Von Heimat und Kulturclash
Mit fluchenden Göttern und packenden Sprechchören überzeugte die Schauspielgruppe des St. Raphael-Gymnasiums

"Raus hier!" Auf einmal waren die ganz in Weiß gewandeten Göttergestalten auf der Bühne gar nicht mehr zum Scherzen aufgelegt. Die Zuschauer reagierten verwirrt - waren tatsächlich sie gemeint? Ganz klar. Resolut scheuchten die Schauspieler ihr Publikum nach etwa der Hälfte des Stückes von der Aula des St. Raphael-Gymnasiums in die Turnhalle. Dort ging es mit der eigenständigen Darbietung "Haram" (zu deutsch: Schande) weiter. Im neuesten Werk des niederländischen Autors Ad de Bont, "Eine Odyssee", geht es nämlich nicht nur um die Familiensaga der Antike, sondern auch um Konflikte von heute. So wanderten die Zuschauer von der griechischen Mythologie direkt in die Gegenwart hinein. Und später wieder zurück - schließlich musste Odysseus von seinen Irrfahrten noch heimkehren.
Die Heimreise des listigen Odysseus hat schon viele fasziniert - mit ihrer Interpretation des Stückes haben die Schüler der Mittel- und Oberstufe "Raphael" aber einen neuen Ansatz gewagt. Sie hatten sich nicht nur dazu entschieden, den Vorstellungsort zwischenzeitlich zu verlagern, sondern auch den Schwerpunkt, nämlich weg vom Thema "Zerrissene Familie" und hin zur Heimat.
"Was ist das überhaupt - Heimat?", fragten sie sich und brachten eigene Überlegungen ins Bühnenwerk ein. So berichtete eine Schülerin am Ende des Zwischenstückes "Haram", dass sie sich auch nach Jahren noch immer mit ihrem Heimatland Bulgarien verbunden fühlt. Die Idee, zu Hause kein Bulgarisch, sondern nur noch Deutsch zu sprechen, fand sie deshalb gar nicht gut. Mit eindrucksvollen Sprechchören betonten die Schüler dabei immer wieder das Kollektiv. Auch wurden die Rollen, wie die der Aziza, von mehreren Schauspielern dargestellt. Aziza widersetzt sich im Stück dem Versuch ihrer Eltern, aus ihr eine gehorsame Muslimin zu machen. Drei Schülerinnen teilten sich die Rolle. Die Botschaft: In uns allen steckt ein bisschen Aziza. Uns alle geht das Schicksal anderer etwas an.
Auch beim umrahmenden Stück, das sich um den heimwehgeplagten Odysseus rankte, stand dessen Sehnsucht nach dem Zuhause im Vordergrund. Aufgehalten wurde er auf seiner Heimreise immer wieder von hysterischen Nymphen und zutiefst gelangweilten Prinzessinnen, die den Helden heiß begehrten. Und die Götter hatten natürlich auch ihre Hände im Spiel. Sie ließen Odysseus ihre Launen, ihre Gelüste nach Macht und Rache spüren - wenn sie sich nicht gerade im Olymp auf weißen Plastikstühlen fläzten und ein paar Drinks kippten. Mit passend ausgewählten Gedichten ließen die Schauspieler dabei immer mal wieder durchschimmern, was ihnen am Herzen lag: "Heimat ist nicht nur ein Ort", zitierten sie Robert Kroiß. Und auch "nur ein Wort" ist es nicht. Aber was ist es denn?
Zumindest einen Gedankenanstoß dazu gaben die Schauspieler den Zuschauern am Schluss noch mit auf den Weg: Dass man Heimat zuallererst einmal in sich selbst finden muss.



