1899 Hoffenheim

Andrej Kramaric ist ein kritischer Knipser

"Hoffes"Andrej Kramaric beschert Sebastian Hoeneß ein gelungenes Bundesliga-Debüt, sieht aber Steigerungsbedarf

20.09.2020 UPDATE: 21.09.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 30 Sekunden
Die Entscheidung (linkes Bild): Andrej Kramarics dritter Streich in der Nachspielzeit. Foto: APF

Von Nikolas Beck

Köln. Sebastian Hoeneß hatte schon so einige Hände geschüttelt und Schultern geklopft, ehe er die entscheidende Danksagung loswerden konnte. Als Hoffenheims neuer Trainer nach dem Schlusspfiff den Weg zu seinen Schützlingen auf den Rasen antrat, war Andrej Kramaric zunächst noch ganz in seinem Element. Wild gestikulierend diskutierte der Kroate mit seinen Mitspielern, erst mit Oliver Baumann, dann mit Dennis Geiger. Szenen, die viel aussagen über "Hoffes" Ausnahmekönner, der beim 3:2 (2:1)-Erfolg in Köln mit seinen drei Treffern – schon wieder – zum Matchwinner avancierte. Und dennoch nicht zufrieden war.

Es war ein bemerkenswertes Fernseh-Interview für einen Dreierpacker, der die vergangenen neun (!) TSG-Tore erzielt hat, zumal nach einem Auftaktsieg: "2:2 wäre realistisch gewesen", sagte Kramaric unmittelbar nach Spielende bei Sky und legte nach: "Das ist nicht Hoffenheim. Wenn wir so spielen wie heute, ist das für den Rest der Saison nicht genug."

Dabei hatte 1899 eine bärenstarke erste Halbzeit hingelegt, war nach einem Patzer von Kölns Hector früh in Führung gegangen (3. Minute) und vergab danach zahlreiche Großchancen. Auch nach Anderssons Ausgleich (22.) ließen sich Kramaric und Co. nicht beirren. Dank seines verwandelten Elfmeters (45.+3/ Czichos hatte Baumgartner zu Fall gebracht) ging es mit einer hochverdienten 2:1-Führung in die Kabine.

"Vielleicht hätte sogar noch ein Tor mehr herausspringen können", sagte Hoeneß während seiner ersten Pressekonferenz nach einer Bundesliga-Partie. Doch auch dem 38-Jährigen war nicht entgangen, dass es ein Spiel "mit zwei verschiedenen Halbzeiten" war. Der späte Kölner Ausgleich durch Drexler (86.) sei ein "Nackenschlag" gewesen, so Hoeneß. Keeper Oliver Baumann, der schon zwei-, dreimal zuvor einen möglichen Ausgleich in höchster Not verhindern konnte, sprach davon, "sauer und angekäst" gewesen zu sein.

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Sebastian Hoeneß. Foto: APF

Umso größer war bei Baumann und Kollegen die Erleichterung über Kramarics dritten Streich (90.+2). "Wie die Mannschaft zurückgekommen ist, war sensationell. Es war ein Sieg der Moral und des Teamspirits, ein echter Kraftakt", freute sich Hoeneß und räumte ein: "Natürlich sind wir heute der glückliche Sieger."

Hoeneß ist damit der erste Hoffenheimer Trainer seit April 2013, der beim Debüt gewinnen konnte. Damals freute sich Markus Gisdol über eine gelungene Premiere. Am Samstagabend war der aktuelle FC-Coach dagegen mehr als bedient. Er gratulierte zwar seinem Gegenüber fair. Doch das Mienenspiel des Geislingers sprach Bände. Nur schwer akzeptieren könne er den Hoffenheimer Sieg. Schließlich habe seine Elf tolle Anteile am Spiel gehabt und alles, was sie in der ersten Hälfte vermissen lassen hatte, nach dem Wechsel besser gemacht. Auch eine körperliche Überlegenheit der Hausherren hatte er nach rund 70 Minuten wahrgenommen.

Damit hatte Gisdol nicht unrecht. "Wenn ich die Statistik sehe, wäre es ein hochverdientes Unentschieden gewesen", ärgerte sich der 51-Jährige, dem auch die Elfmeter-Entscheidung nach Video-Studium von Schiedsrichter Daniel Siebert sowie der kurzfristige Ausschluss der 9 200 geplanten Zuschauer missfallen hatte: "Als ich am Freitagabend die Nachricht im Fernsehen gesehen habe, habe ich ausgeschaltet."

Dass die Stadt Köln keine 24 Stunden vor Anpfiff entschieden hatte, doch kein Publikum zuzulassen, war nicht bis zu allen Karteninhabern durchgedrungen. Die Enttäuschung am Stadioneingang teilten sie mit Kölns Trainer: "Fakt ist: Ein Heimspiel mit Zuschauern ist immer besser."

Wie eng beieinander nach 90 Minuten Erleichterung und Enttäuschung liegen können, zeigen Keeper Oliver Baumann und Ermin Bicakcic bei der Umarmung neben dem geschlagenen Jonas Hector. Fotos: APF

Unterschiedlicher konnten die Gefühlslagen am Samstagabend also kaum sein: Die Domstädter haderten, während man beim Dorfklub strahlte. Hoeneß nahm’s seinem Torgaranten Kramaric auch nicht übel, dass dieser vor dem Duell mit Meister München 200 Prozent von allen forderte: "Wir müssen besser spielen und mehr trainieren. Jeder hat gesehen, was Bayern gegen Schalke gemacht hat." Hoeneß ganz diplomatisch: "Wir wissen ja, dass wir noch Arbeit vor uns haben, dürfen aber auch die erste Halbzeit nicht vergessen, da waren wir zielstrebig, aggressiv und haben hoch verteidigt."

An die ersten 45 Minuten hatte sich nach dem Duschen ganz offensichtlich auch Kramaric wieder erinnert: Mit dem Spielball in der Hand und wesentlich besserer Laune grinste er in die Klub-TV-Kamera: "Es war ein schweres Spiel. Aber ich bin glücklich, das Team ist glücklich."

Und Sebastian Hoeneß sowieso. Wohl dem, der einen Andrej Kramaric in seinen Reihen hat, den kritischen Knipser.

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