Bundesliga-Geisterspiel

So fühlt sich die neue Normalität im Stadion an

Desinfektionsstationen, Masken auf der Auswechselbank und ein helfender Unterarm

17.05.2020 UPDATE: 18.05.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 15 Sekunden
Fiebermessen am Eingang: Wer erhöhte Temperatur hat, muss draußen bleiben. Foto: APF

Von Nikolas Beck

Sinsheim. Die Post aus Russland erreicht mich zwei Abende zuvor: Sergey, ein Sportjournalist aus dem ehemaligen Zarenreich, sucht via Instagram Reporter, die am Wochenende im Stadion sein werden. Für einen Artikel über den Bundesliga-Re-Start wolle er am besten alles wissen. Von den Sicherheitsvorkehrungen über die Organisationsdetails bis hin zu den Reaktionen der Spieler. Mit lieben Grüßen aus Moskau sozusagen. Und mir wird schlagartig klar: Auf Deutschlands Profi-Kicker schaut diesmal die ganze (Fußball)-Welt.

Die neue Stadion-Normalität beginnt für mich mit einer Pistole am Kopf. Zumindest sieht es so aus und fühlt sich so an, als die maskierte Dame an meiner Stirn die Körpertemperatur checkt. 36,3 Grad – eher unterkühlt. So viel vorab: Daran wird sich an diesem Nachmittag auch nichts mehr ändern. Der ausgefüllten Gesundheits-Fragebogen zeigt ebenfalls keine Auffälligkeiten: Zutritt gestattet. Freilich erst, nachdem noch einmal die Hände desinfiziert werden.

50 Meter und 30 Stufen sind es in Sinsheim etwa zwischen Medieneingang und der Pressetribüne, auf die man sich unverzüglich zu begeben hat. Vier Desinfektionsstationen passiert man neuerdings auf diesem kurzen Weg. Der Presseraum bleibt geschlossen, Vesperpakete im Rucksack ersetzen das sonst übliche Catering.

Auf der Tribüne die nächste Überraschung: Radio- und Fernseh-Mitarbeiter sowie die insgesamt zehn weiteren akkreditierten Journalisten sitzen nicht nur mit reichlich Sicherheitsabstand zueinander. Sondern zwischen den zugewiesenen Plätzen sind sogar die Sitzschalen demontiert. Köpfe zusammenstecken? Unmöglich. Es scheint, als hätte die Deutsche Fußball Liga (DFL) in ihrem viel diskutierten Hygiene-Konzept an alles gedacht.

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Um das Spielfeld herum herrscht Maskenpflicht. Auch die Auswechselspieler, die weit verteilt auf der Tribüne sitzen, tragen welche.

Wenige Minuten vor Anpfiff fühle ich mich sicher. Ein normales Fußballspiel kann ich mir unter diesen Bedingungen allerdings nicht vorstellen.

Umso überraschter bin ich, dass es genau das ab 15.30 Uhr zu sehen gibt. Zwar habe ich das Gefühl, dass sich beide Teams zu Beginn erst einmal vorsichtig "abtasten". Doch bevor ich mir über die Paradoxität dieser Redewendung Gedanken machen kann, legen Hoffenheimer und Berliner ihre Zurückhaltung auch schon ab. Einen Zweikampf mit Körperkontakt scheut jedenfalls keiner.

Es sind kleine Details, an denen auch auf dem Feld zu erkennen ist, dass wir in besonderen Zeiten leben und spielen: Als Hertha-Stürmer Dodi Lukebakio im TSG-Strafraum liegen bleibt, kommt "Hoffe"-Keeper Oliver Baumann zur Hilfe. Statt einer helfenden Hand reicht er seinem Gegenüber einen helfenden Unterarm. Beim 0:3 ist die Partie längst entschieden, als Dennis Geiger Per Skjelbred von den Beinen holt. Der junge Mosbacher will sich entschuldigen. Mit ausgestreckter Hand läuft er auf den Herthaner zu. Skjelbred, noch auf den Knien, lehnt dankend ab, akzeptiert das "Sorry" aber mit einem Klaps auf Geigers Stulpen.

Natürlich hätte sich die DFL derart konsequentes Handeln auch beim dreifachen Berliner Torjubel gewünscht. Doch zur Wahrheit gehört nun mal auch, dass das Abklatschen per Ellenbogen oder mit den Schuhen Szenen sind, die vor allem Symbolcharakter haben sollen. Während der 90 Minuten lässt sich Körperkontakt nicht vermeiden. Geht das DFL-Konzept auf, ist das auch völlig in Ordnung. Praktisch ausgeschlossen ist es dann, dass ein infizierter Spieler auf dem Rasen steht.

Zu allen anderen der rund 300 Menschen, die sich im Stadion aufhalten, haben die Kicker stets ausreichend Abstand. Auch zu den Medienvertretern. Während der Interviews bleiben die Reporter auf der Tribüne, reichen die Mikrofone an langen Teleskopstangen an den Spielfeldrand. Die Pressekonferenz findet virtuell statt. Und dann ist der Nachmittag auch relativ schnell wieder beendet. Ohne Fans, ohne Stimmung, ohne Stau und praktisch ohne zwischenmenschlichen Kontakt.

Dafür aber auch nahezu ohne Risiko – und mit ganz viel Fußball. Genau das macht Hoffnung. Auch in Russland.

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