifizieren. Selten waren die Voraussetzungen besser: Mit höheren Etats ausgestattete Klubs wie Leverkusen, Schalke, Wolfsburg und Mönchengladbach sind arg ins Straucheln geraten. Die einen kämpfen um den Anschluss, die anderen gegen den Abstieg. Unerwartet folgen Teams wie Hertha (30 Punkte), Frankfurt (29), Hoffenheim (28) und Köln (25) hinter dem Spitzenduo FC Bayern (39) und Leipzig (36).

Solche Mannschaften, die ihren Hauptwohnsitz im Mittelfeld der Liga haben, müssen sich trauen und die Gunst der Stunde nutzen. Bei Hoffenheim kommen zwei besondere Umstände hinzu.

Erstens: Die meisten Neuzugänge sind bislang Volltreffer. Kevin Vogt (aus Köln) und Benjamin Hübner (Ingolstadt) etwa bilden mit Niklas Süle in der Defensive ein fußballerisches Riesengebirge - vor den Hünen erschrickt sich so manche Sturmreihe. Techniker Kerem Demirbay (Hamburg) und Sturmtank Sandro Wagner (Darmstadt) haben die Mannschaft nicht nur stärker, sondern auch facettenreicher gemacht.

Zweitens: Die von Bayern umworbenen Sebastian Rudy und Süle spielen höchstwahrscheinlich nur noch bis Sommer für Hoffenheim. Zwei Leistungsträger, die ersetzt werden müssen, was erfahrungsgemäß Zeit braucht und Punkte kostet. Auf Zeiten des Umbruchs sei der Klub eingestellt: "Wir sind es gewohnt, dass irgendwann die Spielerqualität zu groß wird für unseren Klub", sagt Manager Rosen mit Blick auf Profis wie Rudy und Süle. Ein Grund mehr, nicht zaghaft, sondern entschlossen jetzt nach den Sternen zu greifen.

Man darf das Glück auch mal zwingen.

Kein Zweifel, dass sich Nagelsmann daran versuchen wird. Und auch etliche seiner Spieler. Kerem Demirbay war nach dem 1:1 gegen Bremen enttäuscht. "Ich gehe nicht mit einem guten Gefühl in den Urlaub." So was hört sein Trainer gerne. "Das ist besser, als in den Süden zu fliegen und zu denken, dass wir alle Halbgötter sind." Außerdem führe Unzufriedenheit dazu, schnell wieder Lust aufs Training zu bekommen. Auf Spieler wie Toljan, Süle oder den zuletzt immer stärker auftrumpfenden Pavel Kaderábek warten neue Übungen. "Bei unserer offensiven Ausrichtung kommen Spieler in Abschlusspositionen, die das nicht gewohnt sind. Da werde ich mir was überlegen", hat Nagelsmann angekündigt.

Aber erst mal wird auch der jüngste Coach der Bundesliga abschalten, sich im Urlaub auf die Skipisten rund um Saalbach-Hinterglemm begeben und eine Jahresbilanz mit viel Lametta und wenig Lamento ziehen. "Wenn ich an Silvester eine Träne aus Frust vergießen würde", sagt der 29-Jährige, "dann hätte ich doch einen Pfeil im Kopf."

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