Verena Bentele. Foto: dpa
Von Benjamin Auber
Verena Bentele (38) ist Präsidentin des Sozialverbands VdK und von Geburt an blind.
Frau Bentele, was kann Sport für behinderte Jugendliche leisten?
Durch Sport werden das Selbstbewusstsein und Fähigkeiten gestärkt. Weil ich als Jugendliche viel Sport gemacht habe, war es viel einfacher zu verreisen, ich hatte immer genügend Kraft, um schwere Skitaschen oder Koffer Treppen hinaufzuschleppen. Genauso wichtig wie die Fitness ist natürlich die Inklusion, also das zusammen aktiv sein. Im Sport können Menschen mit und ohne Behinderung etwas gemeinsam erreichen. Wenn Jugendliche, die nicht sehen können, Fahrrad auf dem Tandem fahren, leisten alle so viel wie sie können. Der Schlüssel sind gemeinsame Erfahrungen und nicht nur die Theorie. Inklusion muss praktisch gelebt werden.
Kann das in Sportvereinen besser gelingen als in Schulen?
Es kann anders gelingen, weil es nicht zwingend Noten gibt und alle sich die Sportart aussuchen können, die ihrem Talent entspricht. Unser Schulsystem ist sehr starr, alle müssen gleich schnell lernen. Für Menschen, die beispielsweise Lernschwierigkeiten haben, ist das in der Schule oft nicht einfach. Der Rahmen im Sport ist entspannter, sich ungezwungen kennenzulernen. Das löst auch gewisse Barrieren im Kopf, die es immer gibt.
Wird Behindertensport in ausreichendem Umfang gefördert?
Die Vereine sollten allgemein noch mehr Angebote für Sportler mit Behinderung schaffen und offen für neue Sichtweisen sein. Vereinsvertreter sagen mir aber auch, dass es kaum junge Menschen mit Behinderung gibt, die diese Sportangebote in Anspruch nehmen. Es müssen sich hier beide Seiten deutlich bewegen. Ich erhoffe mir mehr Angebote in Sportarten, die von Behinderten und Nicht-Behinderten gemeinsam ausgeübt werden können. Das schafft echte Inklusion.
Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation an unseren Schulen?
Die Diskussion geht viel zu sehr in die Richtung, ob Inklusion generell sinnvoll oder möglich ist. Wir sollten uns eher darum kümmern, was ein Schulsystem braucht, um Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen ein gutes Lernumfeld zu ermöglichen. Bisher werden alle in ein bestehendes System gequetscht, ohne, dass infrage gestellt wird, ob das Lernen heute noch so zeitgemäß ist.
Welche beruflichen Möglichkeiten haben junge Menschen mit Behinderung?
Das ist immer noch schwierig. Es bringt ziemlich wenig, getrennte Ausbildungen anzubieten und dann sollen später alle gemeinsam arbeiten. Kein Wunder, dass viele den Anschluss verlieren. Betriebe, Berufsschulen und Universitäten sollten inklusiv aufgestellt sein.
Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise insbesondere auf Menschen mit Behinderung?
Für Menschen mit Behinderungen sowie chronisch Kranke war und ist vieles durch Corona besonders schwierig geworden, vor allem mit Blick auf den Arbeitsmarkt. Es wird wahrscheinlich in den nächsten Monaten nicht einfacher, einen Arbeitsplatz zu finden. Auch viele Einrichtungen und Werkstätten für Menschen mit Behinderung waren geschlossen. Eltern und Angehörige mussten ran und zu Hause die Unterstützung sicherstellen. Hinzu kommt: Chronisch Kranke gehören zur Risikogruppe. Ihnen drohen schwere Krankheitsverläufe bei einer Infektion. Für sie ist es lebenswichtig, dass alle Gesichtsmasken tragen.
Haben wir diesen Teil der Gesellschaft vernachlässigt?
Die Bundesregierung hat am Anfang nicht an alle Menschen gleichermaßen gedacht. Corona hat die Kommunikation verändert. Vieles fand nur noch digital statt. Ämter und Behörden schlossen, eingekauft wurde online. Menschen mit Behinderungen waren dadurch von vielen Informationen ausgeschlossen. Sie konnten nicht teilhaben, weil nicht alles barrierefrei ist. Wenn Barrierefreiheit von Anfang an eingeplant worden wäre, gäbe es weniger Probleme. Gerade wandelt sich auch die Arbeitswelt, immer mehr wird mobil gearbeitet. Auch hierfür ist digitale Barrierefreiheit eine Voraussetzung, um teilhaben zu können.